13.31

Bundesminister für Inneres Dr. Wolfgang Peschorn: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Ich darf mich aus Anlass der Debatte über diese Novelle zum Fremdenpolizeigesetz zu Wort melden.

Zunächst ganz aktuell: Ich kann keinen Konflikt zwischen der BBU und dem Bundes­amt für Fremdenwesen und Asyl erkennen; das sind beides selbstständige Einrich­tungen. Das eine, das BFA, ist ein Organ der Republik Österreich, und die BBU ist eine Gesellschaft der Republik Österreich, aber selbstständig. Dem einen, nämlich dem BFA, obliegt die Entscheidung über die Frage, ob Asyl gewährt wird oder nicht, und dem anderen werden, sofern die gesetzlichen Regelungen aufrechtbleiben, die Betreu­ung, die Grundversorgung und auch die Frage der Rechtsberatung obliegen. Ich glau­be nach wie vor, dass die Frage, wer Rechtsberatung leistet, davon zu trennen ist, wie Rechtsberatung geleistet wird, und ich gebe Ihnen recht, dass es ganz wesentlich sein wird, hier auf die Qualität der Rechtsberatung zu achten.

Gestatten Sie mir noch aus Anlass dieser Debatte ein paar grundsätzliche Anmer­kungen: Die Europäische Menschenrechtskonvention feierte voriges Jahr ihr 65-jähri­ges Jubiläum. Vor rund 65 Jahren haben sich die Staaten Europas, des Europarates angesichts der Schrecken des Zweiten Weltkrieges und eines totalitären Regimes darauf verständigt, dass man es nicht bei den Grund- und Freiheitsrechten belassen kann, die unsere Vorfahren weit früher – 1848 und im Gefolge – für uns erstritten ha­ben, und haben sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention verständigt. Bei­des, nämlich unsere Grund- und Freiheitsrechte und die EMRK, sind ein Schatz, den wir bewahren und mit dem wir sehr sorgsam umgehen sollten.

Die Grund- und Freiheitsrechte und die Menschenrechte sind auch in ihrer Gesamtheit so etwas wie das Stahlgerüst eines Rechtsstaates. Dieses Stahlgerüst sollte weder verbogen noch zu Fall gebracht werden. Nur dann werden wir aus meiner Sicht auch in einem Rechtsstaat leben können, der uns die Freiheit gibt, die wir als westliches Land brauchen. (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS.)

Einer, der diese Menschenrechte seit dem Bestehen anwendet, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Es ist manchmal für jemanden, der vor allem Gesetze zu vollziehen hat, mühsam, wenn er Entscheidungen von Gerichten erhält, die unab­hängig sind und sich einzig und allein der Aufgabe verpflichtet fühlen, diesen Grund­lagen auch zur Durchsetzung zu verhelfen, aber aus meiner Sicht ist es sehr wert­voll, sich diesen Entscheidungen zu stellen, weil sie immer wieder einer Kritik Gehör verschaffen, der man sich unterziehen soll und die, wenn man ihr nachkommt, das Rechtssystem nur verbessert.

Es ist deswegen kein Zufall, dass diese österreichische Bundesregierung auch den Eu­ropäischen Menschenrechtsgerichtshof für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen hat, da er aus unserer Sicht einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dass rechtsstaatliche Grundsätze nicht nur in der europäischen Gemeinschaft und damit in Österreich, son­dern auch außerhalb, bei allen Mitgliedern des Europarates, gesichert werden.

Asyl und Migration sind äußerst herausfordernde politische Themen. Das konnte ich in meinen jetzt knapp sechs Monaten als Innenminister erfahren. Ich würde daher darum ersuchen, wenn wir diese Themen nicht nur gemeinsam diskutieren, sondern auch lösen wollen – und dazu ist es wahrlich an der Zeit, da Asyl und Migration eine Frage sind, die uns in den nächsten Jahrzehnten in ganz Europa, aber vor allem in Österreich beschäftigen werden –, dass wir das auf hoher sachlicher Grundlage und mit fachli­chem Verstand tun. (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS.)

Wenn wir heute von einem aktuellen Fall gehört haben, so lassen Sie mich auch kurz auf diesen eingehen. § 13 und § 50 Fremdenpolizeigesetz legen ganz klar fest, dass in jedem Stadium eines Verfahrens die Menschenrechte von allen Behörden zu beachten sind. Da gibt es – und ich komme auf meinen Vergleich mit dem Stahlgerüst zurück – kein Wenn und Aber. Der Rechtsstaat bewährt sich nicht bei Schönwetter, der Rechts­staat bewährt sich, wenn ein Unwetter heraufzieht. (Beifall der Abgeordneten Pfurt­scheller, Yιlmaz und Zadić.)

Genau das haben meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getan. Jeder, der einmal eine politische Funktion innehatte, weiß, dass er tagtäglich mit Ansuchen, mit Wünschen und auch mit sogenannten Interventionen zu tun hat. Ein Innenminister mit 37 000 Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern ist vor dieser Praxis nicht gefeit, aber es ist auch meine Aufgabe als Innenminister, den Ansuchen und Wünschen der Menschen zuzuhören und diese auf rechtsstaatlicher Grundlage einer Erledigung zuzuführen. Nichts von dem, was in den letzten Tagen passiert ist, war rechtswidrig, nichts von dem war will­kürlich. Alles, was in diesem Zusammenhang geschehen ist, hat auf einer rechtsstaatli­chen Grundlage stattgefunden. Alles andere wäre meinem Amtsverständnis widerspre­chend.

Ich darf Ihnen daher auch ganz kurz die Zahlen für Abschiebungen oder für die zwangs­weise Außerlandesbringungen bekannt geben: Im Jahr 2017 waren es 3 100 Men­schen, im Jahr 2018 4 700 und im Jahr 2019 werden es – hochgerechnet – wahr­scheinlich 5 400 Menschen sein. Es sind in den letzten Jahren sogenannte neue Char­terdestinationen hinzugekommen, also Länder, in die Menschen abgeschoben wer­den – Ghana, Aserbaidschan, Bangladesch, Guinea, die Mongolei und Usbekistan. Es gab im Jahr 2018 sechs sogenannte Charterabschiebungen nach Afghanistan, und im Jahr 2019 neun.

Afghanistan ist eine der Hauptdestinationen der Betroffenen. Das liegt aber nicht da­ran, dass da etwa mit Willkür vorgegangen wird, sondern – es ist ein einfaches mathe­matisches Rechenbeispiel – daran, dass Österreich im Jahr 2015 hauptsächlich von Menschen aus Afghanistan betroffen war und bis heute ist. Wir sind eine Zieldestina­tion – das ist eine reine Information.

Es gab im Jahr 2018 307 Außerlandesbringungen nach Afghanistan, davon 187 Ab­schiebungen. Im ersten Halbjahr 2019 waren es 180 und im zweiten Halbjahr – und dieses zweite Halbjahr habe ich zu verantworten – sind es bis jetzt 252, also mehr.

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass es auch immer wieder kurzfristig dazu kommt, dass Menschen, die auf diesen Charter gebucht sind, von diesem Flug, von der Abschie­bung ausgenommen werden. Meine Damen und Herren, das liegt einzig und alleine daran, dass wir die Gesetze bis zum letzten Moment beachten wollen, und diese Ge­setze werden von den Menschenrechten entscheidend geprägt. Es ist nicht nur das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Aufgabe hat, nachdem es in erster Instanz eine Entscheidung gefällt hat, wenn die Höchstgerichte geurteilt haben – oft nach Monaten und Jahren –, diese Abschiebungen durchzuführen, sondern das sind natürlich auch meine Polizistinnen und Polizisten bei der Abschiebung selbst.

Ich habe als Innenminister nicht nur für ein geordnetes Asyl- und Migrationswesen zu sorgen, sondern mich natürlich auch um die Sicherheit Österreichs zu kümmern und diese zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren! Der gegenständliche Gesetzesvorschlag ist ein Initiativan­trag und, wie von meinen Vorrednern schon erwähnt, das Ergebnis eines wahrschein­lich in den letzten Jahren eher außergewöhnlichen Prozesses, den ich deswegen als besonders interessant empfinde, weil er darlegt, dass es eine Zusammenarbeit zwi­schen der Legislative und der Exekutive geben kann, bei der die Legislative – Sie, mei­ne Damen und Herren – auf das Wissen, das Know-how und die Fähigkeiten meiner Beamtinnen und Beamten zurückgreifen kann. Es macht mich stolz, dass mein Haus hier einen technischen Beitrag leisten konnte – technischer Beitrag deswegen, weil es Ihre Willensentscheidung war.

Der Weg zu diesem Ziel, zu diesem Gesetz, das Sie heute wahrscheinlich beschließen werden, war zunächst einmal davon gekennzeichnet, dass wir uns inhaltlich auseinan­dergesetzt und eine Punktation erstellt haben, die eine Mehrheit hervorgebracht hat, die diese Punktation trägt. Alles andere, die Beschlussfassung selbst, obliegt Ihnen. Und ich kann nur sagen: Die Komplexheit des Entwurfes liegt nicht an meinen Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern, sondern am Ergebnis der Willensbildung, der Überein­kunft der Mehrheit; sie hat keine anderen Gründe.

Gestatten Sie mir noch den Hinweis: Natürlich legt diese Regelung jetzt ganz offen – das haben auch meine Vorredner schon angesprochen –, dass es an der Zeit ist, Klar­heit zu schaffen, was Asyl und was Migration in Österreich gesetzlich sein soll. Ich glaube, auch da werden sich alle Fraktionen finden: Wir sollten klare Regeln haben, die es Menschen, die nach Österreich kommen wollen, ermöglichen, klar zu erkennen, wie man in Österreich aufhältig sein kann.

Ich ersuche Sie daher, im weiteren Verlauf dieser Legislaturperiode für Klarheit zu sor­gen und Arbeitsmigration zu regeln, sich darüber klar zu werden, ob und wie weit sie zugelassen werden soll, und dies dann auch im Niederlassungs- und Aufenthaltsge­setz vorzusehen.

Die gegenständliche Regelung, um noch einmal Klarheit zu schaffen, ist keine, die einen Asylgrund bietet, sie ist keine, die das Asylgesetz ausweitet oder einschränkt, sie ist eine Regelung, die daher zu Recht nicht im Asylgesetz vorgenommen wird. Sie ist eine schlichte Hemmung oder ein Aufschub für die Abschiebung, auch für die zwangs­weise Abschiebung. Unser Recht und unsere Gesetze sind nicht teilbar. Deswegen sollten Menschen, die einen Abschiebebescheid – oder einen Bescheid, mit dem sie verpflichtet sind, außer Landes zu gehen – haben, diesen auch beachten. – Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

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