3455/J XXVII. GP

Eingelangt am 23.09.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Mag. Christian Drobits und GenossInnen

an den Bundesminister für Finanzen
betreffend „Staatskommissäre"

Der Bundesminister für Finanzen hat zur Ausübung seines Aufsichtsrechtes bei jeder Pensionskasse einen Staatskommissär und dessen Stellvertreter zu bestellen (§ 34 PKG ). § 76 Bankwesengesetz (BWG) sieht vor, dass bei Kreditinstituten, deren Bilanzsumme eine Milliarde Euro übersteigt, ein Staatskommissär sowie ein Stellvertreter zu bestellen ist. Weiters ist bei Kapitalanlagegesellschaften, Kapitalanlagegesellschaften für Immobilien und Betrieblichen Vorsorgekassen ein Staatskommissär sowie ein Stellvertreter zu bestellen.

Das Staatskommissärwesen bildet einen integralen Bestandteil der Bankenaufsicht in Österreich: seit Einrichtung der FMA als Aufsichtsbehörde im April 2002 handeln Staatskommissäre funktional als Organe der FMA und waren in dieser Funktion ausschließlich deren Weisungen unterworfen.

Gemäß § 76 Abs. 4 BWG sind der Staatskommissär und dessen Stellvertreter vom Kreditinstitut zu den Hauptversammlungen, Generalversammlungen, zu den Sitzungen des Aufsichtsrates, der Prüfungsausschüsse sowie zu entscheidungsbefugten Ausschüssen des Aufsichtsrates verpflichtend einzuladen. Die Funktion des Staatskommissärs dient insbesondere dazu, der FMA aufsichtsrelevante Sachverhalte aus den Sitzungen des Aufsichtsrates und dessen Ausschüssen zu berichten, allfällige Gefährdungstatbestände eines Institutes zeitnah aufzuzeigen und allenfalls einen Einspruch gegen Beschlüsse des Aufsichtsrates oder seiner Ausschüsse, sofern diese gegen Aufsichtsrecht verstoßen, zu erheben (FMA). Durch den Einspruch wird die Wirksamkeit des Beschlusses bis zur aufsichtsbehördlichen Entscheidung durch die FMA aufgeschoben. Der Staatskommissär ist kein Organ des Kreditinstituts und darf nicht in die operative und strategische Geschäftsführung eingreifen.

Eine interne „Richtlinie für die Tätigkeit der Staatskommissäre (Stellvertreter) bei Kreditinstituten“ der FMA regelt Rechte und Pflichten, Vorgaben zu den für die Tätigkeit als Staatskommissär notwendigen rechtlichen und ökonomischen Kenntnissen und die Grundprinzipien und Mindestinhalte des Informationsaustausches zwischen FMA und den Staatskommissären.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen nachstehende

Anfrage

1.    Welche Bundesgesetze, Verordnungen oder Richtlinien, die Sie im Rahmen ihrer Ressortverantwortung zu vollziehen haben, sehen die Bestellung von Staatskommissären vor (bitte um Aufschlüsselung der einzelnen Rechtsmaterien)?

2.    Welche persönlichen Voraussetzungen und welche Ausbildung sind jeweils zu erbringen, um als Staatskommissär bestellt werden zu können? Sind diese Anforderungen an Ausbildung etc. gesetzlich normiert? Wer beurteilt, ob die Voraussetzungen bei einer Person vorliegen, um als Staatskommissär oder Stellvertreter fungieren zu können?

3.    Die FMA hat zwecks Standardisierung und erhöhter Transparenz der Zusammenarbeit zwischen der FMA und den Staatskommissären eine aufsichtsinterne „Richtlinie für die Tätigkeit als Staatskommissär (bzw. Stellvertreter) bei Kreditinstituten“ er- und überarbeitet. Welche Vorgaben beinhaltet diese Richtlinie konkret zu den für die Tätigkeit als Staatskommissär notwendigen rechtlichen und finanztechnischen Kenntnissen? Welche gesetzliche Grundlage hat die Richtlinie?

4.    Die Auswahl und die Bestellung von Staatskommissären waren in einer Richtlinie des BMF aus dem Jahr 2007 näher geregelt. Die Richtlinie enthielt zu den gesetzlichen Kriterien des § 76 Abs. 2 BWG Konkretisierungen hinsichtlich fachlicher Auswahlkriterien, Persönlichkeitsmerkmalen und Kompetenzen, zeitlicher Verfügbarkeit, wirtschaftlicher Unabhängigkeit, Unvereinbarkeiten und Ausschließungsgründen sowie laufender Fortbildung. Ist diese Richtlinie noch in Kraft? Wurde sie seither novelliert und wenn ja wann? Welche Regelungen beinhaltet die Richtlinie detailliert zu zeitlicher Verfügbarkeit, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Unvereinbarkeiten? Welche gesetzliche Grundlage hat die Richtlinie?

 

5.    Wer konkret führt die Bestellung eines Staatskommissärs bzw.des Stellvertreters im BMF durch? Entscheidet darüber ein Kollegialorgan , der zuständige Sektionschef oder obliegt die Bestellung ausschließlich dem zuständigen Bundesminister?

6.    Welche Personen sind aufgrund der durch das BMF vorgenommenen Bestellungen seit wann und bei welchen Instituten bzw. Banken als Staatskommissäre bzw. als Ersatzmitglieder bestellt? (bitte um namentliche Nennung und um auch um Bekanntgabe, in welcher Organisation/Firma/Behörde die Staatskommissäre hauptberuflich tätig sind)

7.    Auf welche Dauer wurden diese jeweils bestellt (bitte auch nach befristet/unbefristet/wiederbestellt differenzieren)?

8.    Wie viele der Staatskommissäre sind in ihrem Haupterwerb in einem Ministerbüro oder in einer politischen Partei beruflich tätig (bitte nach Namen und Ressort gegliedert angeben)?

9.    Staatskommissäre und deren Stellvertreter erhalten eine dem § 76 (9) BWG entsprechende Vergütung (Funktionsgebühr). Wie hoch waren die Funktionsgebühren 2019 und 2020 (bitte um Aufschlüsselung auf jeweilige Banken)?

 

10. Sind Staatskommissäre bzw. deren Stellvertreter ihrer Berichtspflicht gegenüber dem BMF bzw. der FMA regelmäßig nachgekommen (derzeit § 76 Abs. 8 BWG)? Wenn nein, welche Konsequenzen wurden durch die FMA bzw. durch das BMF gezogen?

11. Wurden in den vergangenen zwanzig Jahren Staatskommissäre vom BMF vorzeitig abberufen (derzeit § 76 Abs. 3 BWG)? Wenn ja, bei welchen Banken? Wie viele waren es und was waren jeweils die Gründe?

12. Wie oft hat die FMA in den vergangenen zehn Jahren dem BMF die Abberufung von Staatskommissären vorgeschlagen?

13. Wurden für die Commerzialbank Mattersburg AG Staatskommissäre bestellt und wenn ja, in welchen Jahren? Welche Berichte hat der damals für die Commerzialbank Mattersburg AG bestellte Staatskommissär bzw. dessen Stellvertreter dem BMF bzw. der FMA übermittelt (§ 76 Abs. 5 BWG), wobei insbesondere die Jahre 2015, 2016 und 2017 infolge Whistleblower-Information von Interesse wären?

14. Beinhalteten diese Berichte u. a. auch die Verdachtsgründe des Whistleblowers, die nachfolgende Sonderprüfung der ÖNB und die Anzeige bei der StA Eisenstadt? Welche Aktivitäten hat Ihr Ressort zwecks Überprüfung dieser Berichte gesetzt? Wurden in Ihrem Ressort Untersuchungen zur Aufklärung durchgeführt und wenn ja, mit welchem Resultat?

15. Zu welchen Konsequenzen führten diese Berichte?

16. Hat die FMA diese Berichte mit den inkriminierenden Sachverhalten an die zuständige europäische Behörde weitergeleitet? Wenn nein, warum nicht?

17. Erfolgen seitens des BMF oder der FMA regelmäßige Beurteilungen des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit als Staatskommissär? Gilt dies in gleicher Weise für die Bestellung und Abberufung von Staatskommissären?

18. Gab es in den letzten 5 Jahren Einsprüche der Staatskommissäre gegen Organbeschlüsse (§ 76 Abs. 5 BWG)? Wenn ja, bei welchen Institutionen?

19. Wurden 2015, 2016 und 2017 oder in den Jahren zuvor Organbeschlüsse der Commerzialbank Mattersburg AG beeinsprucht? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

20. Mit der Novelle des Bankwesengesetzes 2007 wurde die Einstiegsschwelle gem. § 76 Abs. 1 BWG von 375 Mio € Bilanzsumme als Schwellenwert für die Bestellung eines Staatskommissärs auf eine Milliarde € angehoben. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wurde dies damit begründet, dass „damit nicht nur der Inflationsanpassung Rechnung getragen wird, sondern auch eine Konzentration der Aufsicht auf größere Institute sowie eine administrative und finanzielle Entlastung kleinerer Institute bezweckt wird“ (Quelle).Hat sich diese Regelung aus Ihrer Sicht bewährt?

21. Planen Sie im Zuge der angekündigten Reform der Bankenaufsicht einen Gesetzesentwurf vorlegen, um die Höhe der Bilanzsumme einer Bank von einer Milliarde Euro als Voraussetzung für die Bestellung eines Staatskommissärs - wieder zu reduzieren? Wenn ja, wann? Auf auf welche Summe soll reduziert werden? Wenn nein, warum nicht?

22. Werden seitens der Staatskommissäre Gefährdungstatbestände festgestellt: welche weitere Vorgehensweise werden seitens der FMA bzw. des BMF getroffen? Wurden in den letzten Jahren Gefährdungstatbestände bei Banken verifiziert und dokumentiert und wenn ja, welche?