10.13

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes, ein unabhängiges und vor allem auch ein si­cheres Leben, auf ein Leben ohne Gewalt. – So weit, so gut; ich glaube, jeder in die­sem Raum kann diesem Satz zu 100 Prozent zustimmen. (Die Rednerin stellt eine Ta­fel mit der Aufschrift „Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555 www.gewaltschutz­zentrum.at × Polizei: 133“ auf das Rednerpult.)

Das Einzige, was dem widerspricht, ist die Zahl 34. – Es haben 34 Menschen seit Jah­resbeginn 2019 ihr Leben verloren, die alle eines gemeinsam haben: Sie alle sind Frauen, nicht mehr und nicht weniger. 34 Frauen wurden in Österreich seit Jahresbe­ginn ermordet.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass die allermeisten dieser 34 Morde im familiären Umfeld passiert sind, und das ist nicht meine Meinung, sondern die Statistik belegt das und spricht eine klare Sprache; sie bestätigt: Das größte Risiko für Frauen in Bezug auf Gewalt ist ihr eigener Partner. 92 Prozent – 92 Prozent! – der Frauenmorde geschehen im engsten familiären Kreis, im engsten sozialen Umfeld. Das sage nicht ich, das sagt nicht die Sozialdemokratie, weil wir andere Gründe ausschließen wollen, nein, das sagt das Innenministerium; das ist eine Statistik, die im Ministerium aufliegt.

Wenn wir immer wieder Berichte in der Zeitung lesen, im Fernsehen, im Radio hören und sehen, dann lassen sie uns nicht unberührt. Viel zu oft passieren diese furchtbaren Gewalttaten an Frauen; erst gestern wurde wieder über einen Frauenmord in Niederös­terreich in der Zeitung berichtet. Immer das Gleiche: Jedes Mal, wenn eine Frau ermor­det wird, herrscht zumindest für eine kurze Zeit helle Aufregung, Empörung, Betroffen­heit. Das Problem ist nur: Diese Betroffenheit hält nur sehr kurz an und bald ist es mit der Aufmerksamkeit für dieses aus meiner Sicht sehr, sehr wichtige Thema wieder vor­bei. Das können wir nicht hinnehmen, das werden wir nicht hinnehmen und das dürfen wir nicht hinnehmen, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir müssen auch hinsichtlich unserer Sprache vorsichtig sein, dahin gehend wie wir darüber sprechen, welche Bezeichnung wir für einen Frauenmord verwenden. Wenn wir von Frauenmorden lesen, dann ist oft von Beziehungsdramen oder eskaliertem Trennungsstreit die Rede. Trifft das die Sache? – Nein. Benennen wir es, wie es ist: Es sind Morde, gezielte Morde an Frauen oder auch an Mädchen. Mord ist die drama­tischste Ausprägung von Gewalt überhaupt, da gibt es nichts darüber.

Gewalt an Frauen ist leider kein Einzelfall, es sind nicht wenige Fälle, von denen wir hier sprechen. Auch diesbezüglich spricht die Statistik für Österreich eine ganz klare, aus meiner Sicht viel zu klare und deutliche Sprache: Im Jahr 2018 wurden von der Polizei mehr als 8 000 Betretungsverbote verhängt – in einem Jahr 8 000! – und in Ge­waltschutzzentren, in den Interventionsstellen für Frauen mehr als 18 000 Opfer be­treut, geschützt und begleitet. Die Schlussfolgerung ist klar: Die allermeisten Opfer sind weiblich, die allermeisten Gefährder sind männlich.

Wir haben 16 Aktionstage gegen Gewalt an Frauen hinter uns, gestern war der letzte davon. Jedes Jahr vom 15. November bis zum 10. Dezember sollen genau diese Ak­tionstage gegen Gewalt an Frauen auf dieses Thema aufmerksam machen, das kein frauenpolitisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema und Problem ist. Diese Aktionstage lenken den Scheinwerfer genau dorthin, wo dieses Problem am häufigsten auftritt: in den Familien, in den eigenen vier Wänden, dort, wo es verborgen ist. Das ist die Tücke, das ist das Heimtückische an diesem Problem, denn dadurch bleibt es sehr lange unentdeckt, dadurch bleibt es vor uns als Gesellschaft oder Nachbarn einer sol­chen Familie sehr lange versteckt.

Warum bleibt es so lange unentdeckt? – Wegen der Angst: Die betroffenen Frauen haben Angst, Angst um ihr eigenes Leben und sehr oft auch Angst um das Wohl ihrer Kinder, die meist auch in diesen Familien leben. Sie haben Angst davor, Hilfe zu su­chen, meist haben sie auch Angst davor, überhaupt einen Arzt, eine Ärztin aufzusu­chen, weil diese ja dann auf diesem Wege auf die Gewalt in der Familie aufmerksam werden könnten. Es ist diese Angst, die Frauen auch daran hindert, so früh wie mög­lich den Weg aus der Gewalt zu suchen.

Diese Aktionstage gegen Gewalt an Frauen machen deutlich, dass Gewalt gegen Frauen kein privates Problem ist, nein, es ist auch kein Problem der Frauen allein, es ist eine gesamtgesellschaftliche Problematik, mit der wir es da zu tun haben. Diese Ta­ge machen darauf aufmerksam, dass Gewalt gegen Frauen unser aller Problem ist, uns alle etwas angeht – und deswegen, sehr geehrte Damen und Herren, dürfen wir al­le hier nicht wegschauen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Aber es sind genau wir alle hier und darüber hinaus natürlich die damit Befassten, die diese betroffenen Frauen, ihre Kinder und Familien spüren und wissen lassen müssen, dass sie nicht alleine sind und dass wir sie nicht alleine lassen, dass es Hilfe und einen Ausweg aus ihrer Situation gibt. Deshalb machen wir heute einmal mehr darauf auf­merksam, dass es eine Telefonnummer gibt, die bisher leider viel zu wenigen bekannt ist, nämlich die Nummer der Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555. Das ist nicht irgendeine Telefonnummer, sondern ein Anruf dort kann ein Türöffner aus einer Ge­waltsituation sein. Das kann für Frauen – egal welchen Alters und egal, in welcher Si­tuation die jeweilige Frau ist – der erste Schritt aus einer Situation sein, aus der sie sich selbst nicht befreien können. Damit kann einfach einmal die Tür einen Spalt ge­öffnet werden.

Ich selbst war als Frauenministerin in vielen Frauenzentren, und in einem davon hat mir eine 75-jährige Frau berichtet, dass sie es erst nach 50 Jahren gewaltvoller Ehe durch die Hilfe von Frauenschutzzentren und Interventionsstellen geschafft hat, aus dieser jahrzehntelangen Gewalt herauszukommen. – Es ist nie zu spät, und diese Te­lefonnummer kann der erste Schritt hinaus sein! Wir dürfen nicht wegschauen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir alle im Hohen Haus sind gefordert, Maßnahmen betreffend Gewalt gegen Frauen zu setzen, um entschieden gegen dieses gesellschaftliche Problem aufzutreten. Dabei müssen wir uns die Frage stellen, wo Gewalt gegen Frauen denn eigentlich beginnt. Beginnt sie nicht auch dort, wo Frauen zu wenig verdienen und damit eine ökonomi­sche Ungleichheit beziehungsweise ökonomische Abhängigkeit entsteht? – Ja, auch dort beginnt Gewalt gegen Frauen. Beginnt Gewalt nicht auch dort, wo die Selbstbe­stimmung der Frau über ihren eigenen Körper infrage gestellt wird? – Doch, auch dort beginnt Gewalt gegen Frauen. Beginnt diese Gewalt nicht auch dort, wo sich viel zu oft die Zuschreibung sexistischer Rollenbilder in unserer Gesellschaft findet? – Auch dort beginnt Gewalt gegen Frauen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Dabei geht es nicht nur um körperliche Gewalt. Wir sprechen hier auch von psychi­scher Gewalt, wir sprechen auch von Hass im Netz; davon sind viel zu viele Frauen – meist sind es Frauen – betroffen. Wir müssen Frauen stärken, wir müssen sie schüt­zen, wir müssen ihre Unabhängigkeit stärken, um sie vor Gewalt zu schützen. Jede Frau und jedes Mädchen hat ein gewaltfreies Leben verdient, und wir sind dafür ver­antwortlich, das sicherzustellen, und zwar durch gerechte Einkommen für Frauen, durch ganztägige Kinderbetreuung in ganz Österreich, die es Frauen ermöglicht, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und ihre eigene ökonomische Situation abzusi­chern, und durch wichtige Präventionsmaßnahmen im frauenpolitischen Bereich.

Es geht darum, den Opferschutz mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszubauen, Frauen- und Gewaltschutzeinrichtungen endlich mit jenen finanziellen Mitteln auszu­statten, die sie brauchen, um die betroffenen Frauen zu schützen, zu begleiten und zu unterstützen. Das ist unsere Aufgabe. Auch im Bereich der Justiz brauchen wir Rich­terInnen und StaatsanwältInnen, die besser mit diesem Thema umgehen können.

In diesem Sinne, sehr geehrte Damen und Herren, halte ich fest: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, dieses geht uns alle an und betrifft uns alle. Wir alle sind gefordert, wir dürfen keine Frau alleine lassen! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

10.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich begrüße Frau Bundesministerin Stilling und darf ihr das Wort erteilen. – Bitte.