6939/J XXVII. GP

Eingelangt am 16.06.2021
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesministerin für Justiz

betreffend Strukturelle Probleme im Maßnahmenvollzug

 

Seit einem halben Jahr befindet sich die psychisch kranke Jugendliche Jasmin L. in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher - auf unbestimmte Zeit. Nicht wegen eines schweren Gewaltverbrechens, sondern wegen gefährlicher Drohung. Eigentlich wollte das Strafgericht sie gar nicht einweisen und hält in der Urteilsbegründung fest, dass die Hauptverhandlung vertagt wurde, um eine andere "geeignete Einrichtung zu suchen, in der ihr die notwendige therapeutische Behandlung zukommen könnte. Diese Suche verlief bedauerlicherweise ergebnislos.“

Trotz aller Bedenken wurde die psychisch kranke Jugendliche in den Maßnahmenvollzug verwiesen. Besuche sind wegen Corona wie in einem Gefängnis nur hinter Glas möglich. Ihre Mutter schildert im Ö1-Mittagsjournal vom 22. April, wie sie ihre Tochter nicht einmal zu Weihnachten in den Arm nehmen durfte, um sie zu trösten.

Das Mädchen war schon vor dem Urteil mehrfach in psychiatrischer Behandlung, ritzte sich die Arme, galt als selbstmordgefährdet und hörte Stimmen. Während einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik entwickelte sie Tötungsphantasien, für sich selbst und eine behandelnde Ärztin. In einem Therapiegespräch vertraute sie sich diesbezüglich sogar einer Psychologin an, doch statt zu einer vertiefenden Therapie kam es zu der Anzeige.

Markus Drechsler kritisierte in diesem Zusammenhang, dass immer mehr psychisch Kranke einfach im Maßnahmenvollzug weggesperrt werden, weil es außerhalb zu wenig Betreuungsplätze gebe. Gerade für Minderjährige fehlt es massiv an geeigneten Einrichtungen.

Das Krankenhaus Hietzing in Wien wäre für eine weiterführende Behandlung prädestiniert, darf Jasmin L. aber nicht aufnehmen, weil das Mädchen aus Niederösterreich stammt. Der Maßnahmenvollzug dagegen kennt keine Landesgrenzen: Die 15-jährige wird in einer Anstalt in Linz angehalten, obwohl ihre Mutter bei Wien wohnt und arbeitet.

Zu versprochenen Reformen des Maßnahmenvollzugs gibt es bislang nur politische Absichtserklärungen, aber die Einweisungszahlen steigen laufend weiter. Statt den Maßnahmenvollzug zugunsten einer therapeutischen Behandlung zu reduzieren, werden Anstalten ausgebaut.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Sollen Drohungen, die von Patienten in einer psychiatrischen Anstalt ausgesprochen werden, in jedem Fall zur Anzeige gebracht werden? Wenn ja, warum? Wenn nein, sind Sie bereit, gesetzliche Maßnahmen vorzuschlagen, um diesbezüglich kontraproduktive Straf- bzw. Unterbringungsverfahren zu verhindern?

2.    Sollen in in den psychiatrischen Abteilungen der Krankenanstalten oder in psychiatrischen Krankenanstalten  „Safe Spaces" errichtet werden, in denen psychisch kranke Menschen unbefangen artikulieren können (was ja auch wichtig ist, um sie richtig diagnostizieren zu können), ohne eine Anzeige fürchten zu müssen? Wenn ja, wie werden Sie vorgehen um diesen „Safe Space" zu garantieren? Wenn nein, warum nicht?

3.    Wie beurteilen Sie im Hinblick auf das Kindeswohl und Art 3 der Kinderrechtskonvention, dass junge Menschen in den menschenrechtlich bedenklichen und therapeutisch höchst fragwürdigen Maßnahmenvollzug eingewiesen werden können? Sind die momentan in Begutachtung befindlichen gesetzlichen Änderungen (MaßnahmenvollzugsanpassungsG) zum Schutz junger Menschen ausreichend?

4.    Wird während des Maßnahmenvollzuges in Sinne des JGG besonderes Augenmerk auf die Aus- und Fortbildung sowie die sozialpädagogischen Betreuung von Jugendlichen gelegt? Werden die Grundsätze des JGG im Maßnahmenvollzug auch unter Berücksichtigung des in Begutachtung befindlichen MaßnahmenvollzugsanpassungsG überhaupt nachweisbar umgesetzt?

5.    Gibt es nachvollziehbare Ausschreibungsverfahren zur Finanzierung der Nachsorgeeinrichtungen durch den Bund?

6.    Gibt es Pläne, die Finanzierung von Nachbetreuungseinrichtungen zwischen Bund und Ländern so zu regeln, sodass auch bundesländerübergreifend Menschen einen Platz finden können?

7.    Wie sehen die Kontrollen der Einrichtungen aus, abgesehen von den OPCAT Kommissionen?

8.    Welche Qualitätsstandards müssen diese Einrichtungen erfüllen und welche Erfordernisse müssen neue Einrichtungen erfüllen?

9.    Welche Kosten sind dem Justizbudget im Jahr 2020 entstanden, um den Bundesländern Ersatz zu leisten die forensische Abteilungen bzw. Plätze für den Maßnahmenvollzug zur Verfügung stellen. Was sind die Kosten pro Platz? Wie hoch ist die Anzahl der Untergebrachten in forensischen Psychiatrien?