12.55

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrter Herr Minister! Frau Ministerin! Hohes Haus! Ich glaube, unbestritten ist, dass mittlerweile kein Mensch, keine Expertin, kein Experte daran zweifelt, dass dieses neue Coronavirus eine der größten Gesundheitskrisen unseres Kontinents verursacht hat, die größte Gesundheitskrise seit der Spanischen Grippe vor etwa 100 Jahren. Gleichzeitig sehen und spüren wir in Österreich, in Europa und mittlerweile weltweit, dass die Folgen dieser Gesund­heits­krise auch eine soziale Katastrophe herbeiführen könnten.

Ja, die Arbeitslosenzahlen sind die höchsten in Österreich seit 1946. Wir müssen all unsere Kraft, all unsere Anstrengungen politischer, aber auch gesellschaftlicher Natur daher nicht nur in Richtung dieses Virus richten, sondern ganz klar auch dahin, diese soziale und wirtschaftliche Katastrophe so rasch wie möglich und so gut wie möglich abzuwenden. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Künsberg Sarre.)

Die Frage, die sich daher jetzt und eigentlich schon seit Wochen stellt, ist: Was braucht es dazu? Was braucht es dazu spätestens jetzt? Was hätte es vielleicht schon in den letzten Wochen im gesundheitlichen wie auch im sozialen und wirtschaftlichen Sinne dazu gebraucht?

Betreffend den Bereich der Gesundheit kann man sagen, dass wir im erfolgreichen Kampf gegen dieses Virus alle Maßnahmen bisher mitgetragen haben und mittragen werden (Abg. Leichtfried – in Richtung der sich unterhaltenden Abgeordneten auf der Galerie –: Ist da mal eine Ruhe da oben!), es gibt aber zwei Punkte, um die es aktuell geht.

Im Bereich der Gesundheit und vor allem der Gesundheitsversorgung braucht es endlich eine zentrale Gesundheits- und Ressourcenplanung, es braucht eine zentrale Steuerung. Es braucht einen verlässlichen Überblick, wo in Österreich welche Res­sourcen, Schutzanzüge, Tests, Masken und Beatmungsgeräte verfügbar sind (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Künsberg Sarre), denn nur mit diesem zentralen Über­blick, mit diesem verantwortungsvollen Überblick kann es gelingen, intelligent und gezielt mit den zum Teil – das hören wir von Ihnen täglich – limitierten Ressourcen umzugehen, damit das Gesundheitspersonal nicht ungeschützt arbeiten muss, damit Menschen in ihrer Arbeit nicht ungeschützt sind, damit jedem Patienten und jeder Patientin in Österreich ein Beatmungsgerät zur Verfügung steht, wenn sie beatmungs­pflichtig sind. Ich will keine Situation wie in italienischen Krankenhäusern oder in Frankreich, wo einige Ärzte die Wahl haben – und das ist keine Wahl, die ein Arzt sich wünscht – beziehungsweise entscheiden müssen, ob ein Patient ein Beatmungsgerät bekommt oder nicht. Wir müssen alle Kraft dagegen aufwenden.

Und es braucht eine intelligente, offensive Teststrategie. Vor zwei Tagen habe ich von einer Hausärztin in Niederösterreich Folgendes gemeldet bekommen: Sie hatte einen 54‑jährigen Patienten, der sieben Tage lang eine zunehmend typische Corona­sympto­matik entwickelt hat. Trotz seiner klassischen Symptomatik – Fieber, Husten und Kurz­atmigkeit: klassische Symptome! – und obwohl er bei 1450 angerufen hat, hat er einfach keinen Test erhalten. Man hat ihn darauf hingewiesen, dass er zum Hausarzt gehen solle, wenn er Probleme habe. Dreimal in Folge hat er wegen zunehmender Kurzatmigkeit beim Notruf 144 angerufen, wurde aber auf den Hausarzt verwiesen – es kam noch immer niemand, und schon gar keiner, der ihn getestet hätte.

Seine Tochter hat ihn mit Müh und Not mit einem Auto in die Ordination der Hausärztin gebracht, wo er als Patient mit Verdacht auf Corona eigentlich nicht hinsollte. Er ist dort kollabiert, musste mit Sauerstoff versorgt werden, hat 30 Minuten auf den Notarzt gewartet, und im Spital hat sich herausgestellt, dass dieser Patient coronapositiv ist. Dazu sage ich: Das darf in einem Land wie Österreich nicht passieren, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

Warum ist das passiert? – Er ist kein Einzelfall. Es ist passiert, weil wir eine Test­strategie haben, die besagt: Du bekommst den Test erst, wenn du nachweisen kannst, dass du in einem Risikogebiet warst – Italien, Iran, China werden da als Risikogebiete genannt – oder Kontakt zu einem Coronapatienten hattest. – Hatte er diese Kon­takte? – Nein! Er hatte sie nicht, aber ganz Österreich ist bei der Weltgesund­heitsorga­nisation als Risikogebiet gelistet. Wie widersinnig ist diese fachliche Grundlage, die wir da in Form einer Verdachtsfalldefinition noch immer für ganz Österreich auf der Web­site des Gesundheitsministeriums finden?

Ja, wir müssen beim Einsatz unserer Ressourcen fokussieren, aber im Kampf gegen die soziale Krise braucht es auch eine Bündelung all unserer Kräfte. Es gibt einen Höchststand an Arbeitslosigkeit, einen Höchststand an Ängsten, einen Höchststand an Furcht und Sorgen der Menschen in Österreich. Wenn ich vorhin – vor zwei Wochen schon –: Testen, testen, testen! gesagt habe, dann sage ich jetzt, sehr geehrte Damen und Herren: Helfen, helfen, helfen! Diesen nationalen Schulterschluss, den wir inner­halb der Politik so vor uns hertragen, braucht es mit allen betroffenen ÖsterreicherIn­nen, mit allen Menschen in unserem Land, die von dieser Krise so gebeutelt und geschädigt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Das sind Menschen, die nicht wissen, wie sie morgen ihre Kredite zurückzahlen können, wie sie ihre Miete, ihre Betriebskosten und Fixkosten bezahlen können, kleine Unternehmer, die nicht wissen, wie es weitergeht: Wir dürfen niemanden zurücklassen: keine Patienten, keine Arbeitslosen, keine Alleinerzieherinnen und natürlich auch sicherlich nicht die Schülerinnen und Schüler, die in den nächsten Wochen und Monaten eine unsichere Zukunft vor sich haben. 

Ja, erhöhen wir das Arbeitslosengeld für alle Arbeitslosen – 560 000 Menschen in Österreich –, lassen wir diese nicht zurück! (Beifall bei der SPÖ.) Machen wir in dieser Situation eine wirksame Überbrückungshilfe für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer! Stocken wir den Härtefallfonds so, wie es notwendig ist, auf! Das sind not­wendige Maßnahmen, das sind Anträge, die wir gestern im Budgetausschuss einge­bracht haben, und die Sie, liebe Regierungsfraktionen, leider abgelehnt haben – nicht abgelehnt, vertagt haben. Diese Menschen haben keine Zeit, auf das Geld zu warten, das sie für ihr tägliches Leben brauchen und einfach nicht mehr haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Befassen wir uns endlich auch mit der Frage, wie es weitergeht! Ja, Menschen haben Angst: um ihre Freiheit, um ihre Gesundheit, um ihren Arbeitsplatz und um vieles mehr. Nehmen wir ihnen diese Verunsicherung und geben wir ihnen Zuversicht, indem wir ihnen eine Perspektive geben!

Wie schaut der Weg zurück in die Normalität aus? Da kann man keinen Tag und kein Datum nennen, Herr Vizekanzler, das stimmt. Kein Experte kann das, aber wir können objektivierbare, transparente Kriterien schaffen, auf Basis derer in Zukunft Entschei­dungen getroffen werden, wenn es um die Lockerung der bestehenden Einschrän­kun­gen und Maßnahmen geht.

Es braucht einen Kompass für den Weg zurück in die Normalität. Unser Land braucht Zuversicht betreffend den Weg zurück, und den gehen wir gemeinsam. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

13.03

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klubob­mann Kickl. – Bitte.