16.24

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Hohes Haus! Werte Mitglieder der Bundes­regierung! Auch ich darf Ihnen zur Angelobung ganz herzlich gratulieren.

Soziale Gerechtigkeit, sehr geehrte Damen und Herren, zeigt sich nicht zuletzt beim Zugang zu Recht, und ich erlaube mir als Justizsprecherin meiner Fraktion, eine kurze Bewertung dazu abzugeben.

Ich möchte nicht vorenthalten, dass Sie ein sehr ambitioniertes Programm haben und durchaus Positives, ganz konkret Positives, im Kapitel Justiz erwähnt haben. Daran möchte ich erinnern: mehr wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Bundesverwaltungsgericht; das Gerichtsjahr wird wieder auf neun Monate verlängert; sehr erfreulich ist auch, dass Sie Reformen, längst überfällige Reformen, zum Maß­nahmenvollzug konkret formuliert haben.

Was natürlich bedauerlich ist, ist, dass sonst sehr vieles allgemein formuliert und allge­mein gehalten ist. Zum Beispiel reden Sie von der „Ausstattung der Justiz mit erfor­derlichen Ressourcen“ – eine recht vage Ankündigung, keine Zahlen. Dabei wäre es möglich gewesen, sehr geehrte Damen und Herren, dass man die jährlichen Wahrneh­mungsberichte, die uns zuletzt Justizminister außer Dienst Clemens Jabloner vorgelegt hat, oder auch den aktuellen Wahrnehmungsbericht der Rechtsanwaltskammer, in dem ganz konkrete Zahlen zu dem, was es braucht, stehen, einarbeitet. Dass das nicht ein­gearbeitet wurde, stimmt mich natürlich skeptisch. Es stimmt mich skeptisch, ob Sie die erforderlichen Ressourcen tatsächlich und in ausreichendem Maße zur Verfügung stel­len werden.

Grob geschätzt – und das ist eine Mindestzahl – bräuchte die Justiz 800 Planstellen in den unterschiedlichsten Bereichen, ob das RichterInnen, Staatsanwälte oder Kanzlei­bedienstete, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sind. Ganz besonders ist da noch einmal der Strafvollzug zu erwähnen, in dem etwas mehr als 200 bereits beschlossene Planstellen immer noch nicht besetzt sind. Es würde aber noch weitere 200 benötigen, damit der Strafvollzug, damit die gesetzlichen Aufgaben erfüllt werden können.

Ich vermisse auch – das sage ich unumwunden – Ihr Bekenntnis, ein klares Bekenntnis zu den Bezirksgerichten, die ja vor allem im ländlichen Bereich oder vor Ort die Men­schen, die Bürgerinnen und Bürger sehr interessieren. Da geht es wirklich darum, Ver­trauen der Bevölkerung zu erhalten oder zu gewinnen.

Sie loben die Digitalisierungsoffensive. Ich möchte mich jetzt nicht kritisch gegenüber der Digitalisierung äußern, weil es wichtig ist, die Zeit zu nützen beziehungsweise mit der Zeit zu gehen, allerdings muss uns allen klar sein, dass vielen der Zugang zu digi­talen Medien und die digitale Kompetenz noch fehlen, und da muss man sich schon sehr offen fragen: Welche Bevölkerungsgruppen lassen wir hier bewusst zurück?

Von einer meiner Vorrednerinnen wurde heute ja schon die Arbeitsgruppe gelobt, in der es um die effiziente Gestaltung der Justiz gehen soll, im Klartext also um Spar­maßnahmen und das Einsparen oder Zusammenlegen von Bezirksgerichten. In Tirol würde das bedeuten, dass zumindest 40 Prozent gestrichen werden würden. Das ist sehr massiv.

Ich möchte auch nicht anstehen, zu erwähnen, dass immer wieder von einer wehr­haften liberalen Demokratie die Rede war. Ich frage mich und ich frage Sie, weil diese Aussagen hauptsächlich von Mitgliedern der Regierungsparteien gekommen sind: Wie geht denn eine verfassungskonforme präventive Willkürhaft? Wie geht ein verfas­sungskonformer Bundestrojaner? Wie ist das mit einer liberalen Demokratie vereinbar, sehr geehrte Damen und Herren? Korruptionsbekämpfung ist immens wichtig, aber wie glaubwürdig ist dies denn ohne einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt? Und wie ist das mit der oft zitierten progressiven Politik in Einklang zu bringen? – Ich kann nicht hergehen und Verbote aussprechen, dann aber versichern: Wir werden das mit freundlichen Worten ausschmücken und es wird nicht so hart ankommen. – Irgendwie ist das ein Widerspruch in sich.

Aufhorchen lassen – und damit komme ich zum Schluss – auch die Reformen im Be­reich der familienpolitischen Vorhaben. Die Doppelresidenz, die Sie prüfen wollen, und die gemeinsame Obsorge als Regelfall beunruhigt bereits Frauen, die in Beratungs­stellen hauptsächlich mit Frauen tätig sind, vor allem mit arbeitenden Alleinerzieherin­nen – und das Ganze ohne dezidierte Absichtserklärung, ohne ein Programm der Un­terhaltsgarantie. Ich sehe da große Probleme und große Konflikte auf die Justiz sowie auf viele Männer und Frauen zukommen. Ich kann nur warnen und Sie bitten, da sehr umsichtig zu sein und nicht leichtfertig die gemeinsame Obsorge als Regelfall zu be­schließen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zuletzt möchte ich sagen, dass ich hoffe, dass die Analysen, die jetzt veröffentlicht wurden, nicht stimmen, dass das vorliegende schwarz-grüne Regierungsprogramm nicht wirklich eine Fortschreibung der vergangenen Regierung ist, die zu Recht als neoliberal und deren Programm als ein Programm für die reichen Zehntausend kritisiert worden ist, und dass Sie, sehr geehrte Damen und Herren, hier nicht tatsächlich die MehrheitsbeschafferInnen für ein Regierungsprogramm sind, das eigentlich abgewählt wurde. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

16.30

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Totter. – Bitte.