2487/J XXVII. GP

Eingelangt am 23.06.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend „Findest Du mich schlimm?“ - Skandal um Amtsdirektor im Justizministerium

 

Der Falter berichtete am 23.06.2020 von folgendem Sachverhalt:

„Findest Du mich schlimm?“

Der Leiter des Sozialen Dienstes einer Haftanstalt missbraucht das Nacktfoto der Ehefrau eines Insassen, schickt ihr 63 anzügliche SMS und ein Penisfoto. Das Justizministerium macht dem Mann die Mauer. Ein Sittenbild aus dem Strafvollzug.

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Am 5. September, um 6.38 Uhr, nimmt Amtsdirektor Hans S. sein Handy zur Hand und schreibt eine Whatsapp-Nachricht an Hermine K.: „Guten Morgen!“

Hermine K. (Vor- und Nachname geändert, Anm.) kennt den Absender nicht: „??? Wer bist Du?“

Hans S. bleibt anonym, und er kommt schnell zur Sache: „Ich hab ein sehr, sehr erregendes Foto von Dir gesehen und das wollte ich Dir gestehen. Ich wollte Dir ein Kompliment machen und sagen, dass ich mit dem Foto in der Fantasie gewixt habe. Findest Du mich schlimm?“

Hermine K. schreibt: „Was für ein Foto? Woher hast Du meine Nummer?“

Amtsdirektor S. gibt sich aber nicht zu erkennen: „Bist Du böse? Vergiss es, ich werde dich nicht mehr belästigen. Ich wollte Dir nur ein Kompliment machen!“

Hermine K. antwortet: „Es wäre ja nur fair, wenn Du mich schon anschreibst, zumindest zu sagen, wie Du zu meiner Nummer gekommen bist.“

Aber Amtsdirektor S. verrät es nicht. „Ich weiß, es ist nicht richtig, Dich anzuschreiben. Und ich mache da was Verbotenes. Aber es hat mich so gereizt und erotisch angesprochen!“

Fast eineinhalb Stunden wird der Amtsdirektor die verunsicherte Frau nun mit Whatsapp-Nachrichten bedrängen. Und offenbar macht er sich auch Hoffnungen: „Du bist ja derzeit eher auf sexueller Sparflamme, da dachte ich, Komplimente können nicht schaden.“

„Auf Sparflamme“, Amtsdirektor Hans S. weiß, dass die Frau gerade in einer Notsituation ist. Denn er ist Chef des Sozialen Dienstes einer österreichischen Justizanstalt, die hier – zum Schutz der Identität aller Betroffenen – nicht genannt werden darf. Amtsdirektor S. betreut den dort einsitzenden Lebensgefährten von Hermine K. Und er belästigte seine Frau: mit 63 übergriffigen Whatsapp-Nachrichten.

Frau K. hatte ihrem inhaftierten Mann in einem persönlichen Brief ein erotisches Foto ins Gefängnis geschickt, doch die Zensurabteilung der Anstalt bewertete das Bild als „unsittlich“. Da kam Amtsdirektor S. ins Spiel, der „Sozialarbeiter“. Er sollte der Ehefrau ausrichten, dass sie solche Fotos nicht senden möge. Der Amtsdirektor aber schrieb der Frau: „Hab wirklich zweimal gewixt wegen Deines Fotos.“

Der Soziale Dienst, dem Amtsdirektor S., 60, seit 23 Jahren vorsteht, ist eine besonders wichtige Einrichtung des Justizministeriums. Sie soll Strafgefangene mittels „Beratungs- und Betreuungsgesprächen“ unterstützen und dabei „die aus der Haftsituation resultierenden Belastungen minimieren“. 

Bei Bedarf soll der Soziale Dienst auch „die Angehörigen der Strafgefangenen­ in die Betreuung miteinbeziehen, um die Beziehungen im sozialen Umfeld zu stärken und – der häufig als besondere Belastung empfundenen – Entfremdung entgegenzuwirken“. 

Das Gegenteil geschieht. Aus dem Chatprotokoll von Amtsdirektor S. an Hermine K.: „Du magst es, Kontakt zu mir zu haben, stimmts? Dir gefällt es auch, dass ich geil werde beim Anblick Deines Fotos!“

Hermine K. wehrt sich. Sie will wissen, wer dieser Anonymus ist und woher er ihr intimes Foto hat. Sie hegt auch bereits einen schlimmen Verdacht: „Hallo, […] ich vermute, Du bist der Sozialarbeiter aus der Justizvollzugsanstalt.“ Doch selbst das schreckt den Mann nicht ab. Amtsdirektor S. nimmt sein Handy, fotografiert seinen Penis und schickt das Foto an die Frau. Sie schreibt: „Ich möchte keinerlei Kontakt mehr zu Dir“, und zeigt ihn an.

Die Polizei übernimmt den Fall. Hermine K. legt die zwei Nacktfotos und die Chatnachrichten vor und diktiert ins Protokoll: „Ich finde es nicht in Ordnung, dass ein privates Foto von mir von einer Person, der ich das Foto gar nicht geschickt habe, als Wichsvorlage hergenommen wird und ich in weiterer Folge persönlich von einer Person angeschrieben werde, der ich nie meine Telefonnummer gegeben habe!“

Die Staatsanwaltschaft erlässt einen Hausdurchsuchungsbefehl, Verdacht auf Amtsmissbrauch. Amtsdirektor S. habe seinen „dienstlichen Zugang zur Häftlingspost zu privaten Zwecken missbraucht“. Die Beamten finden in der Wohnung des Beamten ein bisschen Cannabis, verhören den Beschuldigten. Er ist geständig und gibt am Rande auch noch undokumentierte Zugriffe auf die Daten von Insassen zu. „Ich habe über das Computersystem Zugriff auf die Personalakten aller Häftlinge. […] Man sollte sich bei jeder Einsicht in den physischen Akt in einer Liste eintragen, um nachvollziehen zu können, wer aller in den Akt schaut. Es ist aber so, dass ich mich beinahe nie in die Liste eintrage.“ Hermine K. habe er übrigens nur angeschrieben, „um zu schmeicheln“.

Die Sache schien also klar. Der Amtsdirektor, so der Verdacht, habe ein „massiv grenzüberschreitendes Verhalten“ gesetzt, es lägen „Eingriffe in berechtigte Geheimhaltungsinteressen und die Sexualsphäre fremder Personen“ vor.

Dann dreht sich der Fall. Die Staatsanwaltschaft Wien stellt das Verfahren ein – mit Genehmigung von Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium: „Der Beschuldigte hat keinen Befugnismissbrauch begangen, sondern lediglich dienstlich erworbenes Wissen privat verwendet“, so die Begründung, „weder hat er das Foto abfotografiert, vervielfältigt oder gar weiterverbreitet, noch hat er irgendwelche Abfragen getätigt.“

Die Strafvollzugsdirektion tritt auf den Plan, jene Abteilung, die Amtsdirektor S. als Vertragsbediensteten seit 1995 beschäftigt. Generaldirektor Alexander König teilt der rot dominierten Personalvertretung NiExe (Nicht-Exekutiver Dienst) mit, dass er den übergriffigen Amtsdirektor zu entlassen gedenke. Denn es lägen eine „besonders schwere Dienstpflichtverletzung“ vor und eine „erhebliche Verletzung des notwendigen Anstands und der notwendig einzuhaltenden Distanz gegenüber Insassen und deren Angehörigen“.

Die (sozialdemokratisch geführte) Personalvertretung der Vertragsbediensteten legte sich quer, wie Christina Ratz, Sprecherin des Justizministeriums, erklärt. Eine Entlassung würde „soziale Härte“ für den Mann bedeuten. Nun schwenkt auch das Ministerium um und sieht von der Entlassung ab, „da es sich um einen geschätzten Mitarbeiter handelte, der sich bis zu diesem Zeitpunkt nichts zuschulden­ kommen ließ“. Amtsdirektor S. betreut derzeit weiterhin als Leiter des Sozialen Dienstes die Ehefrauen von Strafgefangenen."

(https://www.falter.at/zeitung/20200623/findest-du-mich-schlimm)

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende


Anfrage:



1.    Seit wann genau sind welchen Stellen des Ministeriums diese Vorwürfe gegen den Beamten bekannt?

2.    Wann wurde jeweils welcher Vorgesetzte des Beamten über die Vorwürfe informiert?

3.    Welche Maßnahmen wurden von welchen Vorgesetzten jeweils wann ergriffen?

4.    Wann genau erfuhr Generaldirektor (GD) König von den Vorwürfen erstmals?

5.    Wurden in der Vergangenheit andere Beschwerden in Bezug auf den Beamten herangetragen?

a.    Wenn ja, wann, und welche?

6.    Welche Maßnahmen wurden von GD König jeweils wann ergriffen?

7.    Können die medial kolportierten Vorfälle bestätigt werden?

8.    Wann genau wurden Sie, Frau Ministerin, über diese Vorwürfe erstmals informiert?

9.    Welche konkreten Maßnahmen aufgrund der Vorwürfe wurden in der Folge wann von Ihnen persönlich ergriffen?

10. Welchen Verlauf nahm die Causa (insbesondere deren dienstrechtliche Einordnung) in Folge im Ministerium?

a.    Wann fanden welche Besprechungen, Sitzungen oä diesbezüglich mit welchem Ergebnis statt?

b.    Welche Gremien wurden wann damit befasst und mit welchem Ergebnis?

11. Wer sprach sich für eine sofortige Entlassung des Beamten aus?

12. Wodurch bzw durch wen wurde eine Entlassung verhindert?

13. War der Beamte schon zu früheren Zeitpunkten in Bezug auf den Umgang mit Bediensteten auffällig (um Erläuterung wird ersucht)?

a.    Wenn ja, gab es intern bereits Konsequenzen (etwa disziplinarrechtlich) für den Beamten (um Erläuterung wird ersucht)?

b.    Wenn ja, wann genau und welche Vorfälle sind aktenkundig (um Erläuterung wird ersucht)?

c.    Wenn nein, weshalb nicht (um Erläuterung wird ersucht)?

14. In welchem dienstrechtlichen Zustand befindet sich der Beamte seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?

15. Welche konkreten Maßnahmen bzw Konsequenzen wurden vonseiten des BMJ in Ausübung der Fach- und Dienstaufsicht in der Causa wann und durch wen ergriffen?

16. Wurde entschieden, dass der Beamte interimistisch versetzt oder dienstzugeteilt wird, bis die Vorwürfe geklärt sind (um Erläuterung wird ersucht)?

a.    Wenn ja, wann und von wem? 

b.    Auf welche Dienststelle sollte er versetzt oder dienstzugeteilt werden?

c.    Wurde er auf diese Dienststelle versetzt oder dienstzugeteilt?

                                  i.    Wenn nein, mit welcher Begründung?

                                ii.    Wenn nein, auf wessen Anordnung bzw. Intervention zu welchem Zeitpunkt?

17. Arbeitet der Beamte momentan immer noch mit Inhaftierten zusammen?

18. Wurde der Fall bereits an die Disziplinarkommission übergeben?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?

19. Aus welchen Personen setzt sich die Disziplinarkommission zusammen?

20. Wurde gegen den beschuldigten Beamten bereits ein Disziplinarverfahren eingeleitet?

21. Was ist der aktuelle Stand des Disziplinarverfahrens?

22. Zu welchem Ergebnis kam das Disziplinarverfahren?

23. Wurde eine Disziplinarstrafe verhängt?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

c.    Wenn nein, was vereitelte eine Disziplinarstrafe?

24. Wie bewerten Sie den Vorfall dienstrechtlich?

25. Inwiefern erachten Sie es für vertretbar, dass der Beamte nach wie vor im Dienst des BMJ steht?

26. Gem § 112 BDG ist ein Beamter zu suspendieren, wenn durch ihre oder seine Belassung im Dienst wegen der Art der ihr oder ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes gefährdet würden. Weshalb sah das BMJ diese Voraussetzungen als nicht erfüllt an?

27. Inwiefern halten Sie es für vertretbar, das eine Person, die sich derart verhält, im Dienst des BMJ verbleibt?

28. Ist Ihnen als Ministerin bewusst, welches Zeichen hier gesetzt wird, wenn derartige Dienstverfehlungen nicht angemessen geahndet werden?

29. Wegen welcher konkreten strafrechtlichen Delikte wurde gegen den Beamten ermittelt?

30. Wurde auch wegen § 107a StGB "Beharrliche Verfolgung" ermittelt?

a.    Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

31. Aus welchen präzisen Gründen wurde das Verfahren eingestellt?