12.24

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zusehe­rinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Zu Beginn vielleicht doch ein Wort an Kolle­gen Klubobmann Kickl: Ich bin bemüht, das ernst zu nehmen, was Sie hier sagen, aber ich muss ganz ehrlich sagen: Ich erinnere mich, wie Sie zu Beginn dieser Krise reagiert haben, wie Sie nicht schnell genug in Ihre Bunker haben kommen können. (Zwischen­ruf des Abg. Martin Graf.) Ich erinnere mich daran, wie Sie vorgeschlagen haben – zu einem Zeitpunkt, als wir noch gar nichts gewusst haben –, ganz radikale Maßnahmen zu setzen: Ihnen war der Lockdown nicht scharf genug. Dass Sie sich jetzt hier­herstellen und plötzlich alles ganz anders hätte gewesen sein sollen, als Sie das zu Beginn behauptet haben, erhöht nicht gerade Ihre Glaubwürdigkeit. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich möchte auch all jenen, die hier ständig mit Schweden kommen, eines sagen: Die haben dreimal so viele Tote wie Österreich (Abg. Kickl: Zusammengerechnet wird am Schluss, Frau Maurer! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), und es ist schon tat­sächlich die Frage, ob wir das wollen. Wenn Sie wollen, dass wir dreimal so viele Tote haben – bitte, gerne. Das ist sicher nicht der Weg, den diese Bundesregierung ein­schlagen wird. Wir haben den richtigen gewählt, wir haben wenige Tote, wir haben wenige Neuinfektionen. Die Zahlen geben uns recht und zeigen, dass die Maßnahmen so funktionieren. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Ich finde es völlig unverantwortlich, wie absolut verharmlosend Sie hier im Übrigen auch mit den Daten umgehen.

Nun aber zum eigentlichen Inhalt meiner Rede: Viele Menschen haben in den letzten Wochen den Podcast von Christian Drosten verfolgt, einem Virologen an der Berliner Charité, der sehr gut und sehr klar über die wissenschaftlichen Hintergründe, auch über verschiedene mögliche Auswirkungen der Maßnahmen et cetera informiert und damit zu einer sehr breiten, guten Informationsbasis der breiten Bevölkerung beige­tragen hat, weil er das kommunikativ sehr gut gemacht hat.

Dieser Virologe Drosten warnt jetzt, da die ersten Lockerungen kommen, vor einer zweiten Welle. Warum tut er das? – Es ist klar: Wir alle freuen uns, dass wir langsam manche Dinge wieder öffnen können. Das Wetter ist schön, man ist gerne draußen. Das sorgt für etwas Aufbruchstimmung trotz aller Schwierigkeiten, die wir haben; das ist ja vollkommen nachvollziehbar. Wir müssen aber trotzdem achtsam bleiben, Drosten warnt vor einer zweiten Infektionswelle. Er warnt davor, dass sich das Virus sozusagen unter der Decke weiterverbreiten könnte, davor, dass sich verschleppte Ansteckungen durch Reisen, Besuche, die sich derzeit nicht in den Zahlen zeigen, weit verbreiten könnten, und davor, dass, wenn wir nicht aufpassen, eine zweite Welle mit einer viel größeren Wucht daherkommen könnte, die die Kapazitäten in unseren Kranken­häu­sern potenziell sprengen könnte.

Auch das Gesundheitssystem machen wir sozusagen wieder auf (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Loacker), weil alle Menschen in Österreich ein Recht darauf haben, jene Behandlungen zu bekommen, die wir jetzt aufgrund der Coronakrise verschoben haben, die nicht superdringend waren. Alle Menschen haben jedoch ein Recht darauf, dass Sie sie jetzt bekommen, und sie bekommen sie. (Neuerliche Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Loacker.)

Das heißt, es werden mehr Betten belegt sein, das Gesundheitspersonal wird also auch für andere Dinge gebraucht werden. Das bedeutet, wir sind nicht mehr in der Situation wie in den letzten Wochen. Dementsprechend ist es extrem wichtig, dass wir uns weiterhin an die Maßnahmen halten und dass wir, weil es jetzt gut läuft, nicht Ideen entwickeln, schneller vorzugehen, unbedachter vorzugehen, schneller aufzu­machen.

Drosten verweist auf die Spanische Grippe. Damals ist die zweite Welle der Infektion wesentlich dramatischer verlaufen, und in den weiteren Wellen sind wesentlich mehr Menschen gestorben als in der ersten Welle, nachdem man geglaubt hat, dass man die Pandemie erfolgreich bekämpft hat. Das hat dazu geführt, dass es Millionen Tote in Europa gab. Diese Situation wollen wir auf jeden Fall verhindern – die werden wir auch verhindern, davon bin ich überzeugt.

Ich bin überzeugt davon, dass sich die österreichische Bevölkerung, die bis hierher super mitgemacht hat und der unser großer Dank gilt, auch weiterhin vernünftig ver­halten wird und die Maßnahmen des Social Distancing weiterhin einhalten wird, damit diese Situation nicht eintritt.

Es war und ist eine gemeinsame Krisensituation. Es ist in dieser Zeit des Aus­nahme­zustandes viel passiert, und die Krise hat die Art, wie wir leben, radikal verändert. (Abg. Belakowitsch: Sie haben Millionen Menschen ...!) Menschen sind plötzlich viel zu Hause, sie sind isoliert, sie sind auch zurückgeworfen auf die Kleinstfamilie, oft auf sehr engem Raum, und für viele ist auch plötzlich das soziale Netz weg gewesen, das normalerweise hilft und unterstützt: die Lehrerin, die für ein Kind, das in einer Familie Schwierigkeiten hat, das offene Ohr hat; die Freundinnen und Freunde, mit denen man reden kann; aber potenziell auch die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, das soziale Netz aus der Nachbarschaft, die erweiterte Familie, Freundinnen und Freunde. Speziell Frauen mit Betreuungspflichten haben in dieser Zeit extrem viel geschultert, haben die letzten Reserven mobilisiert und haben sich dabei oft alleingelassen gefühlt und gefragt, wie lange das noch dauert. Sie haben in diesen letzten Wochen oft einen hohen Preis bezahlt.

Wir kommen jetzt in die nächste Phase. Die Wirtschaft, das öffentliche Leben wieder hochzufahren, muss selbstverständlich gleichzeitig bedeuten, dass auch das soziale Netz wieder dichter wird, dass all diese Kontakte wieder zur Verfügung stehen, dass wir uns um die Kinder, insbesondere jene, die mit ihren Familien auf sehr engem Raum leben – wir wissen von Lehrerinnen und Lehrern, dass 20 Prozent der Kinder jetzt in dieser Situation nicht gut erreicht werden können –, besonders kümmern müssen.

Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Schulen sind offen, die Kinder­gärten sind offen. Wir müssen das, glaube ich, auch noch lauter sagen, damit es auch der letzte Standort erfährt. Kollegin Meinl-Reisinger, ich gebe Ihnen absolut recht, es ist völlig inakzeptabel, dass es Kindergärten und Schulen gibt, die Kinder abweisen, weil man sagt, die Begründung ist nicht ausreichend, oder dass überhaupt eine Be­gründung vorgelegt werden muss. (Abg. Meinl-Reisinger: Dann sind sie nicht offen für alle!) Das kann es nicht geben. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Das kann es nicht geben, sie müssen für alle offen sein. (Abg. Meinl-Reisinger: ... Dienst! Machts euren Job!) Wir sind die Bundesregierung, also wir sind in der Bundesregierung. (Zwischenruf des Abg. Scherak.) Es ist klar, sie müssen offen sein, und das wird sich auch in alle Gemeinden und in alle Bundesländer durchsprechen müssen. Wenn es da Fälle gibt, dann bitte ich um die konkrete Auflistung, denn dann wird man dort wohl bei den Bil­dungsdirektionen intervenieren müssen.

So wie es eine gemeinschaftliche Aufgabe war, das Virus zurückzudrängen, muss es auch eine gemeinschaftliche Aufgabe sein, das öffentliche Leben, das soziale Netz und die Beziehungen auch jenseits der Familie wiederherzustellen, damit die Krise nicht auf Kosten der Frauen und auch nicht auf Kosten der Kinder geht.

Bis jetzt haben wir es sehr gut geschafft. Ich bin mir sicher, dass wir auch die weiteren Schritte gut schaffen werden. Es sind viele Fragen offen, und ich bin mir sogar sicher, dass wir viele Fragen noch gar nicht kennen. Wir kennen vielleicht bei manchen Din­gen die Antworten noch nicht, aber wir kennen auch viele Fragen noch nicht. Es wer­den noch ganz, ganz viele Herausforderungen auf uns zukommen. Es ist eine welt­weite Wirt­schaftskrise, mit der wir konfrontiert sind – ich habe gerade vom Bundeskanzler gehört, die Prognose besagt aktuell minus 6 Prozent –, aber wir können aus dieser Krise lernen und neue Antworten entwickeln.

Wir werden darüber reden müssen, welchen Wert die Arbeit jener Menschen hat, die uns jetzt besonders wichtig erscheinen, deren Arbeit immer wichtig ist, die aber jetzt plötzlich deutlich sichtbarer wird: die Pflegerinnen und Pfleger, die VerkäuferInnen in den Supermärkten, auch die Pädagoginnen und Pädagogen, die viele Eltern in den letzten Wochen sicher schmerzlich vermisst haben, seit sie Homeschooling betreiben müssen. Es geht zum Beispiel auch um den Wert einer regionalen Produktion, sowohl Schutzkleidung als auch Medikamente oder Lebensmittel betreffend. Es geht natürlich auch um den Klimaschutz. Es sind gerade sehr wenige Autos auf den Straßen, und das ist eigentlich doch sehr angenehm, sagen viele Menschen. Was sind die Ant­worten, die wir in Zukunft dahin gehend finden können?

Diese Zukunft zu gestalten wird eine sehr große Herausforderung, aber es ist auch eine große Chance; und ich bin mir sicher, gemeinsam schaffen wir das. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

12.32

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Josef Schellhorn. – Bitte.