11.16

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrte honorige Persönlichkeiten auf der Zuschau­ergalerie! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Werter Herr Bundeskanzler! Herr Vi­zekanzler! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Österreicherinnen und Österreicher, die heute hier zuschauen! Ich möchte zunächst Bundeskanzlerin außer Dienst Brigitte Bierlein und der Experten-/Expertinnen-, Übergangsregierung – was auch immer; es waren verschiedene Titel, die diese Regierung geführt hat, ich glaube, Bundesre­gierung hätte es eigentlich auch getan – meinen Dank aussprechen. Herzlichen Dank! Es ist immer ein großer Dienst an unserem Land, an der Bevölkerung, eine solche Verantwortung zu übernehmen und das auch so souverän und solide in so bewegten Zeiten zu meistern. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Es wird Sie jetzt vielleicht überraschen, dass ich als Chefin einer Oppositionspartei sa­ge, dass ich froh bin, dass heute diese Bundesregierung angelobt wurde. Ich bin tat­sächlich froh, weil ich glaube, dass unser Land vor so großen Herausforderungen steht, dass wir es uns nicht erlauben können, weiter in diesem Stillstand zu verharren, denn de facto – so gut in den letzten Monaten auch verwaltet wurde – gab es seit Mai einen Stillstand in Österreich. Es gibt in sehr vielen Bereichen ganz, ganz große He­rausforderungen, Zukunftsfragen, die gelöst gehören, und deshalb wünsche ich dieser Bundesregierung wirklich alles Gute. Es gibt ganz viele Bereiche, in denen es gilt, an­zupacken.

Es ist positiv – das unterschreibe ich –, dass die FPÖ nicht Teil dieser Regierung ist. Das freut mich auch sehr. Ob das das Einzige ist, worauf man eine Zusammenarbeit aufbauen kann? – Das wage ich zu bezweifeln, dass das ausreichend ist, das möchte ich schon sagen, aber das, was wir während der blauen Regierungsbeteiligung an Nichtdienst an unserem Land gesehen haben, zeigt schon, dass es deutlich besser ist, dass die FPÖ nicht mehr an den Schalthebeln der Macht sitzt. – Herr Klubobmann Kickl, Sie haben gesagt, Sie wären jetzt die einzige patriotische Kraft in diesem Haus (Die Abgeordneten Hauser und Rauch: Das stimmt auch!): Also angesichts dessen, was Sie unserem Land, unserer Bevölkerung durch Ihre Regierungsbeteiligung zuge­mutet haben, und der Vorstellung, die von Ihren politischen Akteuren geliefert wurde, angesichts dessen, wie Sie unseren Ruf im Ausland wirklich beschädigt haben, lasse ich mir von Ihnen als Fraktion Patriotismus sicher nicht absprechen, Herr Kickl! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Grünen.)

„Aus Verantwortung für Österreich“, dazu möchte ich gerne zwei V-Wörter ergänzen: Vertrauen und Verlässlichkeit. In diesen Bereichen möchte ich mehr einfordern, denn wie schon betont wurde, ist das Regierungsprogramm – und über das sollten wir heute eigentlich vorwiegend reden; darüber, welches Programm, welchen Plan Sie für die nächsten Jahre haben – doch in vielen Bereichen sehr vage geblieben. Vertrauen und Verlässlichkeit sind, glaube ich, ganz, ganz wichtig, weil es so viele Themen gibt.

Ich möchte aber mit dem Positiven beginnen: Selbstverständlich, nach einem Jahr wie 2019 ist es großartig, dass man sich Klimaneutralität bis 2040 als Ziel setzt – es muss natürlich mit Leben erfüllt werden – und das auch festgeschrieben hat.

Wir finden es sehr gut, dass – und es ist lustig, dass ich das schon so sagen kann – die alte NEOS-Forderung nach der Mittleren Reife in diesem Programm umgesetzt ist. Das finde ich gut.

In einer Zeit der Niedrigzinspolitik, die wir NEOS sehr kritisch sehen, in der Menschen, insbesondere junge Menschen sich kaum mehr etwas aufbauen können, geradezu ein Stück weit enteignet werden, über die Notwendigkeit des Aufbaus von Eigentum und der Förderung des Eigentumserwerbs und die Notwendigkeit der Stärkung des Kapital­markts und der Finanzbildung zu sprechen, finden wir gut. Da finden wir es gut, dass sich die Grünen nicht durchgesetzt haben, denn im Wahlkampf habe ich da ganz an­dere Töne gehört.

Ich finde es gut, dass es ein eigenes Integrationsministerium gibt, auch wenn das na­türlich viel mehr sein muss als ein Türschild.

Ich finde es ausgezeichnet, dass ein neuer Anlauf unternommen wird, das Amtsge­heimnis endlich abzuschaffen und ein Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Das ist die langjährigste Forderung von NEOS, weil es der allererste Antrag war, den wir NEOS in diesem Hohen Haus eingebracht haben.

Selbstverständlich finden wir NEOS es gut, wenn es ein Bekenntnis zur weiteren Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gibt, wobei ich „weiteren“ in Zweifel ziehen möchte, weil die Steuerquote, Herr Bundeskanzler, unter der letzten Bundesre­gierung gestiegen ist, nicht gesunken! (Beifall bei den NEOS.) Wenn also eine Kor­rektur dieses Kurses vorgenommen wird, dann freue ich mich sehr darüber, auch wenn wir natürlich für mehr Nachhaltigkeit durch die sofortige Abschaffung der kalten Pro­gression gesorgt hätten.

Ich habe gesagt, von unserer Seite gibt es diese 100 Tage Schonfrist – wie man immer sagt –, ich würde es aber gerne ein bisschen anders titulieren: Ich würde es eigentlich Nachfrist nennen, denn man hat ein bisserl den Eindruck, Sie sind mit vielen Dingen nicht fertig geworden. Das Programm ist zwar sehr umfangreich, man kann aber sehr vieles auch sehr stark aufblasen, und es findet sich in vielen wesentlichen Fragen meines Erachtens nichts ausreichend Konkretes. Daher würde ich sagen, es gibt eine 100-Tage-Nachfrist mit folgender Bitte: In manchen Bereichen brauchen wir Konkreti­sierungen. Da ist es tatsächlich vage, da ist es unkonkret, da sind Absichtserklärungen drinnen, die mit Leben erfüllt gehören. In manchen Bereichen braucht es unserer Mei­nung nach Ergänzungen, zum Beispiel im Bildungskapitel, denn die Mittlere Reife und der weitere Ausbau der Kinderbetreuung – was wir gut finden – alleine werden, wenn man sonst nicht progressivere Wege beschreitet, dem Slogan, den Sie jetzt auch ver­wenden: Kein Kind zurücklassen!, nicht gerecht werden.

Es gibt einen anderen Bereich, in dem wir uns Ergänzungen wünschen, und da freut es mich ja nachgerade, dass jetzt angekündigt wurde, nämlich betreffend einen Punkt, der gar nicht im Regierungsprogramm enthalten ist, diesen unsäglichen Beschluss zur Wiedereinführung der Hacklerregelung rückgängig zu machen. Wir NEOS haben als Einzige – und das möchte ich hier wirklich sagen: als Einzige! – auch vor der Wahl ver­antwortungsvoll agiert und als Einzige diesen Beschluss nicht mitgetragen. (Zwischen­ruf des Abg. Wurm.)

Im ganzen Bereich der Generationenfairness – der starke Generationenvertrag, der Österreich stark gemacht hat – fehlt mir aber sehr viel, da wünsche ich mir wirklich Er­gänzungen. Ich habe nachgelesen, Herr Bundeskanzler, Sie haben selber mehrfach, zum Beispiel in einem Interview 2014, auf die Frage: Ist unser Pensionssystem si­cher?, gesagt: „Wirklich sicher ist das Pensionssystem dann, wenn wir es reformieren. Wir haben eine steigende Lebenserwartung, gleichzeitig gehen wir früher in Pension als 1971.“ – Ich könnte Sie jetzt weiter zitieren. Da fehlt mir ganz, ganz viel im Bereich der Generationenfairness, in Bezug auf die Frage der Fairness gegenüber den Jungen und die Frage eines starken Generationenvertrags zwischen Alt und Jung in der Zu­kunft. In Ihrem Regierungsprogramm werden Wahrheiten nicht nur verschwiegen, sie werden geradezu dementiert, und das finde ich sehr, sehr schade.

Der dritte Punkt, den wir neben Konkretisierung und Ergänzung erwarten, ist der Be­reich der Finanzierung, denn da ist viel drinnen. Wir haben da aber unsere Zweifel, das sage ich Ihnen ganz offen, wie sich das alles ausgehen soll, wenn das nicht mit einer Finanzierung unterlegt wird. Wir haben das ganz genau gelesen und sind nicht alleine mit diesen Zweifeln, hört man sich an, was gescheitere Leute, als wir es sind, in dieser Republik sagen: Die Finanzierung braucht es, weil das sonst alles auf Treibsand ge­baute Luftschlösser sind – und dass es das wird, können wir uns nicht leisten.

Ja, und es gibt Bereiche, da sind wir enttäuscht, das sage ich auch ganz offen. Ich glaube, Niki Scherak, der bei uns einer der vielen Verfechter der Grund- und Frei­heitsrechte ist, wird darüber berichten, wie sehr wir enttäuscht sind, dass die Grünen keine roten Linien beim Thema Sicherungshaft, beim Thema Bundestrojaner oder bei anderen Bereichen gezogen haben.

Ich muss eines schon sagen: Herr Kogler, Sie haben auf Fukuyama und die Notwen­digkeit, die liberalen Grundlagen der Demokratie, wie Freiheit, Grundrechte, Bürger­rechte zu schützen, Bezug genommen. – Das finde ich schon großartig, aber wenn man Ihr Programm anschaut, dann sieht man, dass die Wörter Schutz und schützen 352 Mal vorkommen, das Wort Freiheit hingegen nur 26 Mal, „Sicherheit“ kommt 176 Mal vor, „Demokratie“ aber nur 20 Mal. Ich gebe da übrigens Klubobmann Kickl völlig recht: Dass direkte Demokratie mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, ist eigent­lich bemerkenswert. Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land offensicht­lich nicht stärken, sondern die Macht weiter bei sich behalten. Das ist auch nicht der Weg, den wir NEOS gehen würden. (Beifall bei den NEOS.)

Wir werden diese Regierung, so wie wir das auch in der Vergangenheit gehandhabt haben, mit konstruktiver Härte begleiten – konstruktiv immer dann, wenn es darum geht, gemeinsam die besten Lösungen für eine gute Zukunft zu finden, wie wir Öster­reich zum Wohle der Österreicherinnen und Österreicher, der Bevölkerung nach vorne bringen können; mit Härte aber auch dann, wenn es um wesentliche Werte geht. Dass wir mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal als die Partei haben, die Freiheit, Grund- und Freiheitsrechte und Bürgerrechte hochhält, das freut mich nicht (Abg. Wurm: Freiheit ..., Frau Kollegin!), aber wir haben in Zukunft definitiv eine starke Rolle, was Freiheit, auch was Kontrolle und Fairness und Chancen der Kinder angeht.

Sie haben gesagt, Sie strecken die Hand aus – das freut mich. Das Verhältnis zwi­schen Regierung und Parlament muss sich verbessern, das war kein gutes. Ich sage Ihnen aber: Die Kultur der Zusammenarbeit und die Kultur der Kooperation und des vertrauensvollen Umgangs miteinander wird sehr stark von der Regierung geprägt und nicht von der Opposition, denn die Frage, ob Sie uns einbeziehen wollen oder nicht, entscheiden primär Sie. Daher haben wir für den Appell, den Sie hinsichtlich Konstruk­tivität hier an uns gerichtet haben, jedenfalls volles Verständnis, dazu aber eine kleine Bemerkung: Nicht jede sachliche Kritik der Opposition ist Majestätsbeleidigung. – Vie­len herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

11.26

Präsidentin Doris Bures: Nun gelangen Sie zu Wort, Herr Abgeordneter Jörg Leicht­fried. Bitte.