3408/J XXVII. GP

Eingelangt am 16.09.2020
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Anfrage

 

des Abgeordneten Mag. Gerhard Kaniak

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Genauigkeit der Ergebnisse von PCR-Tests bei COVID-19

 

In Bezugnahme auf die Anfragebeantwortung 2342/AB vom 18.08.2020 zu 2345/J (XXVII. GP) stellen sich weitere Fragen in Hinblick auf die amerikanische Studie von

Chantal Vogels, Anderson Brito, Anne Louise Wyllie, et al.: Analytical sensitivity and efficiency comparisons of SARS-COV-2 qRT-PCR primer-probe sets. (online abzurufen: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.03.30.20048108v3)

und den vom Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte folgenden Artikel betreffend PCR-Tests:

 

PCR-Tests auf SARS-CoV-2: Ergebnisse richtig interpretieren

 

Der tatsächliche positive oder negative Vorhersagewert eines PCR-Tests hängt nicht allein von seiner operativen Genauigkeit ab. Maßgeblich ist auch die Vortestwahrscheinlichkeit, die angibt, wie hoch das geschätzte Risiko für eine Erkrankung vor dem Test ist.

 

Für die schnelle Detektion einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 werden weltweit verschiedene qRT-PCR-Assays (quantitative Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion) eingesetzt. Im vergangenen Monat wurden allein im Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin pro Woche zwischen 270 000 (KW 18) und 365 000 (KW 20) PCR-Tests auf SARS-CoV-2 durchgeführt. Ob ein Mensch als SARS-CoV-2-positiv oder -negativ gilt, hat Auswirkungen nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für sein familiäres, soziales und berufliches Umfeld.

 

Da kein Test 100-prozentig sicher ist, muss das dem Betroffenen mitzuteilende Testergebnis in seinem Kontext interpretiert werden. Dies ist umso wichtiger, je höher in einer Population die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist, führen in einem Praxishinweis im British Medical Journal (BMJ) Jessica Watson und Kollegen aus (1). Ihre Arbeit gibt praktischen Ärzten Hilfestellung bei der folgenschweren Frage: Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine positiv getestete Person tatsächlich positiv und eine negativ getestete tatsächlich negativ? Im Fokus stehen zwei Faktoren.

 

Probenahme und Genauigkeit

 

RT-PCR-Tests weisen virale RNA nach. Für die operative Zuverlässigkeit des Tests selbst sind die Sensitivität und die Spezifität wesentliche Parameter. Die Sensitivität ist der Prozentsatz, mit dem eine erkrankte Person als positiv getestet wird. Ein Test mit einer Sensitivität von 98 % identifiziert 98 von 100 Infektionen und 2 nicht. Die Kehrseite eines hoch sensitiven Tests: Er kann viele falsch-positive Befunde liefern, wenn er nicht spezifisch genug ist. Die Spezifität ist der Prozentsatz, zu dem nich infizierte Personen als gesund erkannt werden. Ein Test mit einer Spezifität von 95 % liefert bei 5 von 100 Gesunden ein falsch-positives Ergebnis.

 

Bei Angaben zu Sensitivität und Spezifität der in Deutschland verwendeten PCR-Tests halten sich sowohl das Robert Koch-Institut als auch das nationale Konsiliarlabor am Institut für Virologie der Charité bedeckt. Die oft zitierte, nahezu 100-prozentige Sensitivität unter Laborbedingungen dürfte in der Praxis nie erreicht werden, schon weil beim Testen selbst erhebliche Unsicherheitsfaktoren hinzukommen. So weist beispielsweise jeder Test die Viren nur in einem bestimmten Zeitfenster nach.

 

So enthielten Abstrichproben vom Rachen vermehrungsfähige Viren bis zum 4., aus dem Sputum bis zum 8. Tag nach Symptombeginn (2). Falsch-negative Ergebnisse könnten auch aufgrund schlechter Probenqualität oder unsachgemäßem Transport nicht ausgeschlossen werden, warnt das Robert Koch-Institut unter seinen Hinweisen zur Testung. Empfohlen wird bei Patienten mit initial negativem PCR-Test, aber begründetem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion eine Wiederholung des Tests (3).

 

Ein systematischer Review, der 957 negativ getestete Personen durch einen wiederholten Abstrich überprüfte, fand in den 5 Einzelstudien eine Rate initial falsch-negativer Ergebnisse zwischen 2 % und 29 %. Das entspricht einer „effektiven“ Sensitivität der Tests zwischen 71 % und 98 % (4). Bei dieser niedrigen Sensitivität und moderaten Spezifität habe ein positiver PCR-Test auf SARS-CoV-2 mehr Gewicht als ein negatives Resultat, betonen die Autoren im BMJ. Umgekehrt solle man sich bei einem Patienten mit verdächtigen Symptomen niemals auf ein einziges negatives Testergebnis verlassen.

 

Die Vortestwahrscheinlichkeit

 

Um die wirkliche Erkrankungswahrscheinlichkeit, ausgedrückt als positiver oder negativer Vorhersagewert nach einem Test, zu beurteilen, sollten Ärzte die Vortestwahrscheinlichkeit hinzuziehen (das gilt nicht nur für COVID-19). Das geschätzte Risiko für die Erkrankung ergibt sich zum einen durch die klinische Einschätzung der betroffenen Person und ihres Umfeldes: Hatte die Kontakt mit Infizierten, kommt sie aus einem Risikogebiet? Sind ihr Alter, die Symptome und Befunde mit COVID-19 vereinbar? Bestehen Vorerkrankungen, kommen Differenzialdiagnosen infrage?

 

Des Weiteren ist die Prävalenz der Erkrankung in der Population relevant. Im Patientengut eines Allgemeinarztes in der Uckermark wird die Prävalenz von COVID-19 von vornherein niedriger zu schätzen sein als in einem Altersheim mit bereits einigen infizierten Bewohnern. Um den starken Einfluss der geschätzten Prävalenz auf den Vorhersagewert deutlich zu machen, seien Prävalenzen von SARS-CoV-2-Infektionen von 3 %, 20 % und 80 % gegenübergestellt: Unter 1 000 Personen würde es in diesen Fällen 30, 200 oder 800 Infizierte geben. Die Autoren im BMJ mutmaßen, das der RT-PCR-Test eine Sensitivität von 70 % und eine Spezifität von 95 % aufweist. Sars-CoV-2-Prävalenz 3 % (z. B. Hausarztpraxis): Richtig positiv getestet werden 21 von 30 infizierten Personen, falsch negativ sind damit 9 Ergebnisse. Richtig als gesund erkannt werden 921 von 970 Personen, falsch positiv bleiben 49. Der positive Vorhersagewert errechnet sich als Quotient aus der Zahl der richtig positiv Getesteten (21) und der Summe aller Personen mit positivem Testergebnis (21 + 49 = 70). Er ist mit 0,30 erschreckend gering – 70 % der als positiv getesteten Personen sind gar nicht positiv, ihnen wird aber Quarantäne verordnet. Der negative Vorhersagewert als Quotient aus der Zahl der richtig negativ Getesteten 921 und der Summe aller Personen mit negativem Testergebnis (921 + 9 = 930) ist hingegen 0,99, also sehr gut.

 

Prävalenz 20 % (z. B. Altenheim): Richtig positiv getestet werden 140 von 200 Personen, falsch negativ sind 60 Ergebnisse. Richtig negativ erkennt der Test 760 von 800 Personen, falsch positiv 40. Der positive Vorhersagewert (140/180) beträgt nun 0,78, die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist also bei der angenommenen Prävalenz von 20 % 2,5 Mal höher anzusetzen als bei der niedrigen Prävalenz von 3 %. Der negative Vorhersagewert (760/820) ist 0,93. Immerhin 7 % der negativ Getesteten tragen das Virus in sich und können es verbreiten. Prävalenz 80 % (z. B. Isolierabteilung): Bei einer besonders hoch geschätzten Prävalenz von 80 % sind von 1 000 Getesteten 800 infiziert, von denen der Test 560 erkennt und 240 nicht. Richtig negativ erkannt werden 190 von 200 Personen, falsch positiv sind 10. Der positive Vorhersagewert (560/570) erreicht sichere 0,98, während der negative Vorhersagewert auf 0,44 sinkt. 56 % Prozent der negativ Getesteten tragen das Virus in sich und können es weitergeben.

 

Das bedeutet: In einer Population mit niedriger Prävalenz – z. B. 3 %, wie bevölkerungsweit bei COVID-19 anzunehmen – und unter der Prämisse einer niedrigen effektiven Test-Sensitivität von 70 % ist der positive Vorhersagewert äußerst schwach. Ein (falsch) positiver Test kann aber eine Quarantäne der Person zur Folge haben. Je höher die Prävalenz und damit die Vortestwahrscheinlichkeit, desto höher ist die Aussagekraft eines positiven Tests einzustufen und desto niedriger ist der negative Vorhersagewert.

 

Ein hoher Anteil infizierter Personen bleibt unentdeckt, wird nicht isoliert und kann andere anstecken – wenn nicht doch ein zweites Mal getestet wird. Fazit: Bei einer hohen anzunehmenden Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion ist ein einzelner negativer Test kein Freibrief.

 

Ralf L. Schlenger: PCR-Tests auf SARS-CoV-2. Ergebnisse richtig interpretieren. In: Deutsches Ärzteblatt 2020; 117(24): A-1194 / B-1010. Online: https://www.aerzteblatt.de/archiv/214370

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz folgende

 

ANFRAGE

 

1.    Kennen Sie und Ihre Experten die oben angeführte amerikanische Studie, die neun PCR-Tests aus den USA, China, Hongkong und Deutschland verglichen hat?

2.    Wenn ja, welche Konsequenzen wurden daraus im BMSGPK gezogen?

3.    Wie wurde diese Fachmeinung im Zusammenhang mit den PCR-Tests gegenüber den Landessanitätsdirektionen, den Krankenanstalten und dem niedergelassenen Bereich kommuniziert?

4.    Wie wurde mit dieser Problematik seit Ausbruch von COVID-19 in Österreich generell bei Testungen in Österreich im Zusammenhang mit COVID-19 umgegangen?

5.    Welche Folgerungen aus diesen Ergebnissen aus der Beurteilung von PCR-Tests ziehen Sie und Ihre Experten im BMSGPK und in der AGES für den zukünftigen Umgang mit COVID-19 bzw. auch anderen Epidemien und Pandemien?

6.    Wurden seitens der Bundesregierung bzw. des BMSGPK Studien oder ein Ringversuch in Auftrag gegeben, um die in Österreich verwendeten PCR-Test zu evaluieren?

7.    Wenn ja, mit welchem Resultat?

8.    Sind Ihnen die auftretenden Messfehler bekannt?

9.    Wenn ja, welche Maßnahmen zur Ausweisung dieser Messfehler sind getroffen worden?

10. Inwiefern wurden die systematischen Messfehler aus den offiziellen Daten eliminiert?

11. Ist bekannt, welche Stämme von Coronaviren im Allgemeinen und von SARS CoV-2 im Speziellen in Österreich zirkulieren bzw. im Jahr 2020 aufgetreten sind?

12. Wenn ja, wie verbreitet sind diese Stämme und wie hoch ist die Zahl der jeweiligen Infizierten im Jahr 2020?

13. Ist bekannt, auf welche dieser Coronaviren-Stämme die PCR-Testkits standardisiert sind?

14. Wenn ja, auf welche?