3014/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.08.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt

betreffend Fragwürdige Studie des ÖIF zur Rolle von Moscheen bei der Integration in Graz

Anfang Juli 2020 erschien eine vom ÖIF beauftragte sog. Studie mit dem Titel "Diskurse in ausgewählten Grazer Moscheen und deren mögliche Auswirkungen auf den Integrationsprozess".1 Diese beschäftigt sich mit den vermittelten Inhalten, Normen und Werten von "ausgewählten Freitagspredigten" in einigen Grazer Moscheen und deren möglichen integrationsfördernden oder integrationshemmenden Auswirkungen auf die Teilnehmer_innen. Die sog. Studie sorgte medial für Negativschlagzeilen, so titelte die Grazer Kleine Zeitung z.B. am 9. Juli "Integrationshürde Islam", gefolgt von einem 2-seitigen Bericht zum Thema "Moscheen hemmen die Integration". Grund für die Negativschlagzeilen ist das Ergebnis, dass 2 der 8 untersuchten Moscheen als isolationistisch, eine Mosche als Hybridform und die restlichen 5 Moscheen als nicht aktiv integrationsfördernd eingestuft werden. Einzelne festgehaltene Aussagen sind hierbei jedenfalls problematisch, mindestens genauso problematisch ist jedoch die Art und Weise, wie diese Daten erhoben und vom ÖIF unreflektiert der Öffentlichkeit auf der eigenen Homepage zur Verfügung gestellt wurden.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Benedek von der Universität Graz übt deutliche Kritik, sowohl an der Methodik, der Auswahl der Moscheen und der Intransparenz hinsichtlich der Autor_innen und sog. "Rechercheure". Tatsächlich gibt es einige Aspekte der Studie, die durchaus unwissenschaftlich anmuten, zu einer verzerrten Darstellung der Realität beitragen und daher erst recht integrations- und speziell islamfeindliche Tendenzen befeuern.

Einige Auffälligkeiten der sog. Studie, die bei einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit absolut unüblich sind, sollen hier kurz herausgegriffen werden:

Im Impressum der Studie werden der Verein Europäisches Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention sowie als Herausgeber der ÖIF genannt, nicht aber die eigentlichen Autor_innen der Arbeit. Es gibt also keine Person, die für deren Inhalte gerade steht und keinerlei Anhaltspunkte über die Qualifikation der betreffenden Autor_innen. Nicht nur das, im Impressum wird sogar darüber hinaus explizit folgendes angemerkt:

"Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte wird keine Haftung übernommen. Weder der Österreichische Integrationsfonds noch andere an der Erstellung dieses Mediums Beteiligte haften für Schäden jedweder Art, die durch die Nutzung, Anwendung und Weitergabe der dargebotenen Inhalte entstehen."

Dass eine solche Anmerkung und der Hinweis auf "Schäden" überhaupt als notwendig empfunden wird, ist für eine wissenschaftliche Arbeit befremdlich.

Auf Seite 20 f. wird weiters folgender Vermerk gemacht, der die Aussagekraft und Repräsentativität der sog. Studie ganz klar begrenzt:

"Wie bereits in der Einleitung einschränkend erwähnt, kann die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und das konkrete empirische Material (insbesondere die verschriftlichten Freitagsgebete) nicht als repräsentativ für die gesamte Moscheenstruktur in Graz gewertet werden. [...] Die Erkenntnisse beziehen sich lediglich auf die in den jeweiligen Freitagspredigten tatsächlich propagierten Inhalte und Narrative und beschreiben daher den subjektiv wahrgenommenen bzw. ex post interpretierten Diskurs; es kann daher explizit nicht auf die generell zugrunde liegenden Einstellungen der Sprecher oder der Moscheebesucher eingegangen werden, da hierzu auf Basis des vorliegenden Materials seriöserweise keinerlei Aussagen von allgemeiner Relevanz getätigt werden können."

Die sog. Studie ist also nicht einmal für den Raum Graz aussagekräftig bzw. repräsentativ, wo es im Vergleich zu Wien mit ca. 150 Moscheen ohnehin nur 18 Moscheen (lt. sog. Studie) gibt. Außerdem ist die zugrundeliegende Annahme der sog. Studie, dass es überhaupt in den Aufgabenbereich einer Moschee fällt, integrationsfördernd zu sein, durchaus zu hinterfragen. Moscheen dienen der Religionsausübung und nicht der Integrationsarbeit, es gibt andere staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen, die für die Integrationsarbeit zuständig wären.

In höchstem Maße ethisch zu hinterfragen ist bei einer solchen tendenziösen, nicht repräsentativen Arbeit die Wahl der Methode zur Datenerhebung, nämlich die verdeckte teilnehmende Beobachtung, im Zuge derer heimliche Videomitschnitte der Freitagspredigten gemacht wurden. Diese Methode ist im wissenschaftlichen Diskurs sehr umstritten, weil das Einverständnis der Beforschten nicht eingeholt wird und ist umso kritischer zu beurteilen, als diese Problematik in der sog. Studie unseriöserweise mit keinem einzigen Wort erwähnt wird.

Ebenfalls auffallend ist die Paradoxie, dass gerade eine sog. Studie, die sich mit sprachlichen Formulierungen, Implikationen und dahinterstehenden Ideologien und Haltungen auseinandersetzt, selbst sprachlich in einer Art und Weise verfasst ist, die einem/einer jeden Sprachwissenschafter_in bereits beim Überfliegen der Arbeit als tendenziös auffallen muss. Durch die Wahl negativ konnotierter Begriffe, Metaphern und die Verwendung von Stilmitteln wie Anführungszeichen (z.B. "Szene", "Fremdkörper", "argwöhnisch") werden ganz klar Haltungen der mysteriösen Autor_innen zum Ausdruck gebracht.

1 https://www.integrationsfonds.at/fileadmin/user_upload/20200707_Studie_Graz.pdf

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Sind Ihnen die Autor_innen der sog. Studie "Diskurse in ausgewählten Grazer Moscheen und deren mögliche Auswirkungen auf den Integrationsprozess" bekannt und wenn ja, um wen handelt es sich hierbei genau?

2.    Über welche Qualifikationen verfügen besagte Autor_innen, um eine solche sog. Studie zu betreiben?

3.    Sind Ihnen die sog. "Rechercheure" bekannt, die verdeckt an den Freitagspredigten teilgenommen und heimlich Videomitschnitte davon gemacht haben und wenn ja, um wen handelt es sich hierbei genau?

4.    Über welche Qualifikationen verfügen besagte "Rechercheure", um wissenschaftliche Daten im Integrationsbereich und zur sprachlichen Analyse zu sammeln?

5.    Die sog. Studie zeigt durchaus einige bedenkliche Aussagen auf, die bei Freitagspredigten getätigt wurden. Die Studie per se wird jedoch den geringsten wissenschaftlichen Ansprüchen (Angabe der Autorinnen, Begründung der Wahl der Methode, Sachlichkeit etc.) nicht gerecht. Werden Sie als Integrationsministerin bzw. wird sich das Integrationsministerium öffentlich von der sog. Studie distanzieren?

6.    Durch die Publikation der sog. Studie auf der Homepage des ÖIF entsteht der Eindruck, der ÖIF stehe hinter der sog. Studie und ihren nicht-repräsentativen Ergebnissen. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die sog. Studie von der Homepage des ÖIF entfernt wird?

a.    Wenn nein, warum nicht?

7.    Sehen Sie besagte sog. Studie als Handlungsaufforderung, um verstärkt im Bereich der Moscheen als Integrationsorte tätig zu werden und wenn ja, welche Schritte setzen Sie basierend auf den Ergebnissen der sog. Studie?

8.    Dass Moscheen und andere religiöse Orte nicht desintegrativ wirken sollen, versteht sich von selbst. Sehen Sie als Integrationsministerin jedoch aktive Integrationsarbeit, wie sie in der sog. Studie von Moscheen erwartet wird, prinzipiell als eine Aufgabe von Moscheen?

9.    Kommentator_innen unterstellen der sog. Studie sowie der Schirmherrschaft durch den ÖIF und der erfolgten unreflektierten medialen Berichterstattung, massiven Schaden an der Beziehung zwischen Grazer Muslim_innen und dem ÖIF angerichtet zu haben. Werden Sie als zuständige Bundesministerin hier aktiv den Dialog zu muslimischen Gemeinschaften suchen und versuchen, einem integrationsfeindlichen Klima entgegenzuwirken, welches die fragwürdige sog. Studie und die darauf erfolgte undifferenzierte mediale Berichterstattung zum Thema gewiss befeuert hat?

10.  Werden Sie sich in Zukunft dafür einsetzen, dass vom ÖIF in Auftrag gegebene Studien das Mindestmaß an wissenschaftlichen Standards erfüllen, um die Seriosität des ÖIF als Kerninstitution staatlicher Integrationsarbeit zu gewährleisten?

a.    Wenn ja, wie genau wollen Sie das gewährleisten?