3634/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.10.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Frauen und Integration im Bundeskanzleramt

betreffend Postenbesetzung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam"

 

Am Freitag, den 18. September 2020, wurde die Geschäftsführerin der neuen "Dokumentationsstelle Politischer Islam" bekanntgegeben. Es handelt sich um Lisa Fellhofer, langjährige ÖIF-Mitarbeiterin aus dem Bereich Wissensmanagement und Internationales. Aber auch die restlichen Postenbesetzungen im wissenschaftlichen Beirat stehen seit letzter Woche fest: Susanne Schröter vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, der US-Extremismusforscher Lorenzo Vidino, der deutsche Jurist Mathias Rohe, die Wiener Religionswissenschafterin Handan Aksünger-Kizil, der Historiker Heiko Heinisch, der Linzer Jurist Herbert Kalb, der Integrationsexperte Kenan Güngör und die Schweizer Politikwissenschafterin Elham Manea bilden unter der Leitung des Islamwissenschafters Mouhanad Khorchide den 9-köpfigen wissenschaftlichen Beirat.1

Während die "Dokumentationsstelle Politischer Islam" von Seiten der Integrationsministerin insbesondere nach den Ausschreitungen türkischer Nationalisten in Favoriten als wichtige Maßnahme im "Kampf gegen den politischen Islam" präsentiert wurde, wurde sie von anderen Seiten wie der IGGÖ und anderen Teilen der muslimischen Community, von Teilen der Grünen und auch in der medialen Berichterstattung durchaus kritisch gesehen.2 Die Hauptbedenken waren, dass die vermeintlich unabhängige Dokumentationsstelle durch parteipolitische Vereinnahmung ihren eigentlichen Zweck verfehle, für Aufklärung und Monitoring im Bereich des religiös motivierten Extremismus zu sorgen und stattdessen zu einem undifferenzierten Überwachungsapparat allein der muslimischen Bevölkerung wird, die durch die einseitige Betrachtungsweise pauschal stigmatisiert und noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt würde. Durch die befürchtete parteipolitische Vereinnahmung der vermeintlich unabhängigen Dokumentationsstelle bekäme die ÖVP die notwendige wissenschaftliche Legitimation für ihren harten Integrationskurs, wie es auch schon bei einigen "Studien" des ÖIF sehr stark den Anschein erweckte (siehe hierzu 3014/J und 3067/J).

Ein weiterer zentralen Kritikpunkt neben der Gefahr der parteipolitischen Vereinnahmung ist die Benennung der Dokumentationsstelle und die damit einhergehende inhaltliche Verengung auf den Kampfbegriff "Politischer Islam". Der Begriff "Politischer Islam" sei wissenschaftlich nicht hinreichend definiert, wie auch Kenan Güngör betont, der ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Beirates ist.3 Zudem wird die Dokumentationsstelle der im Regierungsprogramm angekündigten "Schaffung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierter politischer Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" im thematischen Umfang wohl kaum gerecht. Stattdessen wird sich exklusiv auf das gefährliche Fremde fokussiert, Extremismus aus anderen religiösen oder ideologischen Bereichen wird komplett ausgeklammert.

Die aktuelle Postenbesetzung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" wirft vor diesem Hintergrund weitere Fragen auf. Die vermeintlich unabhängige Dokumentationsstelle soll von Lisa Fellhofer geleitet werden, die einerseits keine spezifische Qualifikation im Bereich des religiös motivierten politischen Extremismus aufzuweisen scheint, die aber gleichzeitig seit der Besetzung des Integrationsthemas durch ÖVP-Sebastian Kurz im Jahr 2011 beim ÖIF als Leiterin des Bereichs Wissensmanagement und Internationales angestellt war. Der ÖIF steht seit längerem in der Kritik, sich in seiner Schwerpunktsetzung, Rhetorik und auch Forschungsarbeit stark an die ÖVP angenähert zu haben (vgl. erneut 3014/J und 3067/J). Dass ausgerechnet eine Person aus dem ÖIF die Leitung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" übernehmen soll, die sonst über keine ersichtlichen Qualifikationen dieser inhaltlich sehr eng gefassten Dokumentationsstelle aufweist, erscheint hinterfragenswert, v.a. da sich insgesamt 11 Personen für diese Position beworben haben sollen.4

Auch einige Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates weisen deutliche Überschneidungen zur Stoßrichtung der ÖVP auf. Einige der Mitglieder eint ein einseitiger, teilweise pauschalisierender, alarmierender Islam-Diskurs, der durch die Sprache und Themensetzung (Extremismus, Unterdrückung der Frau, Gewaltbereitschaft, islamischer Antisemitismus, ideologische Unterwanderung, Terrorismus etc.) stark negativ konnotiert ist. Mouhanad Khorchide, Leiter des wissenschaftlichen Beirates, sagt in einem STANDARD-Interview in Bezug auf den "naiven" Umgang mit der IGGÖ am 21. Juli 2020: "Wir dürfen nicht warten, bis die Bombe explodiert, und uns danach fragen, was man hätte tun können".5 Heiko Heinisch wiederum, der sich klar für ein Kopftuchverbot in Schulen ausspricht und in diesem Zusammenhang vor "muslimischer Abkapselung in unserer Gesellschaft" warnt, verwehrt sich gegen die Verwendung des Begriffs "Islamophobie", da es an einer "brauchbaren Definition" mangelt,6 hat aber keine Berührungsängste bei dem Begriff "Politischer Islam", wie sein 2019 erschienenes Buch "Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert" zeigt. Auch Susanne Schröter publiziert mit ihrem 2019 erschienenen Buch "Politischer Islam. Stresstest für Deutschland" in diese Richtung. Die Grüne Nationalratsabgeordnete und Integrationssprecherin, Faika El-Nagashi, ortet hier neben einer fachlich nicht qualifizierten Leitung einen "tendenziös besetzten Beirat", der teilweise "ausgrenzende und diffamierende Strategien gegenüber der muslimischen Zivilgesellschaft entwickelt und vervielfacht." Es seien erneut die "Haus- und Hof-Expert_innen" u.a. des ÖIF herangezogen worden, die schon in der Vergangenheit die wissenschaftliche Legitimation für "Skandalisierung, Diffamierung, Ausgrenzung, Kriminalisierung" von Muslim_innen geliefert hätten.7

NEOS halten die Möglichkeit der parteipolitischen und/oder ideologischen Färbung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" für höchst bedenklich, gerade weil religiös motivierter politischer Extremismus unter bestimmten Zuwanderungsgruppen und Geflüchteten durchaus ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Daher braucht es auch evidenzbasierte, sachliche und nachhaltige Maßnahmen ohne pauschalisierende Vorverurteilung, Polarisierung und Spaltung - aber auch ohne Verharmlosung.

 

1https://www.aomweb.apa.at/portal/restricted/text.htm?txtSession=kd7hyLBiWz07AdBsm-OO7GeLVPnmcHEw4stRCia0&hist=12&index=0&scrollPos=0#show&key=APA_20200918_APA0160&date=20200918

2 https://www.derstandard.at/story/2000118645702/dokumentationsstelle-politischer-islam-sie-hat-nur-eine-chance

3https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2052548-Der-politische-Islam-als-Unbekannte.html

4 siehe Fn. 1

5https://www.derstandard.at/story/2000118871137/islamtheologe-khorchide-politischer-islam-viel-gefaehrlicher-als-jihadismus

6https://kurier.at/chronik/oesterreich/historiker-der-islam-wird-nach-anderen-kriterien-beurteilt/262.647.440

7 https://www.facebook.com/elnagashi/photos/a.620130354821519/1760456880788855/

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Welche Personen waren in die Entscheidung über die Postenbesetzung der Leitung der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" involviert und aus welchen Institutionen und Organisationen stammen diese Personen?

a.    Inwiefern waren Sie selbst in diesen Prozess involviert?

2.    Wie viele Bewerbungen gab es insgesamt für die Stelle der Leitung der Dokumentationsstelle?

3.    Gibt es einen Leitfaden oder dergleichen, der dem Bewerbungsprozess zugrunde lag und den Sie uns übermitteln können?

4.    Wie viele Bewerbungsrunden gab es für die Stelle der Leitung der Dokumentationsstelle und wie viele Personen wurden zur jeweiligen Runde eingeladen (bitte geben Sie auch das Geschlecht der Personen an, die zur jeweiligen Runde eingeladen wurden)?

5.    Über welche Qualifikationen wie Ausbildung, Berufserfahrung, frühere Positionen, einschlägige Publikationen etc. verfügen die genannten Bewerber_innen für die Leitung der Dokumentationsstelle (bitte antworten Sie für jede_n Bewerber_in einzeln)?

6.    Auf Basis welcher Kriterien bzw. Qualifikationen (siehe Frage 4) wurde die Postenbesetzung der Leitung der Dokumentationsstelle vorgenommen?

7.    Welche Qualifikationen (siehe z.B. Frage 4) wurden im Bewerbungsprozess ganz konkret abgefragt und in welcher Form überprüft?

8.    Auf Basis welcher Qualifikationen hat man sich schließlich für Lisa Fellhofer entschieden und wer war aller in diesen Entscheidungsprozess eingebunden?

9.    Über welche fachliche Qualifikation im Bereich religiös motivierter politischer Extremismus bzw. "Politischer Islam" verfügt Frau Fellhofer als Leiterin der "Dokumentationsstelle Politischer Islam"?

10. Über welche einschlägige Ausbildung verfügt Lisa Fellhofer, die für diese Position relevant ist?

11. Hat Lisa Fellhofer bereits Publikationen zum Thema religiös motivierter politischer Extremismus herausgegeben oder auf andere Weise Expertinnenwissen zu dem Thema erlangt?

12. Aufgrund welcher Fähigkeiten und Merkmale hat sich Lisa Fellhofer gegen ihre Mitbewerber_innen durchgesetzt - wo konnte Sie mehr überzeugen?

13. Hat Lisa Fellhofer in der Vergangenheit direkt oder indirekt mit Ihnen und Sebastian Kurz im Bereich Integration zusammengearbeitet und wenn ja, wie sah diese Zusammenarbeit genau aus und wie lange dauerte sie an?

14. Sehen Sie die Befürchtung als begründet an, dass durch die Nominierung von Frau Fellhofer parteipolitische Interessen befördert und über fachliche Qualifikation gestellt werden (bitte begründen Sie Ihre Antwort)?

a.    Wie können Sie gewährleisten, dass keine parteipolitische Einflussnahme bei der Nominierung von Frau Fellhofer stattgefunden hat?

b.    Haben Sie bei Ihrer Nominierung

15. Sie haben sich bereits lange vor der Postenbesetzung durch Lisa Fellhofer dafür ausgesprochen, dass diesen Posten eine Frau bekommen soll, ohne diese Aussage fachlich zu begründen. Wie begründen Sie also diese Geschlechterpräferenz?

a.    Wie begründen Sie diese Geschlechterpräferenz von einem fachlich-inhaltlichen Standpunkt aus?

b.    Wie begründen Sie diese Geschlechterpräferenz von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus?

c.    Gibt es noch andere arbeitsbezogene Gründe für diese Geschlechterpräferenz?

d.    Hielten Sie es für ebenso angebracht, von vornherein einen Mann für eine leitende Position dieser Art zu fordern, ohne eine Begründung für diese Geschlechterpräferenz anzugeben?

e.    War die Tatsache, dass Lisa Fellhofer eine Frau ist, ein Kriterium bei der Postenbesetzung und falls ja, wie wurde dieses Kriterium gewichtet?

16. Welche Personen waren in die Entscheidung über die Postenbesetzung des wissenschaftlichen Beirates der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" involviert und aus welchen Institutionen und Organisationen stammen diese Personen?

a.    Inwiefern waren Sie selbst in diesen Prozess involviert?

17. Wie viele Personen haben sich genau als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Dokumentationsstelle beworben?

18. Wie viele Personen haben sich genau für die Leitung des wissenschaftlichen Beirates der Dokumentationsstelle beworben?

19. Gibt es Leitfäden oder dergleichen, die den Bewerbungsprozessen in Frage 17 und 18 zugrunde lagen und die Sie uns übermitteln können?

20. Sind Sie oder andere in den Postenbesetzungsprozess involvierte Personen proaktiv an Personen herangetreten, sich für den wissenschaftlichen Beirat zu bewerben und wenn ja, an welche Personen sind Sie genau herangetreten und warum?

21. Befinden sich nun Personen im wissenschaftlichen Beirat, an die Sie oder andere in den Postenbesetzungsprozess involvierte Personen proaktiv herangetreten sind, sich zu bewerben?

22. Wie viele Bewerbungsrunden gab es für die Stelle der Leitung des wissenschaftlichen Beirates und wie viele Personen wurden zur jeweiligen Runde eingeladen (bitte geben Sie auch das Geschlecht der Personen an, die zur jeweiligen Runde eingeladen wurden)?

23. Wie viele Bewerbungsrunden gab es für die Stellen als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und wie viele Personen wurden zur jeweiligen Runde eingeladen (bitte geben Sie auch das Geschlecht der Personen an, die zur jeweiligen Runde eingeladen wurden)?

24. Auf Basis welcher Kriterien bzw. Qualifikationen (siehe Frage 4) wurde die Postenbesetzung der Leitung des wissenschaftlichen Beirates vorgenommen?

25. Auf Basis welcher Kriterien bzw. Qualifikationen (siehe Frage 4) wurde die Postenbesetzung der restlichen Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates vorgenommen?

26. Welche Qualifikationen (siehe z.B. Frage 4) wurden im Bewerbungsprozess um die Leitung und Mitgliedschaft im wissenschaftlichen Beirat ganz konkret abgefragt und in welcher Form überprüft?

27. Auf Basis welcher Qualifikationen hat man sich schließlich für die aktuelle Besetzung des wissenschaftlichen Beirates entschieden und wer war aller in diesen Entscheidungsprozess eingebunden?

28. Haben Personen, die im wissenschaftlichen Beirat tätig sind, in der Vergangenheit in irgendeiner Form mit dem Integrationsministerium bzw. dem für Integration zuständigen Ministerium oder einer anderen staatlichen Institution oder Organisation wie dem ÖIF zusammengearbeitet?

a.    Wenn ja, um wen handelt es sich, wie sah diese Zusammenarbeit aus und wie lange dauerte sie an?

29. Wie garantieren Sie, dass diese Dokumentationsstelle auch tatsächlich unabhängig und frei von parteipolitischem Einfluss bleibt?

a.    Ist die Dokumentationsstelle in irgendeiner Art und Weise dem ÖIF, dem Integrationsministerium bzw. Ihnen weisungsgebunden?