4413/J XXVII. GP

Eingelangt am 03.12.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Robert Laimer und GenossInnen

an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) betreffend der Maßnahmen zur Blackout-Vorsorge in Österreich

Das Österreichische Bundesheer hat am 16. Jänner 2020 im Rahmen des Sicherheitspolitischen Jahres­auftakts 2020 die Öffentlichkeit darüber informiert, dass seitens des Bundesheeres mit dem Eintritt eines Blackouts binnen der nächsten fünf Jahre mit einer 100-prozentigen Wahrscheinlichkeit gerechnet wird[1]. Dabei wurden auch die notwendigen Vorsorgemaßnahmen eingefordert. Der Eintritt einer Pandemie wurde damals mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit beurteilt.

Ende August 2020 referierte Gerhard Christiner, technischer Vorstandsdirektor der Austrian Power Grid (APG) bei den kommunalen Sommergesprächen in Bad Aussee. Er betonte, dass die Transportfähigkeit von Strom in Österreich mangelhaft sei. Seit Jahren funktioniert es nur mehr mit Notmaßnahmen, die sehr viel Geld kosten. Zudem sei es während des Corona-Lockdowns zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Versorgungssicherheit gekommen[2]. Die APG ist in Österreich für die Versorgungssicherheit verantwort­lich.

Die Studie „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften durch Stromausfall“ des Büros für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag kam bereits 2010 zum Schluss: „Aufgrund der na­hezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von be­sonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle Kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesam­ten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden. Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfs­gerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens-)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, das heißt die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigender Problemlage. ‘[3]

Das Complexity Science Hub Vienna (CSH) hat aufgrund der Corona-Krise im Juni 2020 eine Untersu­chung zur Robustheit der österreichischen Lieferketten veröffentlicht und kam zu folgenden Erkenntnis­sen:

*       „Die große Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten bedeutet, dass die österreichische Zulieferkette insgesamt nur beschränkt robust ist. Der hohe Anteil an Lieferanten, für die es keine aktuell ver­fügbaren Alternativen gibt, verstärkt dieses Risiko. Daher könnte es relativ leicht zu systemisch relevanten kaskadenartigen Zulieferkrisen kommen.

       Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die große Abhängigkeit von ausländischen Zuliefe­rern.

       Über 30 Prozent der Unternehmen brauchen ihre SchlüsselmitarbeiterInnen unbedingt, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Im verarbeitenden Gewerbe gab etwa die Hälfte der Firmen an, 60 bis 100 Prozent ihrer SchlüsselmitarbeiterInnen unbedingt zu benötigen.

       Der Großteil der größeren Firmen gab an, innerhalb von zwei Wochen den Betrieb wieder aufneh­men zu können. '[4]

Die KIRAS-Sicherheitsforschungsstudie „Ernährungsvorsorge in Österreich“ (2015) stellte erhebliche Mängel in der Vorsorge fest: Demnach erwarten rund drei Millionen Menschen oder ein Drittel der Bevöl­kerung, dass sie sich im Fall eines Blackouts maximal vier Tage selbst versorgen können. Nach sieben Tagen betrifft das bereits rund sechs Millionen Menschen, oder zwei Drittel der Bevölkerung.[5]

Der österreichische Blackout-Experte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge, Herbert Saurugg, warnt seit Jahren vor den unterschätzten Wiederanlaufzeiten nach einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall („Blackout“) und fordert vor allem die Bevölkerung und die Gemeinden zur Vorsorge auf[6]. In seiner Blackout-Definition rechnet er mit einem europaweiten Stromaus­fall als Primärereignis, der in Österreich nach etwa einem Tag und auf europäischer Ebene nach rund einer Woche behoben werden können sollte. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass es nach dem Strom­ausfall noch mehrere Tage dauern könnte, bis die Telekommunikationsversorgung (Handy, Festnetz, In­ternet) wieder funktioniert. Bis dahin funktioniere aber weder eine Produktion noch eine Warenverteilung. Hinzu kommen die transnationalen Abhängigkeiten in den Lieferketten [4], Ein breiter Wiederanlauf der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen (Lebensmitteln, Medikamente, Medizingü­ter, Gesundheitsdienstleistungen etc.) solle frühestens in der zweiten Woche erwartet werden, womit be­reits mit verheerenden Folgen zu rechnen ist [3],[7]

Im Zuge des KIRAS-Sicherheitsforschungsprojektes „BlackÖ.1“[8] wurde ein Blackout-Simulator[9] entwi­ckelt, um die potenziellen Schadenskosten zu beziffern. Allein die Nichterbringbarkeit von Leistungen soll bei einem 24-stündigen, österreichweiten Stromausfall einen Schaden von rund einer Milliarde Euro ver­ursachen. In der Schweiz werden die wirtschaftlichen Folgen eines Blackouts mit 2-4 Milliarden Franken pro Tag beziffert.[10] Das Hamburger Weltwirtschafts-Institut (HWWI) bezifferte den wirtschaftlichen Scha­den der ersten Stunde eines deutschlandweiten Stromausfalls mit 600 Millionen Euro. Eine weitere Be­rechnung sei aufgrund der kaskadierenden Ausfälle und Schäden (Lieferketten [4]) nicht möglich.[11]

Die Autoren Nikil Mukerji und Adriano Mannino von „COVID-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit“ empfehlen im Umgang mit „Low probability-high impact“-R\s\ken, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Erfahrungen aus der Corona-Krise, folgende Fragestellung: Was, wenn wir falsch liegen? Wei­che Kosten/Folgen hätte ein Handeln bzw. ein Nichthandeln? „Wenn die erwarteten Kosten der Maßnah­men im Vergleich zum Schadensausmaß des Szenarios hinreichend gering sind, dann sollten die Maß­nahmen ergriffen werden. Mit anderen Worten: Wir mögen geneigt sein, die wahrscheinlichsten Szenarien besonders zu beachten. Mindestens so wichtig ist es aber, den Blick auf die schlimmsten Szenarien zu richten, selbst wenn ihre Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist.[12]

Das Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) hat eine sehr klare und eindeutige Risikoeinschät­zung kommuniziert [1], welche auch Seitens der netzverantwortlichen ARG untermauert wurde [2], Dar­über hinaus gibt es von den europäischen Übertragungsnetzbetreibern ENTSO-E einen klaren Hinweis, dass ein solches Ereignis nicht ausgeschlossen werden kann.[13] Verschiedene Folgeneinschätzungen kommen zum Schluss, dass ein solches Ereignis katastrophale Auswirkungen nach sich ziehen würde [3], [4], [5], [6], [7], Von der Wissenschaft wird untermauert, dass daher konsequente Vorsorgemaßnahmen geboten sind [8],

Aufgrund der Expertise und Einschätzung zahlreicher ExpertInnen zum Thema „Blackout“, der damit ver­bundenen Warnsignale sowie des Sachverhalts, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer vergleich­baren Anfrage vom 25. September 2020 seine Koordinierungskompetenz in dieser Frage von sich gewie­sen hat, sind die unterzeichnenden Abgeordneten gezwungen nachstehende Anfrage zu stellen:

Anfrage:

Der Katastrophenschutz ist gemäß Bundesverfassung Angelegenheit der Länder. Bei länderübergrei- fenden Ereignissen ist grundsätzlich das Bundesministerium für Inneres (BMI) für die Koordinierung der Katastrophenhilfe zuständig. Da ein Blackout jedoch sämtliche Lebensbereiche (Energie, Mobilität etc.) der Bevölkerung umfasst, ist auch das BMK von den Auswirkungen eines landesweiten Strom-, Infrastruk­tur- und Versorgungsausfalls betroffen.

1.    Wer führt aktuell die Koordinierung der Blackout-Vorsorgemaßnahmen seitens des BMK durch?

2.     Welche konkreten Maßnahmen wurden und werden auf Bundesebene zur konkreten Krisenvor­sorge getroffen, die über das unmittelbare Krisenmanagement (SKKM) hinausgehen?

3.     Warum gibt es nur in einem Bundesland eine Blackout-Arbeitsmappe für Gemeinden[14]? Wer kann auf Bundesebene eine Verteilung an alle österreichischen Gemeinden bzw. einen generell freien Zugang sicherstellen?

4.     Wie und durch wen konkret werden die Gemeinden, die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen bei der Blackout-Vorsorge unterstützt?

5.     Wie kann das Kommunale Investitionspaket (KIP) für konkrete Maßnahmen zur Robustheitsstei­gerung der kommunalen Infrastrukturen genutzt werden?[15]

Im Gegensatz zur Corona-Krise (Pandemie) gibt es bei einem Blackout keine Vorwarnzeit[16]. Der Ausfall sämtlicher Versorgungsleistungen ist binnen weniger Minuten bis Stunden zu erwarten [6], Die Möglichkeit einer Koordinierung durch die Bundesregierung (inklusive des BMK) wie in der Corona-Krise wird daher bis zum breiten Wiederanlauf der Telekommunikationsversorgung nur sehr eingeschränkt möglich sein. Die Gesellschaft zerfällt bis dahin in Kleinststrukturen. Eine Hilfe ist nur mehr auf lokaler Ebene, in den Gemeinden, möglich. Vielen BürgermeisterInnen ist diese Verantwortung nicht bewusst, noch gibt es mit wenigen Ausnahmen konkrete ganzheitliche Vorbereitungen.

6.     Über welche Kanäle oder Strukturen kann die Bevölkerung beim Ausfall der Telekommunikations­versorgung Notrufe absetzen und Hilfe holen?

7.     Welche Maßnahmen werden seitens des BMK gesetzt, um das vom BMLV kommunizierte Risiko in der breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen und konkrete Vorsorgemaßnahmen in der Bevöl­kerung und in den Gemeinden anzustoßen?

8.     Welche konkreten Maßnahmen hat das BMK bisher aufgrund der Studie „Ernährungsvorsorge in Österreich“ [5] getroffen, um die gesellschaftliche Verwundbarkeit durch absehbare Versorgungs­ausfälle [4], [5], [6] zu reduzieren?

9.     Wer und über weiche Kanäle wird die Bevölkerung und Unternehmen über den Eintritt eines Blackouts informieren? Wie rasch wird dies erfolgen?

10.  Wie wird die Treibstoffversorgung für wichtige Einrichtungen und für die Einsatzorganisationen aufrechterhalten?

Besonders in produzierenden Unternehmen entscheidet eine rasche Information über den Eintritt ei­nes Blackouts über mögliche zusätzliche Schäden. Auch beim Wiederanlauf können enorme Schäden entstehen, wenn in dieser Phase der Strom erneut ausfallen sollte, wie das durchaus erwartet wird [6],

11.  Wer wird im Fall eines Blackouts die Öffentlichkeit informieren? Über welche Kanäle und wie rasch?

12.  Wer wird die Öffentlichkeit informieren, wenn das europäische Stromversorgungssystem wieder ausreichend stabil funktioniert, damit rasch mit einem sicheren Wiederanlauf der Infrastruktur- und Versorgungssysteme begonnen werden kann?

Auch im Landwirtschafts- und Lebensmittelversorgungssektor wird mit erheblichen Ausfällen und Problemen in Folge eines Blackouts gerechnet [3], [4], [6], Damit könnte es auch aufgrund der internatio­nalen Abhängigkeiten in der Logistik zu längerfristigen und beträchtlichen Versorgungsengpässen kom­men.

13.  Welche konkreten Maßnahmen wurden bisher aufgrund der Erkenntnisse aus der Sicherheitsforschungsstudie „Ernährungsvorsorge in Österreich" (2015) [5] seitens des BMK getroffen?

14.  Welche Vorkehrungen gibt es, um Versorgungsengpässe in der Grundversorgung abfedern zu können?

15.  Welche Maßnahmen wurden und werden im Lebensmitteisektor getroffen, um zusätzliche Schä­den (Ausfälle in der Tierhaltung, Kühlgüter, Zerstörung von Einrichtungen wie Supermärkte) zu vermindern?

16.  Welche konkreten Vorsorgemaßnahmen wurden bisher in Zusammenarbeit mit den großen Le­bensmittelketten getroffen?

 



[1]  siehe „Sicher. Und Morgen? Sicherheitspolitischer Jahresauftakt 2020“ - https://youtu.be/ZeD9eH6uP5g

[2]  siehe https://www_kommunal.at/corona-krise-zeigt-luecken-im-stromnetz-auf

[3] siehe https://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u137.html

[4] siehe https://www-csh.ac.at/wp-content/uploads/2020/06/CSH-Policy-Brief-Lieferkette-final.pdf

[5] siehe https://www.joanneum.at/fileadmin/user_upload/imported/uploads/tx_publicationlibrary/Risiko-_und_Krisenmanagement_fuer_die_Ernaehrungsvorsorge_EV-A_.pdf

[6] siehe https://www.kommunalnet.at/index.php?id=1353

[7] siehe https://www.saurugg.net/blackout/auswirkungen-eines-blackouts

[8]  siehe https://energieinstitut-linz.at/portfolio-item/black-oe-i-ii/

[9]  siehe http://blackout-simulator.com

[10]  siehe https://www.handeiszeitung.ch/politik/blackout-kosten-2-milliarden-franken-pro-tag-1312716

[11]  siehe http://www.hwwi.org/uploads/tx_wilpubdb/HWWI_Research_Paper_142.pdf

[12] siehe httos://www.reclam.de/special/covid-19

[13]  Nach dem Blackout in der Türkei im Jahr 2015 hielten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) in ihrem Abschlussbericht fest: ,A!tough the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system“ - Siehe https://www.entsoe.eu/Documents/SOC%20documents/Regional_Groups_Continental_Europe/20150921_Black_Out_Report_v10_w.pdf

[14]  siehe https://www.zivilschutz.steiermark.at/2-zivilschutz/610-pressekonferenz-blackout-leitfaden.html

15 siehe etwa https://www.kommunal.at/blackout-vor5orqe-den-gemeinden

[16] Außer bei einer vorangehenden Strommangellage, wie sie im Rahmen der SKKM-Übung "Helios 2019" beübt wurde. Siehe https://www.bmi.gv.at/news.aspx?id=65313033756D52655A43773D