10.16

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause! Werte Medienvertreter, die dankenswerterweise heute hier sind! Heute ist ein außer­gewöhnlicher Tag für das Hohe Haus. Ich glaube, wir alle wünschten, das wäre an diesem Tag in dieser Form nicht notwendig, ich möchte aber an dieser Stelle auch sagen: Ich bin froh darüber, und ich halte es für richtig, dass die gesetzgebende Kör­per­schaft, die Volksvertretung dieser Republik, unserer Republik Österreich handlungs­fähig ist und diese Handlungsfähigkeit heute auch zeigt.

Ich habe in den vergangenen Tagen schon klar gesagt, dass dies eine Phase ist, die eine enorme Verantwortung und vor allem Eigenverantwortung erfordert – Eigenver­ant­wortung eines jeden Einzelnen, einer jeden Einzelnen, aber auch Verantwortung für­einander: aufeinander schauen, umsichtig sein und miteinander diesen Weg gehen, allerdings auf Distanz. Menschen übernehmen Verantwortung für andere Menschen. Natürlich geht es – es wurde schon oft gesagt – ganz besonders um die Menschen, die in die Risikogruppe fallen. Das sind ältere Menschen, das sind Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit erhöhtem Blutdruck, mit Diabetes. Das sind alles Risiko­faktoren, die in der Bevölkerung sehr weit verbreitet sind, wie Sie wissen. Dieses Aufei­nanderschauen und Miteinander-durch-diese-Krise-Gehen, etwa indem Kinder für die Älteren einkaufen gehen und das Sackerl an die Tür hängen, ist daher etwas ganz, ganz Notwendiges.

Ich möchte an dieser Stelle auch meinen Dank ausdrücken – ich hoffe, dass ich jetzt keine Gruppe vergesse, es wurden ohnehin schon so viele Gruppen aufgezählt –, ganz besonders natürlich den Personen in medizinischen Berufen, Ärztinnen, Ärzten, dem Pflegepersonal, auch den Beamtinnen und Beamten, die in den letzten Stunden so viel gearbeitet haben, den Menschen, die in den Supermärkten arbeiten. Ich habe am Samstag die Schweißperlen der Damen und Herren – vielen Damen – an der Kassa gesehen und die leeren Regale, die an Zeiten erinnert haben, die wir Gott sei Dank gar nicht erlebt haben. Danke an die Polizistinnen und Polizisten, an alle, die jetzt in irgendeiner Form für die Aufrechterhaltung der Republik – wenn auch in heruntergefah­rener Form – Sorge tragen. Einen ganz besonderen Dank möchte ich an die Medien richten, insbesondere an jene Medien – ich möchte ganz explizit den öffentlich-recht­lichen Rundfunk erwähnen –, die mit sehr viel Achtsamkeit und Sorgsamkeit durch diese Phase gehen und wirklich umfassende Information bieten. Ich danke Ihnen aus ganzem Herzen. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Ich habe auch gesagt, dass es jetzt einen nationalen Schulterschluss betreffend diese dringenden und sehr gravierenden und einschneidenden Maßnahmen braucht. Das sehe ich so. Wir müssen zusammenhalten. Und ich habe auch klar gesagt, schon am Mittwoch, dass die Regierung in uns NEOS hier einen verlässlichen Partner darin hat, diese einschneidenden Maßnahmen und diesen Schulterschluss auf den Weg zu brin­gen. Es geht hier um nichts Geringes. Es geht in den nächsten Tagen und Wochen um die Einschränkung der persönlichen Freiheit von Menschen, auch von Betrieben, von Unternehmerinnen und Unternehmern, von Kindern in einem Ausmaß, wie wir das zu unseren Lebzeiten Gott sei Dank noch nie erlebt haben.

Sie wissen, dass gerade wir als Fraktion, der die Freiheit so wichtig ist, nicht leichtfertig Maßnahmen mittragen, die dazu angetan sind, diese Freiheiten so gravierend zu be­schneiden. Wir glauben aber, es ist richtig, es ist wichtig und es ist in der Gesamtheit sicherlich nicht zu früh.

Wir geben damit aber auch sehr viel Macht und somit auch Verantwortung in die Hände der Regierung. Sie wissen, wir haben uns dafür eingesetzt, dass zumindest heute klargestellt wird, dass dieses Sondergesetz nicht in alle Ewigkeit fortgesetzt wird, sondern ein Enddatum hat. Wenn wir draufkommen, wir müssen gegen Ende des Jahres wieder darauf schauen, dann werden wir entsprechende Maßnahmen beschließen können. Ich halte das aber als Signal für wichtig: Die Regierenden, die jetzt so viel Macht von der gesetzgebenden Körperschaft bekommen, müssen verdammt verant­wortlich damit umgehen, weil es da um sehr viele Grund- und Freiheitsrechte geht.

Wir müssen jetzt aber auch – und jetzt kommt ein bisschen etwas, wo ich Feedback gebe – für Klarheit und Sicherheit sorgen, Klarheit und Sicherheit vor allem für die Betroffenen. Da möchte ich schon anmerken, dass viele sagen, dass diese Salami­taktik, man macht sozusagen jeden Tag eine weitere einschneidende Maßnahme, zwar verständlich ist, weil sich die Menschen auch daran gewöhnen oder man auch sieht, dass sie sich nicht daran halten – wie wir es an den Bildern gesehen haben – oder nicht verstanden haben, was das eigentlich bedeutet, wenn sie in Massen einkaufen gehen oder Partys feiern – dann sehen wir, dass man etwas tun muss –, aber das schafft jetzt noch nicht diese Sicherheit und Klarheit, die notwendig ist.

Klarheit bedeutet auch, dass man als Sportstätte, als Betrieb, als Restaurant oder als Friseur sofort verlässliche Informationen bekommt: Was heißt das jetzt für mich? Ich kann Ihnen sagen, die Telefone laufen bei uns heiß, es gibt Fragen gerade auch von Leuten, die sich diese Informationen von der Regierung, aber zum Beispiel auch von der Wirtschaftskammer erwarten würden, wo bis dato teilweise noch gar nichts gekom­men ist. Also nehmen Sie das jetzt nicht als Kritik, sondern als konstruktives Feedback, aber da geht noch mehr, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden massiv sein. Ich hätte morgen einen Gast­kommentar geschrieben, in dem ich vor einer Rezension warne. Ich werde mir über­legen, wie ich das formuliere, weil ich glaube, wir können feststellen, dass es wirt­schaftlich ganz harte Zeiten werden. Wer in den letzten Tagen unterwegs war – meine Klubdirektorin hat es mir erzählt –, weiß: Man wird in der Schlange, in der man im Supermarkt zwangsweise steht, Zeuge davon, wie Menschen telefonisch gekündigt werden – und zwar nicht knapp, nicht knapp!

Also das, was in den letzten Tagen an Anrufen oder an Schreiben von Chefs bei den Leuten gelandet ist, bei Kellnerinnen und Kellnern, bei Beschäftigten in der Gastro­nomie, in der Hotellerie, aber natürlich auch im Einzelhandel, bei Friseuren, das ist dra­matisch. Das brauche ich Ihnen wahrscheinlich beziehungsweise hoffentlich nicht zu sagen. Wir alle kennen auch Betroffene. Das muss uns völlig klar sein. Die Gesundheit kommt zuerst, aber jetzt müssen wir auch auf die wirtschaftliche Zukunft schauen. Da ist eine Sache für uns ganz klar – auch wenn das ein Zeichen ist und wir das natürlich mittragen; ich möchte hier auch sagen, wir tragen das ja mit –: Diese 4 Milliarden Euro sind viel, viel zu wenig.

Ich glaube, wir brauchen hier einen anderen Weg, auch um Sicherheit und Klarheit für die Betriebe zu schaffen, und zwar von den größeren und mittleren Betrieben bis hin zu den EPUs, bis hin zu den kleinen Betrieben, die teilweise so eine geringe Eigen­kapital­decke haben, dass sie mir sagen, innerhalb einer Woche, spätestens innerhalb von zwei Wochen – das sind selbst gut aufgestellte Betriebe – geht es nicht mehr – geht es nicht mehr! Das sind Tage, die jetzt über Existenzen entscheiden, letztlich auch der von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Das heißt, unser Vorschlag ist – und den werden wir heute auch einbringen –: Gehen wir den Weg von Deutschland und geben ein klares Bekenntnis zu einer unbe­schränk­ten Haftungsübernahme und Garantien für Liquidität ab! Wirtschaft braucht jetzt auch Vertrauen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Vertrauen, und das wäre ein starkes Signal, das ich bis jetzt vermisse. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

KMUs, EPUs, die stehen am Limit ihrer Existenz – und möglicherweise sind sie in einer Woche schon drüber; daher: sofortige automatische Stundung der Steuern, Abgaben und auch der Sozialversicherungsbeiträge – unser Vorschlag wäre: für vier Monate (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ) –, und zwar soll man das nicht beantragen müs­sen, sondern es soll automatisch so sein. Ich glaube, es ist jetzt wirklich an der Zeit, dass der Staat sagt – denn Nulldefizit (in Richtung Vizekanzler Kogler), ich glaube, die Frage brauchen wir nicht mehr zu stellen –, dass es jetzt Zeit ist – das ist ja von unse­rer Seite auch ganz klar –, Geld in die Hand zu nehmen, und zwar, ich sage Ihnen das ganz ehrlich, whatever it takes, was auch immer nötig sein wird.

Das ist jedenfalls der Zugang Deutschlands, und das wird – das kann ich Ihnen auch verraten – in den nächsten Wochen auch der Zugang der EZB sein. Daher: Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge automatisch stunden und dann auch ent­sprechend nur in gewissen Schritten zurückzahlbar machen. Es braucht jetzt wirklich maximale Sicherheit und – das ist mir auch wichtig, denn ich weiß ja, dass ganz viel auch auf dem Verordnungsweg durch den Finanzminister beschlossen wird – bitte mini­male Bürokratie. Sie können den kleinen Betrieben nicht zumuten, jetzt einen Büro­kratiedschungel zu erleben, wo man irgendwo, bei drei oder vier verschiedenen Stellen um Förderungen ansuchen kann – eine Stelle, unbürokratisch, rasch Garantien und Haftungen, und setzen Sie die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge jetzt einmal aus! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.)

Mein Kollege Schellhorn wird dann noch weiter darauf eingehen, es gibt natürlich auch von unserer Seite einen ganz dringenden Appell, im Insolvenzrecht etwas zu machen, damit wir da etwas tun können, dass da auch Geschäftsführer nicht sofort in Haftungs­fragen kommen und Betriebe sofort Insolvenz anmelden müssen.

Ich möchte einen Ausblick geben, der soll, soweit es gelingt, positiv sein: Es gab eine Zeit – noch vor gar nicht allzu langer Zeit –, da haben wir NEOS, denen Vernunft und Wissenschaft und Aufklärung sehr wichtig sind, durchaus viele Kämpfe gegen Heilsver­sprechen, Aberglauben und auch gegen diejenigen, die gesagt haben: Hört nicht auf Experten, hört nicht auf Eliten!, et cetera, gefochten. – Ich bin so dankbar dafür, dass wir weltweit und gerade auch in Österreich so hervorragende Wissenschafterinnen und Wissenschafter, Forscherinnen und Forscher haben, die jetzt auf Hochtouren daran arbeiten, dass wir Medikamente bekommen, die die schlimmsten Auswirkungen von Covid im Griff haben, oder die vielleicht sogar eine Schutzimpfung entwickeln.

Wer in den letzten Tagen Interviews gelesen hat, weiß, so schnell ist es noch nie ge­gangen, auch dank – das muss man sagen – eines sehr behutsamen Vorgehens der WHO, denn nach der letzten Ebolakrise wurden Bausteinsysteme geschaffen. Das Vertrauen in die Wissenschaft und in die Forschung braucht von uns allerseits Unter­stützung, und beim Kampf gegen Aberglauben und Fakenews verlange ich auch einen Schulterschluss.

Ich freue mich darauf, dass wir als Menschheit – wie wir das schon so oft geschafft haben – diese Krise bewältigen werden. Es wird hart sein. Ich sage Ihnen, es wird jeder und jede in irgendeiner Form davon unmittelbar oder jedenfalls mittelbar betroffen sein, aber wir werden gemeinsam, mit dem, was wir können, basierend auf Wis­sen­schaft, durchmarschieren und hoffentlich irgendwann auch gestärkt daraus hervor­gehen. Schaut auf euch und schaut aufeinander! – Danke. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

10.27

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Bundesminister Anschober. – Bitte.