15.23

Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Liebe Österreicherinnen und Österrei­cher! Es ist in den letzten Tagen so gewesen, dass unser Land in einer ganz, ganz be­eindruckenden Art und Weise zusammengerückt ist – paradoxerweise ideell dadurch zusammengerückt, dass wir räumlich Distanz gehalten haben. Zusammenhalten und Zusammenhelfen – das hat man gemerkt – sind aber keine leeren Worte, sondern das ist überall spürbar, erlebbar und jeder Einzelne von uns kann guten Gewissens sagen, dass er Teil einer ganz, ganz großen Gemeinschaft ist, die gemeinsam dieses Virus besiegen wird. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Unser Land – und nicht nur unseres – hat umgeschaltet: von einem Lebensmodus – und jetzt muss man ganz ehrlich sein –, der in gewisser Weise auch ein Erlebnismodus gewesen ist, von diesem Lebens- oder Erlebnismodus in einen Überlebensmodus – mit einem ganz, ganz großen Ziel: möglichst rasch wieder zu einer Art Normalität zurück­zufinden. Wir müssen uns aber auch über Folgendes im Klaren sein: Diese Normalität wird nach dieser Krise eine andere sein, vieles wird neu zu bewerten sein.

Denken Sie etwa an die Europäische Union, die sich in vielen, vielen Dingen, in Klei­nigkeiten mit einer unglaublichen Penetranz um den sogenannten Schutz der europäi­schen Bevölkerung bemüht hat – mit Dingen, die niemand verstehen konnte –, die in Windeseile die Schleusen aufgemacht hat, als es darum gegangen ist, die Finanzwirt­schaft zu retten! Jetzt, da wir mit einer gesundheitlichen und realwirtschaftlichen Me­gakrise konfrontiert sind, sehen wir vonseiten der Europäischen Union jedoch eine Mi­schung aus Abwesenheit, Trägheit und Hilflosigkeit. Auch das wird danach zu bewer­ten sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Denken Sie an diejenigen, die den Fortschritt mit der Globalisierung gleichgesetzt ha­ben! Ich glaube, es sind nicht wenige, die diesem Fehler aufgesessen sind. Jetzt ist die Globalisierung Ausdruck von Verwundbarkeit, von Verletzlichkeit und von Anste­ckungsgefahr – im wahrsten Sinne des Wortes. Jene dürften sich bestätigt fühlen, die immer schon der Regionalität, der Kleinräumigkeit, einer gewissen Überschaubarkeit und vor allem auch der Selbstversorgungsfähigkeit das Wort geredet haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Denken Sie an das Kaputtsparen in vielen Bereichen: etwa an das Kaputtsparen im Gesundheitswesen, an die Schließung von Spitälern, an das Kaputtsparen im Sicher­heitsbereich, egal ob es die Polizei oder das österreichische Bundesheer ist! All diese Maßnahmen, die damals, vor einigen Jahren, gesetzt worden sind und die man lange, lange durchgezogen hat, rächen sich jetzt.

Wir kämpfen gegen zwei Seuchen gleichzeitig, wir kämpfen quasi an zwei Fronten: Wir kämpfen gegen die gesundheitliche Gefahr, natürlich vor allem für die gefährdeten Gruppen, die wir schützen und isolieren müssen – wir wissen heute nicht, ob nicht viel­leicht irgendwann einmal auch ein Strategiewechsel in der Bekämpfung der Krise not­wendig sein wird –, und wir kämpfen natürlich auch um die Aufrechterhaltung des me­dizinischen Normalbetriebs.

Wir kämpfen aber auch gegen eine wirtschaftliche Seuche, die mindestens so gefähr­lich und so schädlich und mindestens so nachhaltig sein wird, wie es die gesundheit­liche Krise ist. Wenn man von der Zahl von über 80 000 Arbeitslosen in wenigen Tagen hört, dann muss einem angst und bange werden, wenn das in dieser Dynamik weiter­geht.

In diesem Kampf darf uns eines nicht passieren, und das ist, dass wir uns selber durch Maßnahmen, die wir setzen, weil sie notwendig sind, um die gesundheitliche Situation im Griff zu behalten, zu Opfern der wirtschaftlichen Seuche machen. Das darf nicht passieren, und dafür müssen wir neue Wege gehen, dafür müssen wir große Würfe machen, dafür müssen wir alles Alte über Bord werfen, das nichts taugt. – Mit einigen Ausnahmen: Nicht über Bord geworfen werden darf das Gefüge aus Macht und Kon­trolle, das substanziell für die Demokratie ist, und da spielt dieses Parlament eine ganz entscheidende Rolle. (Beifall bei FPÖ und NEOS.) Nicht über Bord geworfen werden darf alles das, was mit unseren Grund- und Freiheitsrechten zu tun hat. Da muss jede einzelne Maßnahme wohlüberlegt, wohldosiert sein, und wir brauchen ein System der Kontrolle bei jeder Form des Eingriffs. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Beide Seuchen zu besiegen ist unsere gemeinsame Verantwortung, und das Motto muss lauten: Scheitern ist verboten – so, wie für jene, die draußen, während wir hier tagen, die Stellung halten. Auch für sie gilt: Sie dürfen nicht scheitern – trotz man­gelnder Schutzausrüstung in den Spitälern, in den Ordinationen, in den Alten- und Pfle­geeinrichtungen, in den Supermärkten, in den Banken, im Transportwesen, bei den Reinigungskräften, überall dort, wo sie unmittelbaren, direkten Kontakt zu unseren Mit­bürgerinnen und Mitbürgern haben. Sie alle haben auch Verwandte, sie alle haben El­tern, viele von ihnen sind selbst Väter und Mütter, und neben ihrer enormen Arbeitsbe­lastung ist die Sorge ihr ständiger Begleiter. Ich verweise nur darauf, dass diese Hel­den, von denen so oft die Rede ist, gerade diejenigen sind, die im Bereich der Einkom­men oft an unterster Stelle rangieren, und auch das sollte uns alle nachdenklich ma­chen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, genauso ist das Scheitern für diejenigen verboten, die sich jetzt Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrechen, wie sie nicht nur sich und ihre Familien, sondern auch ihre Unternehmen und ihre Arbeitnehmer über die Runden bringen, wie sie die nächsten Wochen, wie sie die nächsten Monate über­leben werden. Auch für sie ist Scheitern verboten.

Da kommen wir ins Spiel. Das ist auch der Grund dafür, dass wir heute dieses zweite Paket mit erforderlichen Maßnahmen mittragen, mit Maßnahmen, die helfen sollen, diese Gleichung, die aus unglaublich vielen Unbekannten besteht, Stück für Stück auf­zulösen und das Unbekannte durch Bekanntes und durch Sicherheit zu ersetzen. Die­ses heutige Paket ist ein Umsetzungspaket für das, was wir schon bei unserer letzten Sitzung auf den Weg gebracht haben.

Es geht quasi darum, diese 4 Milliarden Euro, von denen vor ein paar Tagen gespro­chen wurde, in Bewegung zu setzen. Dazu gibt es einige Anpassungen von Fristen, eine Art Mobilisierung und Flexibilisierung im Gesundheitsbereich, die notwendig ist. Eines ist dieses Paket aber nicht: Es ist nicht die große Menge echten Geldes, die es tatsächlich brauchen würde, um jetzt rasch den wirklich unmittelbar und besonders Be­troffenen zu helfen.

Wir haben Ihnen schon vor einigen Tagen gesagt, dass diese 4 Milliarden Euro – und davon 1 Milliarde Euro für sogenannte Soforthilfe in diesem Sondertopf – zu wenig sind. Das ist, wie wenn Sie versuchen, ein australisches Buschfeuer mit der Wasser­ladung eines einzigen Flugzeuges zu löschen. Es war absehbar, dass das zu wenig ist. Sie haben nicht auf unseren Vorschlag gehört. Ich verstehe bis heute nicht, warum. Wir könnten schon mehr gemeinsam in Bewegung gesetzt haben. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der SPÖ. – Vizekanzler Kogler – den Kopf schüttelnd –: Nein!)

Das veranlasst mich auch, allgemein ein offenes Wort an Sie zu richten, insbesondere an die Vertreter der Bundesregierung und der Regierungsparteien: Wo Menschen am Werk sind, dort ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Fehler gemacht werden, keiner von uns ist frei davon – aber das Entscheidende ist, daraus zu lernen. Daher meine Bitte an Sie: Tun wir das Aufzeigen von Fehlern nicht als unnötige oder lästige Nörgelei ab! Qualifizieren wir es nicht als Besserwisserei! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Es ist in Wahrheit etwas ganz anderes: Es ist die einzige Möglichkeit – Einsicht und Erkenntnis vorausgesetzt –, ähnliche Fehler und deren negative Folgen für die Zukunft hintanzuhalten und zu vermeiden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. (Abg. Stög­müller: Sie haben uns immer belehrt ...!)

Da bedaure ich es schon sehr, dass jetzt zum wiederholten Male Abänderungsanträge der Opposition, die alle mit viel Überlegung und mit bestem Gewissen und mit größtem Einsatz für die Sache formuliert werden, nicht einmal den Funken einer Berücksich­tigung finden. Einen nationalen Schulterschluss stelle ich mir in dieser Frage anders vor, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei FPÖ und SPÖ sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Dieser Tage schauen alle nach Italien. Der Bürgermeister von Bergamo hat ein „Spie­gel“-Interview gegeben, und in diesem „Spiegel“-Interview richtet er eigentlich einen dramatischen Appell an alle anderen Länder. Er sagt: Nutzt die Zeit, die ihr noch habt! – Es geht immer um den Faktor Zeit. Es geht darum, die Fehler, die Italien im Umgang mit diesem Virus gemacht hat, nicht zu wiederholen, und der Hauptfehler ist es gewesen, zu langsam und zu stückweise reagiert zu haben. Das ist genau dasje­nige, was ich Ihnen vorwerfe, wenn ich die Salamitaktik der Bundesregierung in der Krisenbekämpfung kritisiere. Ich hoffe, ich wünsche mir, dass Österreich seine Maß­nahmen rasch genug und umfassend genug gesetzt hat. Allein ein Blick nach Ischgl und auf Dinge, die dort passiert sind, vermittelt mir manchmal ein etwas anderes Bild.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, verstehen Sie meine Worte als eine Bitte, als eine Anregung aus Sorge um und Fürsorge für die Gesundheit der Bevölkerung, das Überleben der Wirtschaft und das Überleben von Tausenden von Arbeitsplätzen! Ver­lassen Sie – oder nein, verlassen wir gemeinsam sofort dieses System des Stückwerks und der Salamitaktik und einer gewissen Inkonsequenz! Es wird besser für uns alle sein, wenn wir uns dazu entscheiden.

Shutdown – ja, selbstverständlich, aber dann bitte ganz und nicht Ort für Ort und Tal­schaft für Talschaft, weil wir später sowieso an einem Punkt landen, an dem wir das Ganze davon umfassen müssen; nicht zuerst eine Grenze und dann die nächste und dann ein paar Tage später wieder die nächste Grenze schließen, was ermöglicht, dass man weiterhin nach Österreich hereinkommt und dieses Virus verteilt, sondern alle! Das gilt auch für die Flugverbindungen: nicht ein paar und dann ein paar mehr, son­dern alle, die den Personenverkehr betreffen und die nicht unbedingt nötig sind, um den Warentransport aufrechtzuerhalten, streichen!

Sonderbeihilfe und finanzielle Unterstützung für betroffene Unternehmen und Arbeit­nehmer – ja bitte, selbstverständlich, aber dieses 4-Milliarden-Euro-Paket ist verpufft, bevor es überhaupt beschlossen wurde! Das war viel zu wenig und hat eine negative Auswirkung gehabt; die Unternehmer, die rechnen können, haben das einmal durch­dividiert: Wie viele Betroffene gibt es, was bleibt für mich von diesen 4 Milliarden Euro respektive dieser 1 Milliarde Euro über? – Allein diese Verunsicherung hat schon dazu geführt, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesen wenigen Tagen so weit nach oben ge­schnellt ist, wie wir es jetzt erleben müssen.

Wagen Sie den großen Wurf! Geben wir eine Arbeitsplatzgarantie – es wurde schon angesprochen – und schaffen wir Rechtsansprüche! Das schafft Sicherheit und das ist fairer als diese unterschiedlichen Zugangsweisen, die wir jetzt teilweise erleben müs­sen. Machen Sie es unbürokratisch quasi von Amts wegen, und schaffen Sie nicht ei­nen bürokratischen Aufwand, mit dem die Betroffenen zu Bittstellern degradiert wer­den! (Abg. Meinl-Reisinger: ... Sicherheit geschaffen! ... glaube ich auch!) Das geht viel, viel einfacher, dafür gibt es viele Beispiele. Wir haben sie in unseren Anträgen for­muliert.

Kommunizieren Sie viel! Ja, das ist gut und wichtig, aber kommunizieren Sie aus einem Guss und kommunizieren Sie nicht widersprüchlich! – Ich darf nur daran erin­nern, dass es geheißen hat, es wird keine Ausgangsbeschränkungen geben – und dann waren sie da. Ich darf nur daran erinnern, welches Tohuwabohu es um die Schei­dungskinder und die Besuchsrechte gegeben hat, und ich darf nur daran erinnern, dass bis heute keiner weiß, ob er jetzt einen Park betreten darf oder nicht. Viel zu kommunizieren ist dann gut, wenn einheitlich und klar kommuniziert wird, ansonsten ist weniger mehr!

Und ja, beginnen Sie auch, durchzugreifen! Dort, wo unverbesserliche Menschen nicht bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, um die Ausbreitung dieses Virus einzudämmen, greifen Sie durch! Tun Sie das aber nicht nur bei den Kleinen, sondern greifen Sie auch dort durch, wo es, wie wir jetzt schon wissen, ein ganz massives Versagen im Kri­senmanagement gegeben hat, weil manche geglaubt haben, es sich auf Kosten der Allgemeinheit richten zu müssen! – Und damit bin ich wieder bei dem, was in Ischgl passiert ist. Die Kleinen zu strafen und zuzulassen, dass sich die anderen aus der Ver­antwortung stehlen, das wird böses Blut schaffen und ist kein konstruktiver Beitrag für eine gute Zukunft. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Österreicher sind stark, sie halten viel aus. Sie sind bereit, Entbehrungen in Kauf zu nehmen und ihren persönlichen Beitrag zu leisten. Danken wir es ihnen durch eine konsequente, nachhaltige und schlüssige Politik, durch konsequente Handlungen und durch Klarheit und Ehrlichkeit in unserer Kommunikation! Mir, das sage ich Ihnen ganz ehrlich, ist meine Heimat zu schade dafür, dass Fehler, die andere gemacht haben, wiederholt werden. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der SPÖ.)

15.37

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Eli­sabeth Götze. – Bitte.