9.34

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident – gute Genesung im Übrigen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt haben wir etwas erlebt: Jetzt haben wir drei Redebeiträge gehört, die man vielleicht unter der Kategorie: schöne Welt, wie sie mir gefällt, einordnen kann. Was nicht er­wähnt wurde und was für die bisherigen Redner anscheinend nicht wichtig war, ist, dass Europa derzeit von drei gewaltigen Krisen geprägt und beeinflusst wird: Eine soziale Krise, eine ökologische Krise und eine politische Krise kennzeichnen diese Europäische Union derzeit. Und mir macht diese soziale Krise Angst, weil sie an der Akzeptanz für diese Union nagt.

Ich habe mich letzte Woche lange mit einem Fliesenleger aus der Steiermark unter­halten. Er hat mich gefragt: Wie komme ich dazu, dass ich jeden Tag, wenn ich um halb fünf in der Früh aufstehe, Angst um meinen Arbeitsplatz haben muss? Wie kom­me ich dazu?, hat er mich gefragt. Als ich ihn gefragt habe, was das Problem ist, hat er gefragt: Wie gibt es das, dass auf der Nachbarbaustelle weder Kollektivvertrag noch Sozialvorschriften in Österreich gelten? Wie komme ich dazu, mit denen in Konkurrenz zu treten? – Und das ist die entscheidende Frage, geschätzte Damen und Herren. Es ist so, weil europäische Vorschriften kombiniert mit illegalen Praktiken das jetzt ermöglichen.

Sie, geschätzte Damen und Herren von der ehemaligen Ibizaregierung, haben nicht nur nichts dagegen unternommen, nein, Sie haben versucht, das auch noch zu fördern. Das war Ihr europapolitisches Verdienst, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: Ich glaube, der Fliesenleger sieht das anders!)

Ich frage Sie auch, wenn Sie da jetzt hereinreden, Herr Kickl: Wie kommt ein Kind in Österreich dazu, sich vielleicht nicht die Jause in der Schule leisten zu können, sich vielleicht nicht den Schulausflug leisten zu können, sich vielleicht nicht Geschenke für die Party von Freunden leisten zu können, weil nicht genug Geld in der Familie vor­handen ist? (Zwischenruf des Abg. Hauser.) Wie kommt ein Kind dazu, dass es jetzt noch so ist? – Das ist nicht das Europa, das wir wollen, das ist das alte Europa der Konzerne und nicht das Europa der Menschen – und das wollen wir nicht, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Mir macht auch die ökologische Krise große Sorgen, weil sie die Menschen an Europa zweifeln lässt. Wie kann es sein, dass immer noch nichts gegen Industrieemissionen unternommen wird und Vorreiter wie Österreich mit der Voest darunter zu leiden haben, dass es eine schlechte Wettbewerbssituation für sie gibt? Wie können wir damit leben und wie können wir akzeptieren, dass es in Europa keinerlei Verlagerungspolitik des Verkehrs von der Straße auf die Schiene gibt? Wie können wir akzeptieren, dass immer noch Milliarden in die Agrarindustrie gepumpt werden und nicht in die kleinteilige biologische Landwirtschaft?

Geschätzte Damen und Herren, das ist nicht das Europa, von dem viele geträumt haben. Das ist derzeit mehr ein Albtraum als ein Traum, und darüber müssen wir auch diskutieren und das darf man in einer Debatte im österreichischen Nationalrat nicht ver­schweigen. (Beifall bei der SPÖ.)

Mir macht die politische Krise Sorgen, die Handlungsunfähigkeit, die uns nicht in die Lage versetzt, dagegen etwas zu unternehmen, das Blockadeverhalten einiger Staa­ten, die nur noch eine einseitige Solidarität in diesem Europa haben, nämlich dann zu nehmen, wenn es zu nehmen gibt, aber nicht solidarisch zu sein, wenn es darum geht, solidarisch zu sein.

Ich sage Ihnen eines, auch für die Zukunft: Wer meint, mit Orbán, mit Kaczyński, mit Le Pen und Konsorten befreundet sein zu müssen, ist mitverantwortlich für diese politi­sche Krise in der Europäischen Union (Zwischenruf des Abg. Amesbauer), und das gilt auch für die Parteien der ehemaligen Ibizakoalition!

Das Schöne, geschätzte Damen und Herren, ist, dass sich Europapolitik und nationale Politik nicht widersprechen, sondern eine Symbiose bilden. Was in Europa geschieht, beeinflusst uns, was wir tun, beeinflusst Europa.

Wir haben heute Gelegenheit, Politik gegen Kinderarmut zu machen. Ja, es stimmt, biologisch wächst Geld nicht auf Bäumen, das ist richtig, aber das ist kein Argument, das uns daran hindern sollte, jeden notwendigen Schritt zu unternehmen, dass Kinder in Österreich in der Klasse nicht mehr hungern müssen, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich komme nun auf die Schweiz zu sprechen. Wir könnten einen riesigen Schritt in Richtung Verkehrsverlagerung tun: Klimaticket und Lkw-Maut. Die Schweiz war mutig und erfolgreich.

Seien wir doch auch einmal mutig in der Politik, geschätzte Damen und Herren! Wir können es machen, wir können ein anderes Österreich schaffen, wir können mehr öko­logische Politik machen, wir können mehr Klimapolitik machen, wir müssen uns nur trauen. Lassen wir uns jetzt in dieser Zeit des freien Spiels der Kräfte nicht blockieren, vertagen wir nichts, sorgen wir dafür, dass in diesem Haus Politik gemacht wird, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

9.39

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klub­obmann Kickl. – Bitte.