2862/J XXVII. GP

Eingelangt am 14.07.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Arbeit‚ Familie und Jugend

betreffend Bildungskarenz nach Bezug von Kinderbetreuungsgeld

 

Wie die Tageszeitung "Die Presse" vom 14.07.2020 ("Von der Baby- in die Bildungspause", Seite: 13) berichtet, nützen immer mehr Frauen die Bildungskarenz, um nach der Geburt bzw. nach Bezug des Kinderbetreuungsgeldes länger zu Hause zu bleiben. Durch die Bildungskarenz (und der monetären Förderung durch das Weiterbildungsgeld) sollen Personen profitieren, die ausbildungsbedingte Probleme haben und sich dadurch vor Arbeitslosigkeit absichern möchten.  Der vom AMS zertifizierte Schulungsdienstleister Rossi Roth KG wirbt auf seiner Homepage (www.babypause-verlaengern.at"Fixe finanzielle Bezüge für dich & deine Familie" für die Beantragung der Bildungskarenz. Laut dem Schulungsdienstleister ist es somit möglich, die Babypause zu verlängern und bei vollen Bezügen ein Jahr länger zu Hause zu bleiben:

 

_scroll_external/attachments/image2020-6-8_10-29-18-76a78c18d2796b5734dde07e49942e885d02199a5dbaa2846f289a72129ff0c2.png

(Quelle: https://www.babypause-verlaengern.at/)

Erschreckend ist hier der Aufruf des zertifizierten Kursanbieters zu einer Form des staatlich geförderten und behördlich sanktionierten Sozialbetrugs. Durch das individuelle eLearning Angebot des AMS zertifizierten Kursanbieters (laut Homepage: "Brandneu & nur für Mamis") ist es somit möglich, in der Bildungskarenz diese Kurse zu besuchen und dadurch die notwendigen Anforderungen zu erfüllen, um Weiterbildungsgeld zu beziehen. 

Die Webseite vermittelt den Eindruck, dass die Kurse eine unzweckmäßige staatlich geförderte Elternkarenz ermöglichen: Ohne örtliche und zeitliche Verpflichtung bequem von zuhause aus.

_scroll_external/attachments/bildschirmfoto-2020-06-08-um-14-53-18-8518b6d4b8a5dd491609432d55c5d7fa83896748c1948d52f3a092d67a83b640.png

 

Hinzu kommt der Inhalt des Kursangebots. Zur Verfügung gestellt wird ein Produktdatenblatt mit einer Kursübersicht:

 

_scroll_external/attachments/bildschirmfoto-2020-06-12-um-10-34-08-82ff8f01ebf604fcdf4a89ada4e9e87505b23b9845bc7ff94e742ea63632aea8.png_scroll_external/attachments/bildschirmfoto-2020-06-12-um-10-34-17-36cfd930a39766076e8ec20d49392111838ea459c2fabe040d91ac9eebf0e8f1.png

 

Bei den angebotenen Kursen handelt es sich um einen EDV-Kurs, der die Grundlagen Microsoft Office (Word, Powerpoint, Excel) etc. vermitteln soll. Während dieses Angebot für Personen Sinn macht, die bisher wenige Kenntnisse darüber hatten, kann das Angebot für Personen mit bürokaufmännischer Lehre, Matura oder akademischer Ausbildung kaum als "Weiterbildung" bezeichnet werden. Für den Bezug des Weiterbildungsgeldes ist das aber unwesentlich. Auch hier zeigt sich wieder, wie wenig treffsicher die Bildungskarenz ist: Es wird kein Augenmerk auf die bisherige Qualifikation von Frauen und Männern gelegt, ein Online-Kurs als bloße Formalität reicht. Auch eine physische Präsenz ist nicht notwendig. Die Kurskosten betragen für ein Jahr 2.800 Euro. Ist die Kursteilnehmerin aus Oberösterreich bekommt sie eine Förderung durch das "Bildungskonto" und 30 Prozent der Kurskosten werden rückerstattet. Auch in manchen anderen Bundesländer gibt es ähnliche Möglichkeiten. 

Für die Kurse gibt es keinen vorgeschriebenen Stunden- oder Lehrplan. Die Kurse sind alle für ein ganzes Jahr über das Online-Portal der Rossi Roth KG freigeschalten und können zeitlich flexibel absolviert werden. Ist eine Person beispielsweise schon nach zwei Monaten mit allen Kursen fertig, sind nur mehr die Online-Präsenzstunden zu absolvieren.

 

Bildungskarenz als "Geldersparnis" für den Arbeitgeber

Das von babypause-verlängern.at zur Verfügung gestellte Informationsmaterial, enthält ein Frequently Asked Questions-Blatt. Darin wird zum Beispiel auch die Frage, welche Kosten für den Arbeitgeber bei Genehmigung einer Bildungskarenz entstehen, folgendermaßen beantwortet: 

_scroll_external/attachments/bildschirmfoto-2020-06-12-um-10-49-23-7849e13b15238d63df193d8ca4ddcb764650b4be02a5a8367573d5b6c34892e5.png

Die Bildungskarenz wird als Möglichkeit für den Arbeitgeber beworben, Kosten für eine Mitarbeiterin, einen Mitarbeiter an den Steuerzahler auszulagern. Ziel von der Bildungskarenz ist das aber nicht. 

 

Erschwerter Wiedereinstieg in das Arbeitsleben

Verkauft wird also die Möglichkeit, bis zu 35 Monate Kinderbetreuungsgeld zu beziehen (wenn der zweite Elternteil mindestens 212 Tage KGB bezieht), und im Anschluss daran noch einmal 12 Monate in Bildungskarenz zu gehen (und Weiterbildungsgeld zu beziehen). Damit ist es möglich, über drei Jahre lang karenziert zu bleiben, sofern alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden. 

Diese Praxis ist auf mehreren Ebenen problematisch. Nicht nur wird eine Förderung zweckentfremdet, deren Ziel es sein soll, jenen eine bessere Chance am Arbeitsmarkt zu bieten, die aufgrund ihrer Ausbildung oder aufgrund ihres Alters Qualifikationsprobleme haben. Das betrifft z.B. ältere Arbeitnehmer_innen, Arbeitnehmer_innen mit niedrigen Bildungsabschlüssen oder Arbeitnehmer_innen in Branchen, die überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Hinzu kommt, dass Elternteile am Ende ihrer Elternkarenz ein Rückkehrrecht in den angestammte Firma genießen. Mit dem hier vermarkteten System einer anschließenden Bildungskarenz geben sie diesen Kündigungsschutz oft preis und setzen sich dem Risiko aus, den beruflichen Wiedereinstieg zu verpassen. Das ist z.B. der Fall, wenn das Unternehmen die Bildungskarenz gleichzeitig mit einer Auflösung des Dienstverhältnisses zum Ende der Bildungskarenz verbindet. Das sieht man an der geringen Rate von Bildungskarenzlern, die nach der Bildungskarenz wieder in ihre Firma zurückkehren, nämlich 45%. So wird Müttern der berufliche Anschluss nach der Karenz zusätzlich erschwert und sie werden mit einer Jahreszahlung aus Versichertengeld aus dem Erwerbsleben "hinausgefördert". In dem von babypause-verlängern.at zur Verfügung gestellten Informationsmaterial kommt diese Tatsache jedoch nicht vor. Im Gegenteil wird suggeriert, dass es selbstverständlich wäre, dass man nach Ende der Bildungskarenz wieder zu dem selben Arbeitgeber zurückkehrt. 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Wie viele Personen, die in den Jahren 2015 bis 2020 (erstes Quartal) Weiterbildungsgeld bezogen haben, haben dieses unmittelbar nach dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld
erhalten? (Bitte jeweils um Auflistung nach Jahr, Alter, Geschlecht, Bundesland, Bezugsdauer und höchster abgeschlossener Ausbildung)

a.    Wie hoch waren die dadurch verursachten Kosten pro Jahr? 

b.    Wie viele Personen sind davon in ihr angestammtes Dienstverhältnis zurückgekehrt? (Bitte um Auflistung nach Jahr, Alter, Geschlecht, Bundesland, Bezugsdauer und höchster abgeschlossener Ausbildung)

c.    Wie viele Personen davon haben nach dem Bezug Arbeitslosengeld (oder eine andere Leistung gem. AlVG) bezogen? (Bitte um Auflistung nach Jahren, Alter, Geschlecht, Bundesland, Bezugsdauer und höchster abgeschlossener Ausbildung)

2.    Wie viele Personen haben in den Jahren 2015 bis 2020 (erstes Quartal) Weiterbildungsgeld gem § 26 AlVG bezogen und Kurse des Schulungsdienstleister Rossi Roth KG besucht (Bitte um Auflistung nach Jahren, Alter, Geschlecht, Bundesland Bezugsdauer und höchster abgeschlossener Ausbildung)?

a.    Wie viele Schulungsteilnehmer_innen des Schulungsdienstleister Rossi Roth KG , die in den Jahren 2015 bis 2020 (erstes Quartal) Weiterbildungsgeld bezogen haben, haben dieses unmittelbar nach dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld erhalten? (Bitte jeweils um Auflistung nach Jahr, Alter, Geschlecht, Bundesland, Bezugsdauer und höchster abgeschlossener Ausbildung)? 

b.    Welche Kurse wurden von der oben genanten Personengruppe in Anspruch genommen (Bitte um Auflistung nach Kurstitel, Inhalt, Anwesenheitskriterien und Abschlusskriterien)?

c.    Welche Kurse werden speziell für Mutter angeboten/gefördert (Bitte um Auflistung nach Kurstitel, Inhalt, Anwesenheitskriterien und Abschlusskriterien)?

d.    Welche Kurse werden speziell für Väter angeboten/gefördert (Bitte um Auflistung nach Kurstitel, Inhalt, Anwesenheitskriterien und Abschlusskriterien).

3.    Inwiefern müssen Lerninhalte und Lernziele von Präsenz- und Onlinekursen unabhängig von der Bildungsinstitution, für den Bezug von Weiterbildungsgeld gem § 26 AlVG auf die bereits bestehenden Fähigkeiten abgestimmt werden?

4.    Welche Kurse des Schulungsdienstleister Rossi Roth KG werden vom AMS gefördert?

a.    Gibt es Kurse, bei denen Anwesenheitspflicht besteht? 

b.    Welche Kurse können online absolviert werden?

c.    Werden die Kurse auf die bereits bestehenden Qualifikationen der Kund_innen abgestimmt?

d.    Gibt es bei den Kursen eine Leistungsfeststellung?

e.    Können auch Personen, die bereits umfassende Kenntnisse zu den Inhalten des Kurses "Office Management Advanced" (durch höhere Ausbildung wie Matura oder Studium) haben, den Kurs als Voraussetzung für den Bezug von Weiterbildungsgeld besuchen?

5.    In welcher Höhe hat der Schulungsdienstleister in den Jahren 2015 bis 2020 (erstes Quartal) Förderungen erhalten (Bitte um Auflistung nach Jahren)?

a.    Welchen Zweck hatten diese Förderungen ?

6.    Welche Maßnahmen setzen Sie, um den Missbrauch des Weiterbildungsgeldbezuges als Elternkarenzverlängerung zu beenden?