11.26

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundespräsident! Geschätzte Damen und Herren der Bundesregierung! Geschätzte Damen und Herren, die heute zusehen! 100 Tage Verhandlungen und wir diskutieren heute das Ergebnis dieser Verhandlungen. Es hat, muss man offen sagen, große Erwartungen gegeben, dass diese Ungerechtigkeiten der schwarz-blauen Regierung nicht fortgesetzt werden.

Herr Kickl, Sie haben vorher angemerkt, wie beseelt die Grünen jetzt dasitzen – ja, vor zwei Jahren sind Sie so beseelt dagesessen und jetzt schauen Sie ziemlich traurig aus in Ihren Reihen, das muss man schon einmal anmerken! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: Gegen Sie bin ich ... heiter!)

Die Erwartungen waren groß: Ende der Missachtung des Parlamentarismus, Ende der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit, Ende des bewussten Angriffs auf die Demokratie, ja, und auch die Chance auf mehr Klimagerechtigkeit, auf mehr Kampf gegen die Kli­makrise. Sieht man jetzt das Ergebnis der Verhandlungen an, drängt sich zumindest mir persönlich ein Eindruck auf: Es regiert Herr Kurz mit sich selbst und mit seinen Freunden und Weggefährten, und es wird eigentlich der Weg von Schwarz-Blau in vie­len Bereichen – da gebe ich sogar Herrn Kickl recht (Abg. Kickl: Geh! – Abg. Wurm: Das zweite Mal jetzt schon! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch) – fortgesetzt.

Ich frage Sie, wenn wir über Gerechtigkeit sprechen: Ist es gerecht, dass jetzt offenbar sofort – Herr Klubobmann Wöginger hat das ja auch in der „Kronen Zeitung“ sehr plakativ gesagt: Jetzt sind einmal wir dran! – die Körperschaftsteuer gesenkt wird? Ist es gerecht, dass Aktienspekulationen billiger werden? Ist es gerecht, dass der Spitzen­steuersatz nicht fortbestehen wird? Ist es gerecht, dass allein aus diesen Titeln mehr als 2 Milliarden Euro Körberlgeld für die Superreichen, für die, die ihr Geld arbeiten lassen, und nicht für die, die hart für ihr Geld arbeiten müssen, im Regierungspro­gramm festgeschrieben werden, geschätzte Damen und Herren? (Beifall bei der SPÖ.)

Was ist mit jenen, die hart für ihr Geld arbeiten müssen? Was ist mit jemandem, der vor 45 Jahren mit 15 begonnen hat, in einer Zementfabrik zu arbeiten, der zuerst die 50-Kilo-Zementsäcke schleppen musste und jetzt die 25-Kilo-Zementsäcke nicht mehr schleppen kann und der mit der Hacklerpension endlich in Pension gehen kann? (Abg. Gödl: Schwerarbeiterregelung!) Ist es gerecht, dass Sie jetzt darüber nachdenken, die Hacklerpension zu streichen? – Nein, das ist vollkommen ungerecht, geschätzte Da­men und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Sozialminister, ich appelliere an Sie: Tun Sie Ihr Möglichstes, damit die Men­schen, die 45 Jahre lang Zementsäcke schleppen mussten, in Pension gehen können! Das ist ja wohl das Mindeste für diese Menschen, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte aber nicht nur Kritik üben, nein, im Gegenteil: Ich finde, es gibt schon auch Dinge in diesem Programm, die wir durchaus unterstützen werden, massiv unterstüt­zen werden. Verkehrspolitik: Frau Bundesministerin, herzliche Gratulation zu den Din­gen, die Sie eingebracht haben. Wir selbst waren auch die, die gemeint haben, wir brauchen ein österreichweites Ticket. Ja, wir waren auch für die Nahverkehrsmilliarde. Das sind gute Projekte, da werden wir Sie unterstützen.

Was mir schon etwas fehlt, sind auf der anderen Seite Maßnahmen beim Güterver­kehr. Warum nicht endlich eine Lkw-Maut, um vielleicht auch zur Gegenfinanzierung beizutragen? Diese Gegenfinanzierung für die Verkehrsprojekte, die Sie angedacht ha­ben, wird nämlich bitter nötig sein. Jetzt fehlen schon 2 Milliarden Euro aufgrund der Geschenke an die Superreichen. Herr Wöginger hat in seiner Rede klar gesagt, Sie wollen an der schwarzen Null festhalten. Da frage ich mich schon: Wo kommt das Geld her? Wo kommt das Geld her, wenn noch dazu die Schalthebel für die Finanzierung al­lein bei der ÖVP liegen? – Man muss offen sagen: Die ÖVP hat bis heute noch nie In­teresse an nachhaltigem öffentlichem Verkehr gezeigt. (Beifall bei der SPÖ. – Zwi­schenruf des Abg. Ottenschläger. – Bundesministerin Köstinger: Na servas! – Weite­re Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Die ÖVP hat noch nie Interesse an der Verlagerung von der Straße auf die Schiene ge­habt, und die ÖVP hat auch im Kampf gegen die Klimakrise kein Interesse gezeigt. Wir wollen Ihnen da helfen, wir wollen Sie stärken, und wir hoffen, Sie werden sich in die­sen Fragen gegen die ÖVP durchsetzen, geschätzte Damen und Herren von den Grü­nen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Es ist ja nicht so, dass nur die finanzielle Macht geballt bei der ÖVP liegt. Es hat eine zweite große Hoffnung gegeben, und da geht es um die Grund- und Freiheitsrechte in Österreich, die von Schwarz-Blau massiv angegriffen wurden. Jetzt ist es passiert – das erste Mal in der Zweiten Republik –, dass alle Sicherheitsministerien, alle Ministe­rien, die Streitkräfte und Polizei unter sich vereint haben, gemeinsam mit dem Amt des Bundeskanzlers bei einer Partei konzentriert sind. Geschätzte Damen und Herren, da fehlt mir das in einer funktionierenden Demokratie wichtige System der Checks and Balances. Es war ein Fehler, den Sie da gemacht haben. Es ist nicht gut für die de­mokratiepolitische Entwicklung unseres Landes, so viel bewaffnete Macht in einer Hand zu vereinen, geschätzte Damen und Herren. Das halten wir für schlecht. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Um Gottes willen!) Wir halten es insbesondere auch deshalb für schlecht (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wöginger) – regen Sie sich nicht auf, ich bin heute auch sehr sachlich, bleiben wir sachlich! (Ruf bei der ÖVP: Sachlich! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP) –, weil plötzlich wieder etwas auftaucht, und das, muss ich Ihnen sagen, hat mich von dieser Bundesregierung wahrscheinlich am meisten enttäuscht: die Zombieidee des Herbert Kickl – er hat es selbst erwähnt – von der Willkürhaft. So etwas brauchen wir in unserem Land nicht! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Wir haben für Menschen, gegen die ein Verdacht besteht, die Untersuchungshaft. (Abg. Kickl: Der Doskozil kennt sich da besser aus als Sie! – Zwischenruf des Abg. Wögin­ger.) Wir haben für Menschen, die etwas verbrochen haben und verurteilt worden sind, die Strafhaft. Wir haben für Menschen, die abgeschoben werden, die Schubhaft. Diese Willkürhaft wäre eine Haft für Unschuldige, gegen die kein Verdacht besteht, und so etwas ist in Österreich vollkommen inakzeptabel, geschätzte Damen und Herren! (Bei­fall bei SPÖ und NEOS.)

Ja, Sie haben mit diesem Programm einige Menschen enttäuscht, aber im Sinne des neuen Geistes, der schon einige Male angesprochen wurde, strecken wir unsere Hän­de aus, um als kritische, konstruktive Opposition mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Das bedeutet natürlich Zusammenarbeit, die von beiden Seiten gewollt ist. Das bieten wir an, denn ich glaube, das braucht unser Land auch dringend, um diese Spaltung, die der Vizekanzler angesprochen hat, zu überwinden.

Ich muss offen sagen: Was wir in den letzten Tagen erlebt haben, habe ich als ab­scheulich empfunden, diese Hetze gegen die neue Justizministerin, diese Drohungen, diese Gewalt, die angedroht wurde. Eine Journalistin, Frau Olivera Stajić, hat auf Twit­ter sehr gut dargestellt, wo das wirkliche Problem liegt: Frau Zadić ist nicht für ihre Poli­tik bedroht und kritisiert worden, Frau Zadić ist für ihren Namen, für ihre Herkunft und für ihre angebliche Religion kritisiert worden. Und das – dafür müssen wir gemeinsam sorgen – hat in unserem Land keinen Millimeter Platz, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.35

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Gabriela Schwarz. – Bitte.