11.32

Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Vizekanzler Mag. Werner Kogler: Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungs­bank! Geschätzte Abgeordnete! Ich wende mich auch wieder an die Zuseherinnen und Zuseher und bedanke mich bei all jenen, die hier in Österreich leben und bis jetzt so gut mitgemacht haben, weil es ja ein gemeinsamer Erfolg ist!

Ich kann nur unterstreichen, dass wir in Österreich mit Sicherheit einen Erfolg erzielt haben, was die Entwicklung der Zahlen betrifft – ich sage gar nicht mehr, welche. Es ist aber eben mit Sicherheit ein Erfolg, und dieser Erfolg ist schneller und intensiver ge­kom­men, als ich zumindest es erwartet habe – und genau das versetzt uns in die Lage, Pläne vorzulegen, in welchen Schritten nicht nur gelockert wird, wie man sagt, sondern wie auch bestimmte Bereiche des Lebens wieder hochgefahren werden können.

Mein Dank gilt aber auch Ihnen. – Was vielleicht gar nicht so bekannt ist: Wir haben ja wöchentliche Konferenzen, eben auch mit den Parteiobleuten und den Klubobleuten der Oppositionsparteien. Wir haben dort eigentlich einen sehr guten Austausch, und wir können auch immer wieder Anregungen mitnehmen. Ich verfolge auch die Debatten der Abgeordneten beziehungsweise die Beiträge in den sozialen Medien. Wir ver­suchen, da auch etwas aufzugreifen oder einzuarbeiten; und weil sich da jetzt so ein interessanter Disput, möchte ich fast sagen, zwischen Abgeordnetem Schellhorn und mir herauskristallisiert hat, möchte ich nicht anstehen, auch ihm zu danken. Wir ver­suchen immer wieder, etwas mitzunehmen, es gelingt halt nicht immer gleich intensiv. Mir ist das deshalb wichtig, weil ich ja auch lange genug auf Ihrer Seite der Bänke sozusagen gesessen bin. Nehmen Sie das aufrichtig mit!

Ja, aber zurück zum Aufsperrplan – um es salopp zu sagen –: Es geht mir jetzt nicht darum, dass uns der Erfolg recht gibt. Das ist aber im Übrigen sicher auch richtig, denn mit Zurufen – offen gestanden, wenn man es hier auch von der Regierungsbank aus ein bissl parlamentarischer anlegen darf – wie: Ja, ihr seht eh, wie wenig das ist, was habt ihr euch denn da angetan und uns angetan?!, und so weiter, kann ich tatsächlich nicht viel anfangen, denn es war ja immer ein Abwägen zum Zeitpunkt der Ent­schei­dung. Und hätten wir bestimmte Maßnahmen nicht gesetzt, dann säßen wir alle hier anders da. Das muss schon klar sein.

Im Übrigen: In Zeiten solcher Unsicherheit kann verantwortungsvolles Entscheiden ja nur bedeuten, zu beobachten – das werden wir auch weiterhin machen –, sich zu infor­mieren, zu analysieren, dann abzuwägen und dann Entscheidungen zu treffen. Das halte ich für verantwortungsvoll – das halte ich für verantwortungsvoll! –, alles andere halte ich für Scharlatanerie. Also mir sind die suspekt, die es jetzt schon immer ganz genau wissen, meistens im Nachhinein. Das ist in dieser Situation völliger Unsinn, das kann es gar nicht geben. Es ist genau das: beobachten, sich informieren, analysieren und dann abwägen und entscheiden. Das versuchen wir. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Es kann keiner sagen, ob das immer richtig ist, ich behaupte das ja nicht einmal, auch der Kanzler nicht (Zwischenruf bei der ÖVP), aber wir können es im Rahmen be­stimm­ter Entscheidungsregeln versuchen, die, wie ich meine, durchaus vernunftbasiert und – ja – auch wieder von Zuversicht getragen sind, weil jetzt wieder mehr möglich ist, und die auch ein vernünftiges, planvolles Herangehen und Handeln unterstellen. Und ja, es ist auch Entschlossenheit gefragt, nämlich dann, wenn wir reagieren müssen, wenn sich die Zahlen doch anders entwickeln. Wir wagen jetzt wieder sehr viel.

Es ist viel leichter, alles herunterzufahren. Das haben Sie alle selber auch schon einmal gesagt, glaube ich, und da wird ja Konsens bestehen. Es ist viel schwieriger, zu schauen, in welchen Bereichen, in welchen Schritten man wieder in die Höhe kommt. – Ich sehe Klubobfrau Rendi-Wagner nicken. Ich danke ihr auch dafür, dass sie, wie ich bei den medialen Auftritten gesehen habe – wir haben dort, wo man es objektivieren kann, ja weitgehend ähnliche Einschätzungen –, in diesen Beiträgen immer eine sehr konstruktive Rolle eingenommen hat. Ich glaube, das würde es ja auch ausmachen: dass wir in Zukunft so weiterarbeiten können. Das sind jetzt aber eben Entscheidungen unter unsicheren Rahmenbedingungen. Das ist unsere Vorgangsweise.

Was heißt das jetzt aber? – Wir waren erfolgreicher, als wir geglaubt haben. Ich kann Ihnen sagen, was die Messlatte, wenn wir sie beibehalten wollen – da Sie dann immer fragen: Na gut, woran messen wir das? –, ist, was am Schluss steht: dass wir jeden­falls das Gesundheitssystem nicht überlasten wollen, auch wenn das jetzt schon so oft gesagt wurde, und vor allem die intensivmedizinischen Kapazitäten nicht bis zum Schluss ausreizen, weil wir jetzt auch dort insofern wieder Normalität einkehren lassen wollen – der Gesundheitsminister hat es ja schon angekündigt, das deckt sich auch mit der Meinung der Opposition –, als wir den Normalbetrieb im Gesundheitssystem wieder hochfahren müssen, denn sonst haben wir dort eine höhere Mortalität. Das ist ja auch nicht Sinn der Übung. Wir sehen aber schon, dass jetzt vieles gleichzeitig passiert, manches schrittweise hintereinander, und nicht alles ist prognostizierbar.

Was bedeuten diese Verantwortung und diese Entschlossenheit? – Das heißt, dass wir auch reagieren müssen, wenn wir sehen, manche Zahlen entwickeln sich – aus dieser Perspektive dann: leider – anders; dann werden wir manche nächste Schritte nicht so schnell machen. Es gibt auch Länder, die dauernd als Vorbild genannt werden, Süd­korea zum Beispiel – wir alle beobachten das ja auch genau –, das meiner Information nach viermal die Schulöffnung hat verschieben müssen. Ist das eine Schande? – Nein.

Ist es richtig – Stichwort Planungssicherheit für die Eltern, für die Kinder et cetera –, in den nächsten Tagen überhaupt einmal ein Datum bekannt zu geben, wie das ungefähr ausschauen kann? Ist das richtig? – Ja. Ist es an der Zeit, das zu tun? – Ja. Warum? – Weil wir es uns leisten können. Das sind die Zusammenhänge, und genau so werden wir weiter vorgehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Die entsprechenden Fachminis­terinnen und Fachminister werden das in der Zeit bis 1. Mai vorstellen.

Apropos 1. Mai: Wir haben uns aufgrund der Beobachtung der Zahlen dazu ent­schlos­sen, Zwei-Wochen-Schritte zu machen. Warum? – Wir sind da auch in Abstimmung mit dem Gesundheitsminister: Das ist der kürzestmögliche Zeitraum, in dem man Entwick­lungen infolge der vorigen Schritte schon andeutungsweise erkennen kann. Und wenn das Ziel ist, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, dann heißt das, dass wir die Entwicklungen der Kurven anschauen: erstens natürlich betreffend die Zahl der Neuinfizierten – solange diese in absoluten Zahlen unter 100 bleiben, wie gestern ge­sagt, braucht man sich nicht viele Sorgen zu machen –, und wenn sich da etwas ver­ändert, muss man sich, zweitens, die Dynamik anschauen.

Wo ein allfälliges Aufleben von exponentiellem Wachstum bei bestimmten kritischen Indikatoren in ein paar Wochen dann dazu führen kann, dass wir doch an die Kapa­zitätsgrenzen des Gesundheitssystems stoßen, muss man das sozusagen im Vorlauf berücksichtigen. Wir werden uns da sicher weiterhin mit den Modellrechnerinnen und Epidemiologen auseinandersetzen – auch wenn diese zugegebenermaßen nicht immer einer Meinung sind. Wir werden im Übrigen aber versuchen, das Ganze auch weiterhin nach dem Vorsichtsprinzip zu entscheiden. Wir riskieren jetzt, wie gesagt, sehr viel, im besten Sinne des Wortes, aber wir werden beobachten, wie sich das bis zum Schluss – bis zum Schluss heißt immer: in absehbaren Zeiträumen, Bezug habend auf das Ge­sundheitssystem – ausgehen kann.

Das Ganze hat natürlich ein Ziel, nämlich eine zweite große Ansteckungs- bezie­hungsweise Krankheitswelle zu verhindern, denn das wäre psychologisch natürlich auch fatal. – Ausgeschlossen ist das nicht; wir haben natürlich ein anderes Vorhaben. Das gilt es jedenfalls zu verhindern, und deshalb gibt es die Ankündigungen der schritt­weisen Öffnung.

Dies alles ist sozusagen das Bouquet der verschiedenen Ziele, die man in Einklang bringen muss und soll. Das ist nämlich die Kunst, das so zu erreichen. Es ist keine Kunst, zu sagen – gewisse Lobbyisten sind ja mit ihren Zurufen schon wieder auf der Pirsch beziehungsweise ist es sicherlich ein Vorrecht der Opposition, dass da Ein­zelne, in diversen Landtagen zum Beispiel, hervortreten und das sagen –: Na, so ein Blödsinn, warum haben wir das alles nicht ganz anders gemacht?! – Das ist genau das, was ich vorhin meinte. Nein, ich halte das für keine Kunst. Die Kunst ist es, da sozusagen mit wenig Sichtweite in die Zukunft verantwortungsvoll zu planen und zu handeln. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Apropos Zukunft: Es bleibt aber noch die Zeit, Ihnen diesbezüglich ein paar Gedanken mitzuteilen, die die Regierung insgesamt, aber auch einzelne Regierungsmitglieder schon wieder beschäftigen, weil wir so zuversichtlich sind, dass wir auch weiter den­ken. (Zwischenruf des Abg. Kickl.)

Es gibt natürlich eine Zeit nach der Krise. Bis dahin, das muss auch klar sein, ist vieles ungewohnt, ist es keine gewohnte Normalität. Es werden sich neue Normen heraus­kristallisieren, bis wir eine Impfung haben – so sehe ich das. In der Etappe ist es aber natürlich schon auch wichtig, andere wesentliche Ziele zu verfolgen, nämlich betreffend soziales Zusammenleben. Was heißt das für bestimmte Gruppen, insbesondere für benachteiligte, und, ja – ich sage es ganz deutlich –, auch für das Wirtschaftsleben in Österreich? – Natürlich muss man auch darauf achten, dass Wertschöpfung passieren kann, denn davon leben wir ja alle. Insofern sehen Sie, dass in der Zukunft, wenn wir die Gesundheitskrise im Griff haben werden, andere Ziele in den Vordergrund treten werden, die ohnehin auch wieder mit Krisenbekämpfung zu tun haben, denn jeder, der nicht glaubt, dass dieser Einschlag eine massive Wirtschaftskrise auslösen wird, ist naiv. Wir können aber auch da wieder schauen, wie wir in Österreich und in Europa besser herauskommen als andere beziehungsweise welche Maßnahmen da zu setzen sind.

Wenn ich einer Hoffnung Ausdruck geben darf, dann sage ich, das hat schon sehr viel mit Sozialem und Wirtschaftlichem zu tun. Bei aller Wertschätzung und bei allen Belo­bigungen, die wir in Richtung bestimmter Gruppen aussprechen, die, wie es der Gewerkschaftspräsident sinngemäß gesagt hat, jetzt den Laden, die Republik am Laufen halten, sollte man es nicht bei Einmalzahlungen, bei wertschätzenden Kund­gebungen belassen. Man muss sich doch überhaupt einmal die Frage stellen – und ich hätte eine Idee bezüglich Antworten –, ob es nicht anders sein kann, nämlich dass diese Berufsgruppen in Zukunft eine andere Entlohnung kriegen als jetzt. Wie kann es denn sein, dass diejenigen, die wir als die Wichtigsten apostrophieren, am Schluss, wenn wir nachschauen, am wenigsten verdienen? – Ich glaube, das kann keine Frage von Marktmacht bleiben, das muss auch eine Frage dessen sein, wer oder was insge­samt wem nützt. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Es werden sich also neue Debatten ergeben, neue Fragen stellen, und wir alle werden gemeinsam nach Antworten trachten, die man an dieser Stelle ein bissl – wie man früher gerne gesagt hat – ideologiebefreiter geben kann, wenn es nämlich darum geht, Wertschätzung in wirkliche Anteilnahme zu übersetzen. Das bloße Wirkenlassen von Angebot und Nachfrage würde da schon sehr viel helfen. Ja, wenn es nämlich so ist, dass die Pflegerinnen und die Erntehelfer und Erntehelferinnen so wichtig sind, warum stehen sie dann an der untersten Stelle der Skala? – Da stimmt ja etwas nicht! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.) Ich denke also, da gibt es verschiedene Möglichkeiten, und den Luxus, das zu sagen, habe ich mir heraus­genommen.

Ich sehe hier überhaupt kein Licht leuchten, der Herr Präsident mahnt mich auch nicht (Zwischenbemerkung von Bundesminister Anschober – Zwischenruf der Abg. Rendi-Wagner), das führt mich zu einem zweiten abschließenden Ausblick: Ich glaube, wenn es darum geht, dass man sich aus der Krise hinausinvestieren soll – und das wird es brauchen; wir haben mehrere Etappen vor uns, wir müssen jetzt nach den Nothilfe­maßnahmen natürlich die Wirtschaft und auch den sozialen Zusammenhalt stabilisie­ren und absichern –, wird es dazu kommen, dass man Maßnahmen treffen muss, die auf diese Situation reagieren. Eine davon wird damit zu tun haben, wo man private – jawohl –, aber auch öffentliche Investitionen hinlenken will.

Ich möchte schon jetzt sagen, dass es einfach falsch wäre, da Widersprüche im Sinne des Gedankens: Jetzt hat es eine Krise gegeben und jetzt ist alles anders!, zu konstru­ieren. – Nein. Ich meine, Arbeit, Wirtschaft – jawohl – und Umwelt müssen jetzt erst recht gemeinsam gedacht werden, um uns mit modernsten Technologien aus der Krise hinauszuinvestieren. In der europäischen Dimension gilt haargenau das Gleiche. So­wohl für Österreich als auch für Europa liegen da die Chancen. Das sind die Zukunfts­zweige, mit denen wir gegenüber China oder den USA überhaupt eine Chance haben. – Ja bitte, dann umso schneller hinein dort!

In diesem Zusammenhang wird europäische Solidarität schon eine Rolle spielen. Ich rede da nicht von den diversen Instrumenten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Spanien, Italien und you name it – unter Anführungszeichen – „geholfen“ werden kann. Eines ist gewiss: dass sie günstigere Kredite brauchen, auf welchen Wegen auch immer – davon gibt es mindestens drei, vier, fünf. Dass das nicht ohne Regeln geschehen kann, das sehe ich auch so. Eines muss aber klar sein: Es ist nicht einfach nur unethisch oder unmoralisch, wenn man so will, sie jetzt hängen zu lassen – früher hätte man gesagt: unsolidarisch –, es ist auch unklug. Wer Italien hilft, hilft auch Öster­reich – schauen Sie nach Kärnten und die Wirtschaftsverflechtungen an! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und NEOS.) Das muss man natürlich auch auf der Liste haben. Betreffend Europa – eine frohe Botschaft könnte es ja geben; das geht, glaube ich, auch ohne gröbere ideologische Zugänge –: Die Art der Globalisierung, die wir jetzt erlebt haben, eine völlig entgrenzte und damit enthemmte, hat auch ihren Preis, wenn es darauf ankommt.

Apropos Vorsichtsprinzip und Sicherheit: Eigentlich sollte man schon danach trachten, dass es gewisse Eigenständigkeiten gibt. Das heißt, da sind auch neue Produktions­chancen und -methoden drinnen. Denken wir nur an die Produktionen im medizini­schen Bereich und die Aufrechterhaltung eines europäischen Gesundheitssystems!

Wie heißt es also? – Jede Krise eine Chance, auch darüber sollten und dürfen wir wie­der entsprechend zuversichtlich nachdenken. Ja, und die Entschlossenheit, Stichwort schrittweises Aufsperren, sollten wir uns trotzdem erhalten. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

11.47

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Vizekanzler, ich danke Ihnen für die Ausfüh­rungen.

Bei den Erklärungen der Mitglieder der Bundesregierung gibt es kein Zeitlimit – wir sind in der Debatte nach d’Hondt gebunden; betreffend die Aktuelle Stunde gibt es eine Empfehlung –, sodass Sie in diesem Fall vollkommen frei sind.

In diesem Sinne gehen wir in die Debatte ein; auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Zu Wort gemeldet ist Klubobfrau Dr. Pamela Rendi-Wagner. – Bitte.