16.39

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Wir beschließen heute in diesem Sammelgesetz sehr umfassende Änderungen, teilweise sogar Verfassungsänderungen.

Eine Verfassungsänderung, die heute beschlossen werden soll, betrifft die Frage, wie der Ministerrat tagen kann, tagen soll. Es soll vorgesehen werden, dass der Ministerrat auch per Videokonferenz tagen kann. Das ist etwas, das mich grundsätzlich nicht stört; ich glaube, die Bundesregierung kann sich andauernd per Videokonferenz austau­schen, das ist nichts Negatives. Was aber irritierend ist, ist, dass auch vorgesehen werden soll, dass man per Videokonferenz abstimmen kann.

Mir hat bis heute keiner erklären können, wie ich bei einer Videokonferenz entspre­chend dokumentieren kann, wie Ministerratsbeschlüsse vonstattengehen. Es soll fest­geschrieben werden, dass die Möglichkeit des Umlaufbeschlusses gegeben ist; das ist selbstverständlich, das ist gelebte Praxis. Wenn Sie momentan zum Beispiel eine Haushaltversicherung im Internet abschließen, dann können Sie das ganz einfach mit wenigen Klicks machen. Insofern ist mir nicht klar, wieso wir eine so umfassende Ver­fassungsänderung – da geht es schon um etwas Grundlegendes, wie auch das Ab­stimmen per Videokonferenz – haben wollen.

Dementsprechend bringe ich folgenden Antrag ein:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen zum Bericht des Budgetausschusses über den Antrag 397/A der Abgeordneten August Wöginger, Sigrid Maurer, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein 2. COVID-19-Gesetz (112 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der dem eingangs bezeichneten Ausschussbericht angeschlossene Gesetzesentwurf wird wie folgt geändert:

Art. 19 ((Verfassungsbestimmung) Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes) wird wie folgt geändert:

1. Die Z 1 entfällt und die bisherige Z 2 wird zu Z 1.

2. Die bisherige Z 3 wird zu Z 2 und lautet:

"2. Dem Art. 151 wird folgender Abs. 65 angefügt:

'(65) Art. 69 Abs. 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2020 tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung des genannten Bundesgesetzes in Kraft.'"

*****

Es geht wie gesagt darum, dass wir von den grundlegenden Regeln, die wir in der Bundesverfassung haben, nicht abgehen, sondern sie allerhöchstens weiterentwickeln.

Was auch noch passiert, ist, dass wir – das ist schon angesprochen worden – sehr um­fassende Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte in Kauf nehmen werden, da wir der Bundesregierung die Möglichkeit geben, Grund- und Freiheitsrechte einzu­schränken. Das stimmt mich grundsätzlich sehr kritisch und sehr besorgt. Vor allem, wenn man sich anschaut, was in den letzten Tagen in diesem Zusammenhang leider schon passiert ist, muss man besondere Vorsicht walten lassen.

Wir haben einerseits das offensichtliche Datenleck auf der Coronavirusseite des Ge­sundheitsministeriums mitbekommen, da waren massiv viele Daten auslesbar. Ich bin kein Internetexperte, aber wenn man darüber liest, erfährt man, dass viele Daten, die auch Rückschlüsse auf persönliche Merkmale von Menschen ziehen lassen, auslesbar gewesen sind. Andererseits haben wir die Datenweitergabe durch die Telekom, die an­geblich rechtskonform ist. Ich verstehe es immer noch nicht ganz, aber es geht darum, dass man damit umfassende Bewegungsprofile darstellen kann. Die Telekom hat be­schwichtigt und gesagt, es gehe nur um die Profile von Gruppen ab 20 Personen. Fakt ist aber, es ist möglich, so etwas zu machen.

Gerade in so schwierigen Zeiten muss man besonders aufpassen, dass diese Möglich­keiten nicht dazu verwendet werden, dass Missbrauch passiert. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir die entsprechenden Sunsetclauses da drinnen haben. Die sind im Nachhinein noch eingearbeitet worden, was ich sehr positiv finde, weil klar ist, dass diese Maßnahmen auch wieder beendet werden müssen.

Kollege Stefan hat schon angesprochen, dass es leider sehr oft der Fall ist, dass diese Maßnahmen, die in Krisenfällen eingesetzt werden, die normalerweise außerhalb von Krisenfällen nur autoritäre Regime einsetzen – in Krisenfällen sind sie notwendig –, be­stehen bleiben. Man braucht sich nur die USA anzuschauen, die massive Einschrän­kungen der Grund- und Freiheitsrechte nach 9/11 beschlossen und durchgesetzt ha­ben. All diese Einschränkungen sind bis heute in Geltung, weil niemand daran gedacht hat, dass sie auslaufen müssen. Das ist jetzt mit den Sunsetclauses garantiert.

Ich weise hier noch einmal auf die große Verantwortung der Bundesregierung hin: Sie können Maßnahmen setzen, die umfassend sind. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Al­les, was notwendig ist, aber keinen Millimeter weiter! Da geht es um die fundamentalen Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in Österreich, Sie müssen da­mit so achtsam wie irgendwie möglich umgehen! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen.)

Es ist heute schon sehr oft vom nationalen Schulterschluss gesprochen worden. Es gibt zwei Dinge, bei denen mir nicht klar ist, wieso kein nationaler Schulterschluss zu­stande kommt. Das sind zwei Themen, die von der gesamten geeinten Opposition an­gesprochen wurden.

Erstens ist es die Frage, wieso die Wirtschaftskammer und nicht die Finanzbehörden die Unterstützung vergeben.

Das andere ist die Frage der Geschäftsraummiete – das haben wir auch gestern im Budgetausschuss besprochen. Es gibt ein Gesetz, das ABGB, dessen § 1104 vorsieht, dass bei Geschäftsraummieten dann kein Mietzins zu zahlen ist, wenn das Geschäft aufgrund von Seuchen nicht verwendet werden kann. Wir haben das in einer Aus­sprache diskutiert und wir haben es im Budgetausschuss diskutiert. Das ist eine große Frage, weil ganz, ganz viele Unternehmerinnen und Unternehmer einfach nicht wissen, ob das jetzt gilt, ob sie ihren Mietzins bezahlen müssen. Wir haben in der Aussprache teilweise unterschiedliche Sachen gehört, und ganz schlimm war es dann meiner Mei­nung nach im Budgetausschuss. Frau Justizministerin, Sie haben gesagt: Na ja, es gibt den § 1104, es gibt den § 1105, es gibt noch andere Paragrafen, die eventuell zur An­wendung kommen können!

Also ich bin davon überzeugt, dass wir vonseiten der Politik nicht die Aufgabe haben, juristische Fachvorlesungen abzuhalten, sondern dass wir Unternehmerinnen und Un­ternehmern in diesem Land ganz klar sagen müssen, was das für sie bedeutet. Die we­nigen Reserven, die Unternehmer und Unternehmerinnen in Wirklichkeit noch haben, sollen nicht am Anfang des nächsten Monats für die Miete draufgehen. Es muss klar­gestellt werden, dass der Mietzins nicht zu bezahlen ist, weil wir den Fall einer Seuche haben. (Beifall bei den NEOS sowie der Abgeordneten Kickl und Blimlinger.)

Zu Ihrer Entgegnung, Frau Justizministerin, man könne den unabhängigen Gerichten nicht vorgreifen: Ja, selbstverständlich kann man den unabhängigen Gerichten nicht vorgreifen, aber das Justizministerium hat hoffentlich eine klare rechtliche Haltung, und wenn die anders ist, dann müssen wir als Gesetzgeber etwas ändern.

Ich bringe abschließend noch folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „In­formationskampagne Mietzinsminderungsansprüche bei Geschäftsraummieten“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz wird aufgefordert, unverzüglich eine Informationskampagne zu starten, mit der Unternehmerinnen und Unternehmer über die grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Mietzinsminderungsansprüche bei Geschäftsraummieten in Folge Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands aufgrund der "Corona" Virus (SARS-CoV-2) Pandemie aufge­klärt werden.“

*****

Ich halte es für vollkommen unverantwortlich, Frau Justizministerin, sich hinzustellen und zu sagen: Wir wissen nicht, was Unternehmerinnen und Unternehmer am Ende des Monats machen müssen, ob sie den Mietzins zu bezahlen haben oder nicht! – Ich erachte es als Pflicht vonseiten der Politik, hier ein ganz klares Zeichen zu setzen und über die rechtliche Lage aufzuklären. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Amesbauer. – Abg. Schellhorn: Bravo! – Abg. Leichtfried: Das war jetzt eine energische Rede! Ungewohnt energisch!)

16.46

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Budgetausschusses über den Antrag 397/A der Abgeordneten August Wöginger, Sigrid Maurer, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein 2. COVID-19-Ge­setz (112 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der dem eingangs bezeichneten Ausschussbericht angeschlossene Gesetzesentwurf wird wie folgt geändert:

Art. 19 ((Verfassungsbestimmung) Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes) wird wie folgt geändert:

1. Die Z 1 entfällt und die bisherige Z 2 wird zu Z 1.

2. Die bisherige Z 3 wird zu Z 2 und lautet:

"2. Dem Art. 151 wird folgender Abs. 65 angefügt:

'(65) Art. 69 Abs. 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2020 tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung des genannten Bundesgesetzes in Kraft.'"

Begründung

Durch die vorgeschlagenen Änderungen soll klargestellt werden, dass die Bundesre­gierung ihre Beschlüsse auch im Umlaufweg fassen kann; eine Beschlussfassung in einer Videokonferenz soll allerdings nicht möglich sein.

*****

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Informationskampagne Mietzinsminderungsansprüche bei Geschäftsraum­mieten

eingebracht im Zuge der Debatte in der 19. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Budgetausschusses über den Antrag 397/A der Abgeordneten August Wöginger, Sigrid Maurer, BA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003, das Bun­desgesetz über besondere Förderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Förderungsgesetz), das Arbeitslosenversicherungsgesetz, das Arbeitsmarkt­politik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Arbeitsverfassungs­gesetz, das Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Gebührengesetz 1957, das Tabaksteu­ergesetz 1995, die Bundesabgabenordnung, das Zivildienstgesetz 1986, das Verwal­tungsgerichtshofgesetz 1985, das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, das Bundes-Verfassungsgesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, die Exekutions­ordnung, die Insolvenzordnung, die Strafprozessordnung 1975, das Finanzstrafgesetz, das COVID-19-Maßnahmengesetz, das Zustellgesetz, das Künstler-Sozialversiche­rungsfondsgesetz, das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Vertragsbediensteten­gesetz 1948, das Heeresdisziplinargesetz 2014, das Epidemiegesetz 1950, das Ärzte­gesetz 1998, das Sanitätergesetz, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das MTD-Gesetz, das Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten, das Medi­zinproduktegesetz, das Apothekengesetz, das Gesundheitstelematikgesetz 2012, das Suchtmittelgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz und das Pflegefondsge­setz geändert sowie ein Bundesgesetz über die Festlegung von Fristen für Eignungs-, Aufnahme- und Auswahlverfahren an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Ein­richtungen zur Durchführung von Fachhochschul-Studiengängen, Fachhochschulen und Privatuniversitäten für das Studienjahr 2020/21, ein Bundesgesetz betreffend Be­gleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwal­tungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungs­gerichtshofes, ein Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, ein Bundesgesetz betreffend besondere Maßnahmen im Gesellschaftsrecht auf­grund von COVID-19 (Gesellschaftsrechtliches COVID-19-Gesetz – COVID-19-GesG) und ein Bundesgesetz über die Errichtung eines Härtefallfonds (Härtefallfondsgesetz) erlassen werden (2. COVID-19-Gesetz) (112 d.B.) – TOP 2

Die österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer, Selbständige und Freiberuf­lerinnen und Freiberufler stehen aufgrund der rigorosen behördlichen Maßnahmen, die zur Eindämmung des "Corona" Virus (SARS-CoV-2) getroffen wurden, vor existen­tiellen Problemen und kämpfen um das Überleben. Der zum Teil gänzliche Wegfall der Geschäftsgrundlagen führt quer über alle Branchen zu akuten Liquiditätsproblemen.

Nun stellen sich dieser Tage für Geschäftsraummieter_innen wie Vermieter_innen sol­cher Räumlichkeiten unter anderem die wesentliche Frage, ob die Mieten für Ge­schäftsräume trotz der behördlichen Maßnahmen weiterhin (in vollem Umfang) bezahlt werden müssen.

Diesbezüglich herrscht derzeit große Unsicherheit und Unwissenheit bei den Unter­nehmer_innen in Bezug auf allfällige Mietzinsminderungsansprüche bei Geschäfts­raummieten in Folge Unbrauchbarkeit des Bestandsobjekts (§§ 1096, 1104, 1105 ABGB).

Es ist daher dringend geboten, eine umfassende Informationskampagne für die betrof­fenen Unternehmer_innen zu starten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz wird aufgefordert, unverzüglich eine Informationskampagne zu starten, mit der Unternehmerinnen und Unternehmer über die grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Mietzinsminderungsansprüche bei Geschäftsraummieten in Folge Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands aufgrund der "Corona" Virus (SARS-CoV-2) Pandemie aufge­klärt werden."

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag und der Entschließungsantrag wurden ordnungsgemäß eingebracht und stehen mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Peter Haubner. – Bitte.