11.54

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Vizekanz­ler! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Ich möchte Ihnen allen zuerst einmal zu Ihrer Bestellung zu Ministerinnen und Minister gratulieren und Ihnen viel Glück für Ihre Arbeit wünschen, auch sehr viel Mut, sehr viel Durchsetzungskraft und insbesondere Überzeugungsdrang.

Man kann ja Regierungsprogramme auf ganz unterschiedliche Art und Weise lesen. Man kann sich anschauen, was konkret drinnen steht und diese Maßnahmen zum Beispiel als zu wenig innovativ kritisieren. Man kann sich anschauen, was gar nicht drinnen steht und sagen, da fehlt etwas, das ist vielleicht vergessen, bewusst ausge­lassen worden oder in irgendeiner anderen Art und Weise unter den Tisch gefallen.

Was ich am spannendsten finde: Wenn man ein Regierungsprogramm durchliest und sich Positionen von politischen Parteien anschaut, merkt man, dass im Regierungspro­gramm andere Dinge stehen als die, die man im Wahlkampf versprochen hat. Wir hö­ren ja in den letzten Wochen sehr viel von Kompromissen. Mir geht es allerdings nicht um die Kompromisse, denn es ist ganz gut nachvollziehbar, dass man in der Politik Kompromisse machen muss und der Kompromiss ein wesentlicher Bestandteil der Politik ist. Die Frage ist, warum man plötzlich diametral andere, komplett andere Posi­tionen einnimmt, als man sie im Wahlkampf versprochen hat und im Rahmen der Bil­dung einer Bundesregierung plötzlich seine grundlegenden fundamentalen Positionen aufgibt.

Am spannendsten ist es in diesem Regierungsprogramm dort, wo nicht nur eine der beiden Parteien ihre grundlegende Position aufgegeben hat, sondern beide gemein­sam es geschafft haben, etwas, das sie im Wahlkampf versprochen haben, plötzlich zu vergessen. Sie erinnern sich alle: Wie immer in einem Wahlkampf wurde versprochen, dass die kalte Progression endlich abgeschafft wird. Liest man sich das Regierungs­programm durch, steht dort wieder drinnen, es soll geprüft werden, ob die kalte Pro­gression abgeschafft werden soll.

Ich frage mich dabei, was man denn da prüfen soll. Also es ist sehr interessant: Jeder weiß, was die kalte Progression ist. Sie versprechen den Österreicherinnen und Ös­terreichern, dass sie entlastet werden. Ich kann den Österreicherinnen und Österrei­chern sagen, dass das so nicht der Fall sein wird, denn solange Sie die kalte Progres­sion nicht abschaffen, solange Sie jedes Jahr aufs Neue den Menschen heimlich noch mehr Geld aus dem Geldbörsel nehmen, bringt ihnen die gesamte Steuerreform nichts. Sie können sich die Steuerreform aufmalen. Die Menschen in Österreich werden sich die Entlastung wiederrum selbst zahlen und am Schluss noch mehr belastet sein, als sie es vorher waren. (Beifall bei den NEOS.) Das ist der Teil, in dem beide Parteien plötzlich etwas anderes fordern, als sie es ursprünglich gesagt haben.

Der Herr Bundeskanzler hat vorhin davon gesprochen, dass er nicht will, dass Politik auf Kosten der nächsten Generationen gemacht wird. Es ist sehr mutig, das zu sagen und gleichzeitig in einem Regierungsprogramm zum Thema Pensionen festzuschrei­ben, dass sich das österreichische Pensionssystem durch Sicherheit und Klarheit aus­zeichnet.

Es ist sehr spannend, das zu hören, weil es ja insbesondere der Herr Bundeskanzler – ich glaube, noch in seiner Zeit als JVP-Chef oder auch danach – war, der immer ge­sagt hat, man braucht eine grundlegende Reform des Pensionssystems, damit das Pensionssystem enkelfit wird. Gerade bei dieser Bundesregierung, in der die meisten Ministerinnen und Minister jünger als 40 sind, hätte ich mir eigentlich erwartet, dass man auf die zukünftigen Generationen schaut und versucht, das Pensionssystem end­lich zu reformieren. Das, was hier vorgeschlagen wird, ist nicht das Beste aus beiden Welten, das ist zukunftsvergessen und ein Schlag ins Gesicht der nächsten und über­nächsten Generation, da Sie gar nichts im Pensionssystem reformieren wollen. Das ist eindeutig zu wenig.

Herr Vizekanzler! Sie beschwören ja in den letzten Wochen immer wieder den Kom­promiss. Ich habe schon gesagt, der Kompromiss ist ein wesentlicher Bestandteil der Politik, denn ohne Kompromiss kann es nicht funktionieren. Bei fundamentalen Grund- und Freiheitsrechten macht man aber keine Kompromisse, Herr Vizekanzler. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Leichtfried.)

Frau Kollegin Ernst-Dziedzic ist vorhin mit der den Grünen so ureigenen moralischen Überheblichkeit ans Rednerpult gegangen und hat erklärt: Kontrolle hat es in den letz­ten zwei Jahren im Parlament nicht gegeben. Das, was die Grünen da unterschrieben haben, ist die ultimative Bankrotterklärung im Zusammenhang mit Grund- und Frei­heitsrechten. Sie haben Ihre Überzeugung als Grundrechtspartei für den Einzug in die Ministerien aufgegeben. (Beifall bei den NEOS. Abg. Ernst-Dziedzic: Das müssen Sie sagen! Das stimmt aber nicht!)

Frau Kollegin Ernst-Dziedzic! Es sind die Grünen, die der Kicklʼschen Präventivhaft jetzt den Boden bereiten. Herr Kollege Kickl hat schon gesagt, er freut sich, dem ge­meinsam zuzustimmen. Sie sind diejenigen, die das machen, was die österreichische Bundesverfassung nicht vorsieht, nämlich jemanden präventiv in Haft zu nehmen. Im Regierungsprogramm steht Sicherungshaft, Sie schreiben, dass Sie diese menschen­rechtskonform umsetzen wollen. (Abg. Ernst-Dziedzic: ... steht ja nicht drinnen!) Das wollte Herr Kollege Kickl übrigens auch haben. Wissen Sie, was das Problem ist? – Es gibt keine menschenrechtskonforme Präventivhaft, und das haben Sie nicht verstan­den. (Beifall bei den NEOS.) Sie haben sich von der ÖVP über den Tisch ziehen las­sen und haben Ihre gesamte Reputation als Grundrechts- und Freiheitspartei aufge­ben.

Spannend und der Höhepunkt der Beschwichtigungsversuche von Frau Kollegin Mau­rer, die in den letzten eineinhalb Wochen erklärt hat, dass das alles kein Problem sei, Frau Justizministerin Zadić werde im Justizministerium darauf aufpassen, dass unsere Verfassung geschützt wird, dass unsere Grund- und Freiheitsrechte geschützt werden, ist, dass heute ein Bundesministeriengesetz beschlossen wird, in dem genau diese Teile, diese Kompetenzen vom Justizministerium wieder ins Kanzleramt zurückwan­dern.

Das heißt: Was wird passieren? – Bundeskanzler Kurz wird gemeinsam mit seinem In­nenminister Nehammer eine entsprechende Präventivhaft ausarbeiten, Sie haben da­bei gar nichts mitzureden und bereiten der Kicklʼschen Präventivhaft den Boden. (Zwi­schenruf der Abg. Ernst-Dziedzic.) Norbert Hofer wird Ihnen danach, wie schon am runden Tisch angekündigt, höchstwahrscheinlich – und zu Recht – den FPÖ-Ehrenor­den überreichen, weil Sie bei dieser absurden Idee des Bundeskanzlers mitmachen. (Beifall bei den NEOS.)

Das Ganze ist deswegen so irritierend, weil es ja nicht nur eine Sache im Regie­rungsprogramm ist. Das ist ja kein Ausrutscher, das ist ja kein Versehen. Sie schrei­ben weiter, dass Sie in Zukunft einen verfassungskonformen Bundestrojaner haben wollen – den Bundestrojaner, den die Grünen immer wieder bekämpft haben! –, und das geht immer weiter und weiter und bleibt so situationselastisch. (Abg. Ernst-Dzie­dzic: ... VfGH-Urteil!)

Im EU-Wahlkampf ist der Herr Vizekanzler noch gemeinsam mit mir auf mehreren De­monstrationen gewesen, nämlich gegen Artikel 13, gegen die Uploadfilter, und nun be­fürworten die Grünen in diesem Regierungsprogramm einen Uploadfilter. Ich bin ge­spannt, wie Sie das all den jungen Menschen, die gemeinsam mit uns beiden auf den Demonstrationen gegen Artikel 13 waren, erklären, wieso Sie jetzt gemeinsam mit Bundesminister Blümel, der das ja damals als Medienminister noch sehr vorange­trieben hat, das freie Internet abschaffen wollen. (Abg. Ernst-Dziedzic schüttelt den Kopf.) Das ist eine Bankrotterklärung der Grünen im Zusammenhang mit Grund- und Freiheitsrechten! (Beifall bei den NEOS. – Abg. Ernst-Dziedzic: Ich gebe gerne einen Lektürekurs für die NEOS!)

Ich sage Ihnen, ich könnte das noch lange so machen, und ich wiederhole noch ein­mal: Mir geht es nicht darum, dass man einen Kompromiss schließt, wenn ein Kompro­miss notwendig ist; aber wenn man seine fundamentalen Überzeugungen für Ministe­rInnenposten aufgibt, dann sollte man nicht mehr von Kompromissen sprechen. (Beifall bei den NEOS.)

12.01

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Blümel zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Minister.