11.47

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Die Europäische Union steht – ja – vor großen Herausforderungen. Man kann diese großen Herausforderungen im Großen skizzieren, indem man sagt: Ja, wir müssen die Klimakrise bekämpfen, wir müssen die Frage der sozialen Gerechtigkeit endlich intensiver angehen. Verteilungsgerechtigkeit, Gewinnbesteuerung (Abg. Haubner: ... zahlen eh schon so viele Steuern!), das alles sind Schlagworte, die zählen, die wichtig sind, aber man muss auch hinterfragen, wie sich das auswirkt.

Für mich waren es zwei Begegnungen, die für meine Haltung in vielen Fragen we­sentlich waren. Ich habe vor Kurzem mit einem Bauarbeiter aus der Südsteiermark ge­sprochen. Er sagte, er halte das nicht mehr aus. Die Firmen, wo er arbeitet, seien so unter Druck und sie seien deshalb so unter Druck, weil Firmen insbesondere aus Slo­wenien Lohndumping, Sozialdumping betreiben. Diese werden zwar schon verfolgt, verschwinden dann aber und tauchen als neue Firmen wieder auf, und man kann nichts dagegen tun. (Abg. Hörl: Das Gesetz habt ihr gemacht!) Deshalb findet dieser Bauarbeiter, die Europäische Union arbeitet nicht so, wie sie soll. Er hat das ein biss­chen unhöflicher gesagt, ich sage es jetzt übersetzt.

Die zweite Begegnung war mit einer jungen Frau – es ist schon länger her –, die mir erzählt hat, sie habe Architektur und Psychologie studiert, fertig studiert; in dieser Kom­bination deshalb, weil sie gemeint hat, Architekten könnten zwar schön bauen, verstün­den aber nicht viel von Menschen, weshalb sich Menschen in diesen Häusern nicht wohlfühlten; deshalb habe sie auch Psychologie studiert. Diese Frau hat über 200 Be­werbungsschreiben abgeschickt und keine einzige Antwort bekommen. – Das ist die Europäische Union, und dagegen ist aufzutreten, geschätzte Damen und Herren! Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Menschen in diesem Europa nicht so ver­loren und nicht so hoffnungslos sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht um ein paar Dinge: um den Steuerwettlauf nach unten, um die Mindestkör­perschaftsteuer, die anzugehen endlich einmal an der Zeit wäre, um gemeinsame Steuerbemessungsgrundlagen. Ja, es geht um die Finanztransaktionssteuer, und da fangen Herr Lopatka und auch der Herr Finanzminister an, zu fabulieren, warum man bei den jetzigen Modellen nicht mittun will. Daher stelle ich einmal die Frage: Warum ist das jetzige Modell so schlecht, wie es ist? (Zwischenruf des Abg. Lopatka.) – Weil konservative Mehrheiten auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene diese Finanz­transaktionssteuer ruiniert und das ursprüngliche Modell zerstört haben. Das ist der Grund, warum wir jetzt vor diesem Modell stehen, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt zu sagen: Ich stehe auf und gehe!, ist der letzte Schritt dieser Vernichtung. Nein, nicht aufzustehen und zu gehen, sondern dafür zu sorgen, dass es wieder besser wird, das wäre die Verantwortung eines österreichischen Finanzministers, geschätzte Da­men und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht um viel mehr europäische Steuergerechtigkeit. Wie können Sie es hinnehmen, frage ich Sie, ohne ein Wort dazu zu sagen, dass jedes Jahr 1 000 Milliarden Euro an Steuergeldern in Europa verschwinden? Was hört man da von Herrn Lopatka? Was hört man da von Herrn Blümel? – Nichts hört man dazu, weil es ihnen wurscht ist – oder sogar recht ist. Das sind Dinge, die geändert werden müssen. (Abg. Haubner: Sie werden es nicht ändern!) Es geht um Steuergerechtigkeit, es geht aber auch um Verteilungsgerechtigkeit. Und wenn man weiß, dass das reichste 1 Prozent der Men­schen auf dieser Welt dasselbe Vermögen wie 6,9 Milliarden Menschen hat, wenn man weiß, dass die Hälfte der Bevölkerung nur 4 Prozent besitzt, dann weiß man, dass da auch etwas schiefläuft.

Wir brauchen, geschätzte Damen und Herren, endlich eine Europapolitik, die sich um die Ängste der Menschen und nicht um die Ängste der Großbanken und Großkonzerne kümmert. (Abg. Haubner: Darum sind wir so erfolgreich!) Das ist das Europa, das wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als die Zukunft für dieses Europa sehen, und nicht dieses Europa, das konservative Mehrheiten bis jetzt ruiniert haben. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

11.51

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Abgeordnete des Eu­ropäischen Parlaments Mayer. – Bitte.