18.26

Abgeordneter Yannick Shetty (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Dreh- und Angel­punkt dieser Wiesinger-Affäre wurde heute ja schon ein paar Mal angesprochen: die mangelnde Integrationspolitik an Österreichs Schulen. Ich finde, das, was Frau Wiesin­ger hierzu in ihrem Bericht und in ihrem Buch schreibt, ist mehr als beklemmend. Es ist beklemmend, was passiert, wenn man versucht, in diese festgefahrenen Parteistruktu­ren hineinzufahren, und es wagt, an diesen rot-schwarzen Machtkartellen zu rütteln. Es ist das größte Problem in unserer Bildungspolitik, dass sich diese rot-schwarzen Struk­turen und diese realitätsfernen Ideologien über Jahrzehnte in das System hineingefres­sen haben und anscheinend nicht mehr wegzubekommen sind.

Wie kaputt diese Strukturen sind, offenbart sich besonders in der Integrationspolitik. Frau Wiesinger schreibt zum Beispiel: „Alle Spitzenpolitiker, mit denen ich gesprochen habe, sind in den wesentlichen Punkten, was in der Integrationspolitik schiefläuft und wo man ansetzen sollte, nicht weit voneinander entfernt. Bleibt die Frage: Weshalb passiert nichts?“ – Das ist ja eine relevante Frage, da geht es ja nicht um irgendetwas. Da geht es um eines der wichtigsten Politikfelder überhaupt: die Integrationspolitik, die Bildungspolitik. Wenn sich alle Expertinnen und Experten, Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – ich nenne dann auch noch ein paar Beispiele – einig sind, warum passiert dann nichts? – Das ist absolut nicht nachvollziehbar. (Beifall bei den NEOS.)

Frau Wiesinger wird ja dann auch konkret. Sie schreibt, dass alle Expertinnen und Ex­perten und sogar Sie, Herr Bundesminister Faßmann, sich betreffend einen konkreten Bereich, nämlich den verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, dahin gehend einig sind, dass der sinnvoll wäre, dass der eingeführt werden muss. Sinnvoll – das sagen alle, aber selbst der Bildungsminister, schreibt sie, sei ohnmäch­tig gegenüber den alteingesessenen partei- und ideologiegefärbten Strukturen. Da fra­ge ich mich: Woran sind Sie, Herr Bundesminister, konkret in dieser Frage gescheitert? An wem sind Sie gescheitert? – Auch da gibt Frau Wiesinger eine Antwort, und zwar, dass man der FPÖ da nicht einen Raum bieten wollte, weil diese auf einem konfes­sionellen Religionsunterricht besteht.

Wer ist für diese Politik, die sich irgendwie nach Daten, nach Umfragen, danach, was gerade populär ist, richtet, in der ÖVP verantwortlich? – Spätestens seit der Macht­übernahme in der ÖVP und dem innerparteilichen Durchgriffsrecht von Sebastian Kurz kann man zumindest sagen, wer für diese Linie verantwortlich ist, und da muss ich mich jetzt an den leider nicht anwesenden Bundeskanzler Sebastian Kurz wenden und sagen: Ich bin zutiefst enttäuscht, dass gerade Sie als ehemaliger Integrationsstaats­sekretär da komplett lösungsresistent sind und bereit sind, sinnvolle Integrationsmaß­nahmen auf dem Altar des Rechtspopulismus zu opfern. (Beifall bei den NEOS.)

Ich bin heute genauso alt wie Sebastian Kurz, als er Integrationsstaatssekretär wurde (Zwischenruf des Abg. Lopatka) – nein, das war noch nicht der Punkt –, und gerade als junger Abgeordneter verspüre ich einen starken Tatendrang. Ich würde so gern so viel bewegen, und ich verstehe nicht, warum Sebastian Kurz, der die Macht hatte, der den Einfluss hatte, der die Möglichkeiten hatte, einfach nichts bewegen wollte und konnte. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Kucher.) Ich verstehe nicht, wo der Tatendrang von Sebastian Kurz aus der Zeit, als er in die Politik gestartet ist, geblieben ist. Sind ein paar Prozentpunkte bei der nächsten Wahl wirklich wichtiger als eine gute und evidenzbasierte Integrationspolitik? (Abg. Lo­patka: Beides!) – Ja, beides, genau. (Abg. Lopatka: Sie sind ja auch bald Gewinner, oder?) – Ja.

In der Integrationspolitik hat Österreich also massiven Handlungsbedarf, und der Fokus der neuen türkis-blau-grünen Bundesregierung liegt leider auf oberflächlicher Symbol­politik, die von oben drübergestülpt wird, medial Woche für Woche ausgeschlachtet wird und an den eigentlichen Problemen komplett vorbeigeht. Was es wirklich braucht – und jetzt komme ich vom Problemaufriss hin zu den Lösungen, die wir auch immer fordern –, ist eine echte Integrationsoffensive. Ich will drei Punkte herausgreifen, die wir dabei für besonders wichtig erachten.

Wir haben gesagt, wir brauchen eine Integrationsoffensive nach dem Vorbild von Lon­don. Sie wissen, in London hat man in den 1990er-Jahren entdeckt, dass es im Bil­dungssystem riesige Probleme, unter anderem auch mit der Integration, gibt. Man hat dort die Problemschulen identifiziert, und Hunderte Problemschulen wurden aus einer Managementperspektive – sozusagen auf der Ebene des Stadtschulrates in London, wenn man so will – gezielt mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, mit zusätzli­chem Lehrpersonal unterstützt.

Ja, ja, ich weiß schon, jetzt sind Sie (in Richtung ÖVP) stolz, und die Grünen muss man da auch kritisieren, denn es ist ja total absurd, wenn Frau Maurer da draußen steht und sagt: Ja, ja, wir machen das mit 100 Schulen!, wo doch Herr Faßmann noch im Jänner letzten Jahres angekündigt hat, dass es 500 Schulen geben wird. – Das ist ja total absurd! 100 Schulen werden nicht reichen. Jede Schule, die Probleme hat, die als Brennpunktschule identifiziert wird, braucht unsere Unterstützung, denn ohne die­se wird sie es nicht schaffen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abgeordneten Kucher und Vorderwinkler.)

Erster Punkt also: eine echte Integrationsoffensive nach dem Vorbild von London.

Zweiter Punkt: Wir brauchen kostenlose Ganztagesplätze für Schülerinnen und Schüler besonders in Brennpunktschulen, mit sozialarbeiterischen Maßnahmen, Berufsorientie­rung und besseren Förderungsmöglichkeiten vor allem für jene, die aus sozial schwä­cheren Verhältnissen kommen.

Als dritten Punkt möchte ich etwas herausgreifen – ich habe es schon angesprochen –, was Sie ja auch unterstützen, Herr Bundesminister, nämlich einen verpflichtenden Ethik- und Religionenunterricht ab dem ersten Schuljahr, der unserer pluralistischen und offenen demokratischen Gesellschaft gerecht wird.

Das sind nur einige wenige unserer Forderungen, die ja bereits auf dem Tisch liegen. Sie können gerne Ihr unvollständiges Regierungsprogramm in den nächsten 100 Ta­gen damit komplettieren. Mir ist nicht wichtig, wer das umsetzt, sondern dass man das umsetzt.

Ich möchte mit einem Zitat abschließen, das, wie ich finde, sehr treffend für die Politik vor allem der ÖVP in diesem Bereich ist, nämlich vom verstorbenen ehemaligen deut­schen Außenminister Guido Westerwelle, der gesagt hat: In der Politik geht es „nicht darum, das Populäre zu machen, sondern das Richtige zu tun. Und dann muss man dafür sorgen, dass es populär wird.“ – Gerade betreffend die Integrationspolitik lege ich Ihnen dieses Zitat sehr ans Herz. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. El-Nagashi. – Abg. Gerstl: Das haben Sie gut gesagt, vielen Dank!)

18.33

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Romana Deckenba­cher. – Bitte.