4300/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.11.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Push-Backs an der österreichischen Südgrenze

 

Das Non-Refoulement-Gebot besagt, dass Menschen nicht in Länder zurückgeschickt werden dürfen, in denen ihnen Gefahr von Folter oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung droht. Push-Backs – also sofortige Zurückweisungen von Fremden an der Grenze ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen – sind ein Verstoß gegen das Non-Refoulement-Gebot und daher menschenrechtswidrig und unzulässig. 

Seit Monaten wird von den Medien über solche illegalen Push-Backs entlang der Balkanroute und die Verletzung von Menschenrechten an der kroatisch-bosnischen Grenze berichtet. Medienberichten vom 16.11.2020 zufolge soll nun auch Österreich an Push-Backs beteiligt sein. Zumindest in zwei Fällen vom 5. und 28. September 2020 sollen österreichische Behörden Menschen aufgegriffen und an die slowenischen Behörden übergeben haben, ohne ein Verfahren durchzuführen, und das obwohl die Betroffenen "Asyl" gesagt hätten (https://www.derstandard.at/story/2000121752241/berichte-ueber-illegale-pushbacks-von-migranten-an-oesterreichischer-grenze). Danach soll es zumindest bei einigen der Personen zu einer Kettenabschiebung bis nach Bosnien gekommen sein. Da auch Kettenabschiebungen gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoßen, wäre eine solche Vorgehensweise unzulässig. 

Dass überhaupt noch Grenzkontrollen an den Schengener Binnengrenzen stattfinden, ist außerdem europarechtlich bedenklich. Die Kontrollen dürfen nur "unter außergewöhnlichen Umständen" eingeführt und auf höchstens bis zu zwei Jahren verlängert werden. Ein Ausnahmezustand ist jedoch angesichts der stetig zurückgehenden Asylantragszahlen nicht mehr gegeben. Laut EuGH (Urt. v. 19.03.2019, Az. C-444/17) darf bei Grenzkontrollen an den Binnengrenzen kein vereinfachtes Verfahren stattfinden; es muss also festgestellt werden, in welcher rechtlichen Situation die Person sich befindet und welches Verfahren anwendbar ist. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage:

 

1.    Stimmt es, dass am 5.9.2020 in der Nähe der steirischen Ortschaft Laafeld fünf Personen von nachgeordneten Behörden des BMI aufgegriffen worden sind?

2.    Wenn ja, wo genau wurden die Personen aufgegriffen?

a.    Befanden sie sich im Grenzkontrollbereich?

3.    Wie viele Beamt_innen waren in den Aufgriff der Personen involviert?

4.    Waren diese Beamt_innen uniformiert?

5.    Waren Beamt_innen in Zivilkleidung in die Aktion involviert?

6.    Wie viele Fahrzeuge (PKW, Hubschrauber, etc.) der Bundesbehörden waren dazu im Einsatz?

7.    Durch was wurde dieser Einsatz ausgelöst?

8.    Wie viele Kosten hat dieser konkrete Einsatz verursacht?

9.    In welcher rechtlichen Situation befanden sich die Personen?

a.    Welches Verfahren war demnach anwendbar (Dublin, Rückführungsverfahren etc.)? 

10. Waren minderjährige Personen dabei?

a.    Wenn ja, waren diese begleitet oder unbegleitet?

b.    Wenn ja, wie viele jeweils?

c.    Wurden diese aufgrund ihrer Minderjährigkeit einem anderen Verfahren unterzogen?

                                      i.Wenn ja, welchem?

11. Stimmt es, dass die aufgegriffenen Personen das Wort "Asyl", "asylum" oder Ähnliches gesagt haben?

a.    Wenn ja, wie oft?

12. Wurde den Personen die Möglichkeit gegeben, einen Asylantrag zu stellen?

a.    Wenn ja, inwiefern wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.    Wer hat darüber entschieden, ob sie einen Asylantrag stellen können?

13. Wie lange wurden die Betroffenen von nachgeordneten Behörden des BMI festgehalten, bevor sie an die slowenischen Behörden übergeben wurden?

14. Wo wurden die aufgegriffenen Personen in dieser Zeit festgehalten?

15. Bekamen sie in dieser Zeit Nahrung und Wasser?

16. Auf welcher Rechtsgrundlage wurden die Betroffenen jeweils an die slowenischen Behörden übergeben? 

17. Wussten die nachgeordneten Behörden des BMI, dass die aufgegriffenen Personen von den slowenischen an die kroatischen Behörden weitergegeben würden?

18. Stimmt es, dass am 28.9.2020 in der Nähe der steirischen Ortschaft Halbenrain sieben Personen von nachgeordneten Behörden des BMI aufgegriffen worden sind?

19. Wenn ja, wo genau wurden die Personen aufgegriffen?

a.    Befanden sie sich im Grenzkontrollbereich?

20. Wie viele Beamt_innen waren in den Aufgriff der Personen involviert?

21. Waren diese Beamt_innen uniformiert?

22. Waren Beamt_innen in Zivilkleidung in die Aktion involviert?

23. Wie viele Fahrzeuge (PKW, Hubschrauber, etc.) der Bundesbehörden waren dazu im Einsatz?

24. Durch was wurde dieser Einsatz ausgelöst?

25. Wie viele Kosten hat dieser konkrete Einsatz verursacht?

26. In welcher rechtlichen Situation befanden sich die Personen?

a.    Welches Verfahren war demnach anwendbar (Dublin, Rückführungsverfahren etc.)?

27. Waren minderjährige Personen dabei?

a.    Wenn ja, waren diese begleitet oder unbegleitet?

b.    Wenn ja, wie viele jeweils?

c.    Wurden diese aufgrund ihrer Minderjährigkeit einem anderen Verfahren unterzogen?

                                      i.Wenn ja, welchem?

28. Stimmt es, dass die aufgegriffenen Personen das Wort "Asyl", "asylum" oder Ähnliches gesagt haben?

a.    Wenn ja, wie oft?

29. Wurde den Personen die Möglichkeit gegeben, einen Asylantrag zu stellen?

a.    Wenn ja, inwiefern wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.    Wer hat darüber entschieden, ob sie einen Asylantrag stellen können?

30. Wie lange wurden die Betroffenen von nachgeordneten Behörden des BMI festgehalten, bevor sie an die slowenischen Behörden übergeben wurden?

31. Wo wurden die aufgegriffenen Personen in dieser Zeit festgehalten?

32. Bekamen sie in dieser Zeit Nahrung und Wasser?

33. Auf welcher Rechtsgrundlage wurden die Betroffenen jeweils an die slowenischen Behörden übergeben?

34. Wussten die nachgeordneten Behörden des BMI, dass die aufgegriffenen Personen von den slowenischen an die kroatischen Behörden weitergegeben würden?

35. Gibt es ein Abkommen bzw. eine Vereinbarung in irgendeiner Form mit den slowenischen Behörden im Sinne der Zurückweisung von asylbeantragenden Personen an der österreichisch-slowenischen Grenze?

a.    Wenn ja, welche Verabredung wurde getroffen? Bitte um genaue Erläuterung des Inhaltes.

b.    Wann wurde diese getroffen?

c.    Wie lange ist diese gültig?

d.    Wie viele Personen wurden durch diese Verabredung bereits an die slowenischen Behörden zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach Nationalität, Alter und Rechtsstatus.

36. Gibt es eine Vereinbarung über das Prozedere der Übergabe von zurückgewiesenen Personen mit den slowenischen Behörden?

a.    Wenn ja, wie sieht das vereinbarte Prozedere aus?

37. Gibt es Abkommen bzw. Vereinbarungen in irgendeiner Form im Sinne der Zurückweisung von asylbeantragenden Personen mit anderen Nachbarstaaten Österreichs?

a.    Wenn ja, mit welchen Staaten welche? Bitte um Erläuterung des Inhaltes.

38. Gibt es Vereinbarungen über das Prozedere der Übergabe von zurückgewiesenen Personen mit anderen Nachbarstaaten Österreichs?

a.    Wenn ja, mit welchen Staaten welche? Bitte um Erläuterung des Prozederes.

39. Wie viele Personen wurden in diesem Jahr an den österreichischen Grenzen aufgegriffen? Bitte um Aufschlüsselung nach Grenze und Nationalität.

40. Unabhängig einer bestehenden Verabredung mit Slowenien: Wie viele Personen wurden 2020 an die slowenischen Behörden übergeben? Bitte um Aufschlüsselung nach Nationalität, Alter und Rechtsstatus.

41. Wie viele Menschen wurden in diesem Jahr insgesamt von den österreichischen Behörden zurückgewiesen oder zurückgeschoben? Bitte um Aufschlüsselung nach Nationalität, Alter und Geschlecht der Aufgegriffenen, Grenze (Nachbarstaat) und Grenzposten, an dem die Übergabe der Personen an Behörden des Nachbarstaats erfolgte.

a.    Sollte eine Aufschlüsselung nicht möglich sein: Waren Personen mit syrischer oder afghanischer Staatsangehörigkeit unter den zurückgewiesenen Personen?

42. Unter welchen Umständen erfolgt(e) eine Zurückweisung und unter welchen Umständen erfolgt(e) eine Zurückschiebung?

43. Findet im Zurückweisungsverfahren eine Dokumentation des Verfahrens statt?

a.    Wenn ja, bitte um Beschreibung der dokumentierten Vorgänge (Einvernahme, Übergabe Informationsblätter, etc.).

44. Wird zurückgewiesenen Personen eine schriftliche Einreiseverweigerung ausgestellt und übergeben?

a.    Wenn ja, ist dies auch in den Fällen vom 5. und 28.9.2020 erfolgt?

45. Findet sich auf diesen Einreiseverweigerungen auch eine Rechtsmittelbelehrung?

a.    Wenn ja, ist eine Rechtsmittelbelehrung auch in den Fällen vom 5. und 28.9.2020 ausgehändigt worden?

b.    Wenn ja, war die Rechtsmittelbelehrung aktuell und korrekt?

46. Wissen die nachgeordneten Behörden des BMI von der unzulässigen Praxis der Push-Backs durch Slowenien und Kroatien nach Bosnien? 

a.    Wenn ja, wie wird durch die nachgeordneten Behörden des BMI sichergestellt, dass an der österreichischen Grenze aufgegriffene Personen durch eine Zurückweisung nicht Opfer einer solchen Kettenabschiebung werden?

b.    Wenn ja, werden diese Umstände im Rahmen einer Art. 3 EMRK-Prüfung berücksichtigt?

                                      i.Wenn ja, wie läuft dieses Verfahren ab?

                                    ii.Von wem wird dieses Verfahren durchgeführt?

                                   iii.Welche Länderinformationen werden hier berücksichtigt?

                                   iv.Welche Ausbildung haben die Personen, die das prüfen?

47. Gibt es Gespräche mit den zuständigen Ministern Kroatiens und Sloweniens über die Vorwürfe von illegalen Push-Backs?

a.    Wenn ja, wann haben bereits Gespräche stattgefunden?

b.    Was waren die Inhalte der Gespräche?

c.    Wenn nein, warum nicht?

48. Gibt es Absprachen mit slowenischen und kroatischen Behörden bezüglich des Zurückdrängens von aufgegriffenen Personen auf bosnisches Hoheitsgebiet? 

49. Gibt es Maßnahmen, um die durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte der Betroffenen im Zurückweisungsverfahren zu wahren und die staatliche Verpflichtung einzuhalten, Menschen nicht einer unmenschlichen Behandlung auszusetzen?

a.    Wenn ja, welche?

50. Gibt es eine interne Untersuchung bezüglich der Vorwürfe illegaler Push-Backs in Ihrem Ministerium?

a.    Wenn ja, was sind die Ergebnisse?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.    Wenn nein, ist eine solche geplant?

51. Auf welche rechtliche Begründung stützen Sie die aktuellen Grenzkontrollen an den Grenzen zu Slowenien und Ungarn? Bitte insbesondere um Ausführung der vorliegenden "außergewöhnlichen Umstände".

52. Haben Sie vor, die temporären Grenzkontrollen nach Mai 2021 ein weiteres Mal zu verlängern? 

a.    Wenn ja, mit welcher rechtlichen Begründung?