3653/J XXVII. GP

Eingelangt am 07.10.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Philip Kucher,
Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend „Corona-Ampel: von der Geheimwaffe zur Geheimwissenschaft?“

 

Nach Ausbruch des Corona-Virus haben sich viele Menschen bei der ein oder anderen Maßnahme, die von der Regierung getroffen wurde, auf den Kopf gegriffen: geschlossene Bundesgärten, bestrafte Spaziergänger, die auf einer Parkbank zum Zeitunglesen verweilten, geschlossene Kindergärten, obwohl in manchen Bezirken Österreichs kein einziger Corona-Fall zu verzeichnen war. Besonders bei der Lockerung der strengen Corona-Maßnahmen fehlte es an Nachvollziehbarkeit der getroffenen Schritte: Ehe es noch einen Plan für Schulen und Kinder gab, erfreuten sich Golfspieler über wieder geöffnete Golfplätze, einzelne Regionen in Österreich waren wochenlang ohne eine einzige Neuinfektion, gelockert wurde aber im gleichen Tempo, wie in schwer betroffenen Regionen – etwa im Bezirk Landeck. Public-Health Experte Martin Sprenger beschrieb dieses Vorgehen der Regierung in einem Interview mit der Rechercheplattform Addendum im Mai so:

„Wir fahren mit Schneeketten auf der trockenen Straße“[1]

(Addendum, 21.Mai 2020)

ExpertInnen forderten daher von der Politik bereits im Frühjahr mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die gesetzten Maßnahmen ein. Die Einführung der Corona-Ampel 6 Monate nach Ausbruch der Krise ist daher ein längst überfälliger Schritt, der eigentlich spätestens mit den Lockerungen im Frühjahr hätte kommen sollen.

Die Ampel sollte ein Werkzeug zur Einschätzung der epidemischen Lagen auf Basis von Schlüsselindikatoren sein. Sie hätte eine Geheimwaffe im Kampf gegen das Coronavirus sein können, ein Instrument, um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der gesetzten Maßnahmen zu erhöhen, ein Mittel, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. Um Orientierung zu geben, wie die Situation in der Region, in der ich lebe, gerade einzuschätzen ist. Oder im engsten Sinne des Wortes „Ampel“: sie hätte eine Kreuzung regeln sollen, je nach Farbe, wissen Menschen Österreichweit zu tun ist: weiterfahren, Tempo mindern und Acht geben, oder Stopp und stehen bleiben.

Was bisher aber bedauerlicherweise von der Corona-Ampel bleibt: aus dem Projekt wurde eine Geheimwissenschaft. Niemand weiß genau, auf welcher Basis die für die Ampelschaltung eingerichtete Kommission nun entscheidet. Zur Anwendung kommen vier Indikatoren (Infektionszahlen, Anzahl der Testungen, Quellensuche/Cluster, Ressourcen im Gesundheitswesen), wie stark diese vier Indikatoren gewichtet werden, wird weder offengelegt, noch dürfte Gewichtungsfaktoren einheitlich angewendet werden. Gegenüber der Kleine Zeitung vom 08.09.2020 heißt es dazu seitens ihres Ministeriums, es „werde gerade an einem Datenmanual gearbeitet, man sei am Finalisieren“. 

In der Praxis bedeutet dies die Ampel schaltet derzeit eher willkürlich, als nachvollziehbar auf die verschiedenen Farben um. Wenig überraschend ist daher, dass viele die Entscheidung aus der ersten Ampel Kommission vom 04.09.2020 nicht nachvollziehen konnten.

Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) sprach von einer „nicht nachvollziehbaren“ Entscheidung und sagte: „Ich war überrascht und – je mehr ich mich mit den Fakten des Ministeriums beschäftigt habe – auch entsetzt, denn das erweckt den Eindruck der Willkürlichkeit und es ist auch von den Fakten nicht nachvollziehbar, dass Linz „Gelb“ ist.“[2] (orf.at, 04.09.2020). Im Bezirksranking - gemessen an der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen - liege Linz bundesweit auf Platz 32, viele weiter vorne gereihte Bezirke seien auf der Ampel grün. Man müsse auch das Umfeld betrachten, betonte der Bürgermeister, so seien von den 250 Intensivbetten in Oberösterreich derzeit drei belegt, "kein einziges von einem Linzer oder einer Linzerin".

Die Kommission ein Geheimbund?

Für Verwunderung sorgte auch die Aussagen eines Mitgliedes der Corona-Ampel-Kommission: Elisabeth Puchhammer -Stöckl, Virologin und Mitglied der Corona-Ampel Kommission, musste in der Zeit im Bild 2 am 04.09.2020 zur Verteidigung ausrücken. Sie meinte zur Entscheidung, Linz auf Gelb zu setzen, zwar, dass es eine Diskussion gegeben habe, deren Details sie wegen Vertraulichkeitsvereinbarungen nicht wiedergeben könne.

Für einiges an Verwirrung sorgte auch die Corona-Ampel an Schulen: Noch vor Schulbeginn wurde von Bildungsminister Heinz Faßmann eine Verordnung zur Bewältigung der COVID-19 Folgen im Schulwesen für das Schuljahr 2020/21 erlassen. Darin wurden auch die Maßnahmen verordnet, die die Schulen je nach Corona-Ampel Schaltung umzusetzen sind. Überraschend war allerdings, dass die für den Schulbereich geltende Ampel Schaltung nicht auf die durch die Bundesregierung seit Monaten angekündigte Corona-Ampel Bezug nimmt. Am 6. September hat dieser dann gegenüber Martin Thür im Rahmen eines Zib2 Interviews versprochen, man werde keine eigene Ampel-Schaltung für Schulen vornehmen, sondern sich an jener ihres Ressorts halten.

Nur wenige Tage später wurden allerdings – ungeachtet der Ampelschaltung und des bereits geltenden Maßnahmenkatalogs - eine allgemeine Maskenpflicht für Schulen angekündigt. Die entsprechende Verordnung musste daher bereits nach einer Schulwoche angepasst werden. Auch bei „grün“ ist nun an den Schulen außerhalb des Klassenzimmers eine Maske zu tragen.  Auf Grund der schnell steigenden Infektionszahlen stufte die Corona-Kommission am 14. September sieben Bezirke auf „orange“ – also die aus virologischer Sicht zweit höchste Sicherheitsstufe.

Wiederum für Überraschung sorgte, dass trotz der Umstellung der Coronavirus-Ampel des Gesundheitsministers, die „Schul-Ampel“ auf „gelb“ blieben. Damit änderte sich an den Schulen nicht viel – zur Verwirrung von Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen, denn eigentlich hatte es geheißen, dass bei Ampelfarbe Orange die Oberstufe in den Heimunterricht wechselt. Entgegen der Ankündigung zum Schulstart schaltet die Ampel wohl jetzt doch unabhängig von jener des Gesundheitsministeriums. Dennoch antwortete die Sprecherin der Corona-Kommission Daniela Schmid gegenüber der Tageszeitung die Presse am 26.09.2020 auf die Frage, wie sinnvoll die Bildungsampel sei: „Die hat es nie gegeben. Das war nur eine unglückliche Kommunikation.“ Die entsprechende Verordnung des Bildungsministers ist aber freilich weiterhin in Kraft.

Darüber hinaus stellte sich nach elf Tagen Hin und Her um die Frage, ob an die Ampel Farbe nun auch Maßnahmen geknüpft sind, heraus: Die Corona-Ampel dient aktuell vorwiegend zur Information der Bürger und ist nicht rechtsverbindlich. Es gilt die jeweils aktuelle COVID-19-Lockerungsverordnung. Die Farben der Corona-Ampel sagen damit nichts zu den Maßnahmen in Österreich aus. Der Effekt: die Bevölkerung ist stark verunsichert, niemand kennt sich mehr aus, was, wann, wo und wie zu tun ist.

In den Oberösterreichische Nachrichten vom 25.09.2020 haben Sie im Rahmen eines Interviews gesagt:

„Die Corona-Ampel wird uns noch sehr viel Freude bereiten. Wir haben damit das beste Risikoanalyse-Instrument in Europa. Wir wissen präzise, wo die Lage wie ist.“

Mit der Realität hat dies leider wenig zu tun. Zusammenfassend kann zur Corona-Ampel bisher folgendes gesagt werden:

Sie hätte das Potential gehabt eine Geheimwaffe im Kampf gegen das Virus zu sein. In der Praxis ist sie leider eine Geheimwissenschaft und so komplex, dass sie weder für BürgermeisterInnen, die diese auf Gemeindeebene umzusetzen haben, noch für BürgerInnen, die sich an die Maßnahmen zu halten haben, verständlich und nachvollziehbar ist. Niemand kennt sich in Österreich mehr aus, was wo gilt. Die Ampel-Kommission arbeitet wiederum als eine Art „Geheimbund“, denen Verschwiegenheitsklauseln vorgeschrieben wurden. Transparenz sieht anders aus.

 

 

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

 

1)    Auf der Homepage ihres Ministeriums ist zur Ampel folgendes zu lesen[3]: „Damit ist die Corona-Ampel ein Werkzeug für eine einheitliche, koordinierte und transparente Vorgehensweise der Behörden. Sie informiert die österreichische Bevölkerung über das Risiko in einer bestimmten Region und auch über die eventuellen Maßnahmen, die gesetzt werden.“ Kein einziges dieser Ziele lässt sich derzeit (Stand: 05.10.2020) realisieren. Warum nicht? Bitte um detaillierte Begründung.

 

2)    Warum hat es so lange gedauert, bis die Corona-Ampel endlich rechtlich verankert wurde?

 

3)    Kam es zu Verzögerungen bei den Verhandlungen mit den Bundesländern?

a.    Auf welche Probleme haben diese bei der Umsetzung der Corona-Ampel hingewiesen?

b.    Wurden diese Einwände berücksichtigt?

                                  i.        Wenn ja, wie?

                                 ii.        Wenn nein, warum nicht?

 

4)    Kam es zu Verzögerungen den Verhandlungen mit den anderen Ministerien?

a.    Auf welche Probleme haben diese bei der Umsetzung der Corona-Ampel hingewiesen?

b.    Wurden diese Einwände berücksichtigt?

                                  i.        Wenn ja, wie?

                                 ii.        Wenn nein, warum nicht?

 

5)    Die Farben der Corona-Ampel sagen nichts zu den Maßnahmen aus. Warum nicht?

a.    Von wem wurde diese Entscheidung wann und mit welcher Begründung getroffen?

b.    Begrüßen Sie diese Entscheidung?

 

6)    Wie hoch sind die Gesamtkosten für die Entwicklung und Umsetzung des Corona-Ampelsystems (Bitte um detaillierte Aufschlüsselung der Gesamtkosten jeweils nach Kostenposition)?

 

7)    Welche Agenturen wurden seitens Ihres Ministeriums mit Aufträgen im Zusammenhang mit der Corona-Ampel betraut?

a.    Gab es für diese Aufträge eine öffentliche Ausschreibung?

b.    Wenn ja, in welcher Form?

c.     Welche Kosten waren damit verbunden (bitte um separate Aufgliederung nach Agentur, jeweilige Leistung und Kosten)?

 

8)    Wie hoch waren die Ausgaben für externe Beratungsleistungen die in Zusammenhang mit der Corona-Ampel stehen insgesamt (bitte Einzelaufschlüsselung nach beauftragtem Unternehmen, Kosten, Zweck und Umfang der Beratungsleistung)?

 

9)    Bildungsminister Faßmann führte mit einer eigenen Verordnung[4], die am 03.09.2020 erlassen wurde, überraschend ein eigenes Ampel-System für Schulen ein.

a.    Wurde diese mit Ihrem Ressort abgeklärt?

b.    Begrüßen Sie, dass es ein eigenes Schul-Ampel-System gibt? Bitte um detaillierte Begründung aus epidemiologischer Sicht.

 

10) Gibt es auf Bundes-, Landes- oder Bezirksebene neben dem Bildungsministerium noch andere Bestrebungen eigene Ampelsysteme einzuführen? Medialen Berichten zu Folge setzt die steirische Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauss eine eigene Ampel für den Pflegebereich in der Steiermark um.

 

11) Die in der Ampelschaltung vom 03.09.2020 auf „gelb“ eingestuften Regionen konnten allesamt nicht nachvollziehen, nach welchen Kriterien (insb. Gewichtung der vier bekannten Kriterien) sie eingestuft wurden. Bitte um Offenlegung der verwendeten Indikatoren sowie Gewichtungsfaktoren je Einstufungsfall.

 

12) Warum einzelne Regionen auf Gelb standen und andere mit höheren Infektionszahlen auf Grün bleiben, erklärt ihr Ministerium gegenüber der Kleine Zeitung vom 08.09.2020 mit der hohen Komplexität des Systems: Das ist ein ganz komplexes System, das muss man in seiner Gesamtheit anschauen“. Die Stärke der Ampel würde aber genau im Gegenteil liegen: auf Basis von nachvollziehbaren Kriterien ein einheitliches und transparentes Vorgehen der Behörde. Je komplexer, desto höher die Gefahr, dass genau dies NICHT erreicht wird. Wie wollen Sie diesen Zielkonflikt auflösen?

a.    Planen Sie eine Änderung des Ampel-Systems?

 

13) Mit welchem Gewichtungsfaktor kommen die einzelnen Indikatoren für die Ampel-Schaltung derzeit (Stand 05.10.2020) zur Anwendung. Bitte um Auflistung des Faktors je Indikator.

 

14) Wurden seit der ersten Ampelschaltung (03.09.2020) bis zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage immer dieselben Gewichtungsfaktoren eingesetzt? Bitte um Angabe der verwendeten Gewichtungsfaktoren je Entscheidungsfall.

 

15) Warum mussten die Mitglieder der Corona-Ampel Kommission eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen? Bitte um detaillierte Darstellung und Umfang dieser Verschwiegenheitserklärung?

 

16) Gibt es Mitglieder der Ampel Kommission, die sich geweigert haben, die Erklärung zu unterzeichnen?

 

17) Welche Sanktionen drohen bei Bruch dieser Verschwiegenheitserklärung?

 

18) Wie passen Verschwiegenheitserklärungen mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Ampel-Systems zusammen?

 

19) Haben Sie als Minister auf diese Verschwiegenheitserklärung bestanden?

a.    Wenn nein, welches Mitglied der Bundesregierung forderte eine Verschwiegenheitserklärung für die Mitglieder der Kommission?

b.    War Sebastian Kurz darüber informiert/einverstanden?

 

20) Die Ampel-Kommission muss frei von der Message-Control des Bundeskanzlers fungieren können. Wie stellen Sie das sicher? Bitte um Darstellung der von Ihnen unternommenen Handlungen, seit dem Versuch der politischen Einflussnahme seitens des Bundeskanzleramtes.  

 

21) Sie haben nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs zu den Corona-Maßnahmen mehrmals versprochen, dass Sie ihr Ressort neu strukturieren und die Qualität der Legistik ihres Ressorts steigen soll.

a.    Welche Maßnahmen wurden bisher getroffen?

b.    Warum passieren weiterhin so grundlegende Fehler?

Wie kann es sein, dass Verfassungsjuristen immer noch laufend die Legistik und das rechtliche Vorgehen Ihres Ressorts kritisieren?

 

22) Sie haben ein gesetzlich vorgesehenes Beratungsorgan in Gesundheitsfragen – den Obersten Sanitätsrat. Warum wird dieser nicht mit den Corona-Fragen befasst?

 

23) Die bisher letzte Sitzung des OSR fand im Herbst 2019 in der Zeit der Beamtenregierung statt, eine Neubestellung des Gremiums wurde nicht durchgeführt. Wie konnte es geschehen, dass ein – gerade für Zeiten einer Pandemie gedachtes und bitter notwendiges Gremium – wie der Oberste Sanitätsrat nicht mehr einberufen wurde?



[1] https://www.addendum.org/coronavirus/martin-sprenger-video-interview/

[2] https://ooe.orf.at/stories/3065332/

[3] https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Corona-Ampel.html

[4] https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_384/BGBLA_2020_II_384.html