2997/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.08.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler

betreffend Beihilferecht Österreich vs. Schweiz

Das EU Beihilferecht unterliegt nicht der Vollziehung des Bundeskanzleramts. Nichtsdestotrotz hat sich Bundeskanzler Kurz zum Problem des Beihilferechts öffent­lich geäußert und spezifisch die Schweiz angesprochen, die sich laut Kurz besser mit den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise auseinandersetzen kann, weil sie nicht dem EU Beihilferecht unterliegt. Da gute Politik von korrekter Problemanalyse ab­hängig ist und die öffentlichen Statements des Bundeskanzlers wesentlichen Einfluss auf das Verständnis von politischen Problemen haben, ist es vonnöten, dass der Kanzler seine Statements erläutert.

Im Kurier Interview vom 7. Juni 2020 sagte Bundeskanzler Kurz, die Schweiz wäre "unter den Top-Staaten - auch weil sie nicht an EU-Regeln gebunden ... ist." Die Schweiz ist zwar an eine Vielzahl von EU Regelungen durch mehr als 100 Verträge gebunden, ist beim Beihilferecht aber nicht notifizierungsverpflichtet und daher flexib­ler. In Anfragebeantwortungen zu diesem Thema schreibt sowohl Wirtschafts- standortministern Margarete Schramböck als auch Finanzminister Gernot Blümel allerdings, dass ab 17.04.2020 die rechtlichen Hürden beseitigt worden waren und Garantien rechtsverbindlich zugesagt werden konnten. Spezifisch beschreibt Ministe­rin Schramböck einen relativ kurzen Prozess, beginnend am 30.03.2020 und endend am 17.04.2020, in dem Österreich die EU Zusagen einfordert und erhält. Dazu kommt, dass de-minimis Beihilfen auch zuvor schon rechtmäßig waren.

Darüber hinaus schreibt die EU Kommission, dass die Mitgliedstaaten gemäß dem adaptierten temporären Beihilferahmen vom 3. April die Möglichkeit hatten, eine staatliche Garantie von bis zu 100 % für Kredite von bis zu 800.000 Euro pro Unter­nehmen zu gewähren.

In den Anfragebeantwortungen legen Ministerin Schramböck und Minister Blümel den Schwerpunkt auf Höchstsumme und den erlaubten Prozentsatz der Unterstüt­zungen. Die österreichische Wirtschaft beklagt aber die lange Dauer der Antragsbe­arbeitung und der Auszahlungen, und das weit über das Datum hinaus, zu dem die EU ihre Regeln gelockert hatte, ln den sechs Wochen zwischen Mitte April und An­fang Juni - also nach der Lockerung der Regelungen und nachdem Österreich von der Kommission einen positiven Bescheid betreffend die Beihilfen erhalten hatte, ha­ben 125.000 Schweizer Selbstständige einen Erwerbsersatz in Anspruch genommen und umgerechnet 503 Millionen Euro erhalten. In Österreich waren es 167.000 An­tragsteller mit 201 Millionen Euro. (Der Einkommensniveauunterschied ist bei diesem Unterschied zu vernachlässigen.)

Auch Kredite zahlt die Schweiz schneller aus. Seit Ende März wurden 15 Milliarden Franken an Covid-19-Überbrückungskredite vergeben und ausgezahlt - drei Mal so viel wie in Österreich (4 Milliarden Euro). Diese Diskrepanz ist auch dem Vorarlber­ger ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner aufgefallen, der in den Vorarlberger Nachrichten sagte, "Die Schweiz macht das bestechend gut, um schnelle Liquidität zu garantieren."

Auch Deutschland - das an alle EU Richtlinien ebenso wie Österreich gebunden ist - zahlte schneller und unkomplizierter aus. Auch gab es dort viel früher einen Fixkostenzuschuss als in Österreich. Im Gegensatz zum Härtefallfonds sind diese Mittel nicht für den privaten Lebensunterhalt der Unternehmer_innen gedacht, sondern für laufende Kosten im Unternehmen. Für persönliche Bedürfnisse wurde der Zugang zur Grundsicherung vereinfacht. In Österreich hingegen wurde das Modell für seine Bürokratie kritisiert. Selbst Steuerberater rieten von der Beantragung des Fixkostenzuschusses ab, weil sich die Richtlinien dauernd ändern.

Nichts von dieser Kritik erklärt sich durch das EU Beihilferecht.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

 

1.   Welche regulatorische Vorteile genoss die Schweiz im Vergleich zu Österreich noch zu dem Zeitpunkt (07.06.2020), zu dem Bundeskanzler Kurz die Unter­schiede zwischen Schweiz und Österreich auf EU Beihilferecht zurückführte?

2.   Im internationalen Vergleich zählt auch Deutschlands Beihilfeprogramm zu den besten Europas. Wie erklärt sich, dass EU Mitglied Deutschland eher mit der Schweiz als mit Österreich zu vergleichen ist, obgleich die EU Regeln nicht für die Schweiz, sehr wohl aber für Deutschland und Österreich gelten?

3.   Sind die Anfragebeantwortungen von Bundesministerin Schramböck und Bun­desminister Blümel korrekt, die besagen, dass seit 17.04.2020 Österreichs Ansu­chen um Aussetzung von Beihilferegeln stattgegeben worden war, und Österreich nun sein geplantes Programm durchziehen konnte?

4.   Gibt es weitere Regulative, die Kanzler Kurz angesprochen hat, die nicht von den von Schramböck und Blümel angesprochenen Zusagen der EU erfasst wurden?

a. Wenn ja, komplizieren diese Regeln immer noch Österreichs Beihilfemaßnahmen? Um welche Regeln handelt es sich?

5.   Auch nach Aussetzung der EU Beihilferegeln beklagen Österreichs Wirtschafts­treibende langsame und bürokratische Antragsabwicklung von Beihilfeanträgen im Vergleich zur Schweiz, aber auch zum EU Mitgliedsstaat Deutschland. Was ist für diese weiterhin ineffiziente Assistenzabwicklung in der Meinung des Bundes­kanzlers verantwortlich?

 

 

6.   Kanzler Kurz sagte im Kurier Interview, dass es in der Schweiz große Unter­schiede in Wirtschaftshilfemaßnahmen unter den Kantonen gäbe, und dass die Bundesregierung diese studiere. Die Schweizer Beihilfepolitik gilt aber als hoch­zentralisiert. Welche Unterschiede zwischen den Beihilfemaßnahmen oder deren Abwicklung konnte die österreichische Bundesregierung unter den Kantonen ausmachen, und wie werden diese zur Verbesserung der österreichischen Beihil­fepolitik verwendet?