11.48

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesregierung! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind gerade Krisenzeiten, in denen es mehr Klarheit, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Vertrauen als sonst braucht. Wenn es um die Klarheit geht, dann war das Ziel, zumindest vor einigen Wochen, als der Shutdown verkündet, als er beschlossen wurde, doch klar. Das Ziel war bekannt, nämlich die Kurve, die berühmte epidemiologische Coronakurve abzu­flachen und damit zu verhindern, dass zu viele Infektionen in kurzer Zeit unser Ge­sund­heitssystem überlasten.

Das ist gelungen, das ist dank der Disziplin von vielen Menschen in Österreich gelun­gen, aber die große Frage, die sich jetzt nach all diesen Wochen der Entbehrungen stellt, ist: Wie geht es weiter? – Diesbezüglich hört man von der Bundesregierung und auch heute wieder vom berühmten Fahren auf Sicht, wobei es Expertinnen und Exper­ten gibt – einige wurden heute auch von Kollegin Schwarz schon erwähnt –, die sagen, dass dieser Ausnahmezustand nicht nur Wochen und Monate dauern kann, sondern vielleicht sogar viele Monate, bis zu drei Jahre; 2023 wurde als Ziel oder als Jahr genannt, in dem ein Impfstoff vorhanden sein wird.

Ich spreche ganz bewusst vom Ausnahmezustand, ich spreche nicht von der neuen Normalität, weil es für mich und für uns nicht normal ist, 600 000 Arbeitslose in Österreich zu haben – eine Rekordzahl seit 1946. 

Es ist nicht normal, wenn Frauen durch diese Coronakrise in veraltete Rollenbilder der 1950er-Jahre zurückgeworfen werden: zurück nach Hause zur Kinderbetreuung, Home­office vielleicht inklusive – auch das ist nicht normal, weder für die Frauen noch für unsere Gesellschaft!

Es ist auch nicht normal, dass wir derartige Eingriffe in die Freiheit erleben. Es ist nicht normal, dass Großeltern über Wochen und vielleicht sogar Monate, die noch vor uns liegen, ihre Kinder und Enkelkinder nicht sehen und umarmen können. Es ist auch nicht normal, sterbende Angehörige, die im Spital liegen, nicht besuchen zu können. All das ist nicht normal, und es ist keine neue Normalität – das ist vielleicht ein längerer Ausnahmezustand, der vor uns liegt, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Eines ist jedoch klar: Die Akutphase ist vorbei. Wir befinden uns in einer neuen Phase, der Phase zwei, wie Sie, Herr Bundeskanzler, sie genannt haben. (Zwischenruf des Abg. Zarits.)

Der Weg wird ein längerer sein, und dieser Weg sollte „mit Glaubwürdigkeit gepflastert sein“, wie ein Journalist in einer österreichischen Tageszeitung vor etwa ein, zwei Wochen geschrieben hat.

Vor ein paar Tagen haben Sie, sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung, gesagt, es werde Monate dauern und die Situation werde schwierig bleiben. Auch heute haben Sie wieder gesagt, eine neue Normalität würden wir mit so viel Freiheit wie möglich und so vielen Beschränkungen wie nötig erleben. Eines kann aber nicht sein, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nämlich dass wir über diesen längeren Zeitraum die Situation haben, dass die Bundesregierung ganz alleine darüber entscheidet, wie die Gesell­schaft, wie wir uns in diesem längeren Ausnahmezustand zu verhalten haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Für diese längere Phase braucht es nämlich eine andere politische Herangehensweise als während einer akuten Krisensituation, eine andere politische Herangehensweise, die die verschiedenen Bedürfnisse unserer Gesellschaft berücksichtigt: die Bedürfnisse der Frauen, der Familien, der Arbeitslosen, der älteren Menschen, der Alleinerzie­herin­nen und Alleinerzieher. (Abg. Steinacker: Unternehmer ...!) Es ist notwendig, dass unsere gesamte Gesellschaft diese neuen Regeln für den längeren Ausnahmezustand gemeinsam entwirft, dass sie sich diese neuen Regeln gemeinsam gibt.

Wir müssen uns ausmachen, wie diese Regeln ausschauen sollen. Das geht nicht allein von der Regierungsbank aus, das geht nur in einem offenen, ehrlichen Diskurs, den unsere Gesellschaft mit Ihnen, den Repräsentanten der Politik, führen muss. Es darf nicht sein, dass – wie in der Akutphase üblich – vonseiten der Regierung per Dekret, per Erlass verordnet oder Freiheit erteilt wird – das ist nicht das, was ich mir für die nächsten Monate oder vielleicht sogar Jahre vorstelle! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Eines sage ich Ihnen ganz deutlich: Ein Land, eine Demokratie wie Österreich über Monate oder gar Jahre mit Erlässen und Verordnungen zu regieren, wird mit uns nicht gehen, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie heute hier die gemeinsame Vorgehensweise der Politik – Regierung und Opposition, über alle Parteigrenzen hinweg – loben, dann sage ich: Ja, gehen wir die­sen Weg gemeinsam, über alle Grenzen hinweg! Ich erwarte mir, dass alle politischen Kräfte, alle Parteien dieses Landes, die Sozialpartner genauso wie die NGOs und die Interessenvertretungen, gemeinsam über diesen Weg der nächsten Jahre entscheiden.

Es gilt, auch darüber zu entscheiden, wer am Ende die Kosten dieser Krise tragen wird. Diese Frage müssen wir nicht erst morgen diskutieren, nein, die müssen wir heute zu diskutieren beginnen! Klar ist nämlich, dazu müssen alle, wirklich alle in Österreich ihren Beitrag leisten. Da gibt es neoliberale Thinktanks, die letzte Woche schon in Erscheinung getreten sind und Vorschläge gemacht haben, nämlich dahin gehend, die Konsumsteuern, also Steuern wie die Mehrwertsteuer, zu erhöhen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist immer dasselbe Muster: Die Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmer, die Konsumentinnen und Konsumenten sollen zahlen. Ich sage Ihnen eines in aller Deutlichkeit: Falls Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Bun­des­regierung, auch nur andenken, am Ende der Krise die arbeitenden Menschen be­zahlen zu lassen, dann rechnen Sie schon einmal mit dem deutlichsten, stärksten und größten Widerstand der Sozialdemokratie! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Was ist nicht täglich in den Pressekonferenzen und auch heute die Rede von den Danksagungen an die Heldinnen und Helden unseres Alltags in der Krise! – Eines dürfen und werden wir nicht zulassen, nämlich dass die heutigen Helden und Heldin­nen der Krise jene sind, die morgen die Kosten der Krise bezahlen, sehr geehrte Da­men und Herren!

Die Krise hat uns eines vor Augen geführt, nämlich wer die wahren Leistungsträgerin­nen und Leistungsträger in Österreich sind. Sie hat uns vor Augen geführt, wie sehr wir in der Gesellschaft aufeinander angewiesen sind, wie wichtig ein starker Sozialstaat ist, wie wichtig ein funktionierendes, solidarisches und gut finanziertes Gesundheitssystem ist, wie überlebensnotwendig Solidarität und Gemeinschaft sind. All das hat uns diese Krise vor Augen geführt, und nicht nur in den letzten Wochen ist es darauf ange­kom­men, nicht nur in den nächsten Monaten wird es im Kampf gegen das Virus darauf an­kommen, sondern auch auf dem Weg aus dieser Krise!

Es wird Solidarität von allen brauchen, die Solidarität der großen Onlinekonzerne, die Solidarität der Millionärinnen und Millionäre unseres Landes, und es braucht auch Beiträge der Finanzmärkte. Um Österreich bestmöglich aus dieser Krise führen zu können, wird es mehr als Hilfsbereitschaft brauchen: Es wird eine ehrliche Zusammen­arbeit, einen ehrlichen Zusammenhalt, eine ehrliche und gelebte Solidarität geben müssen. Dafür werden wir sorgen, denn das ist unsere Aufgabe und unsere Verant­wor­tung, sehr geehrte Damen und Herren. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.56

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Klubobmann Wöginger. – Bitte.