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Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Werter Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregie­rung! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer nicht hier im Saal, aber vielleicht vor den Bildschirmen! Es ist schon einiges zu dem Budget, das die nächsten Tage hier debattiert wird, gesagt worden, und ich habe auch einiges darüber gelesen, wie das so kommentiert wurde. Da ist die Rede von „Haus­nummern“; man könnte genauso gut Hausnummern diskutieren. Es ist, finde ich, auch sehr treffend von „Altpapier“ gesprochen worden, das eigentlich eh schon vor einigen Wochen mehr oder weniger symbolisch in den Mistkübel verfrachtet worden ist.

Man könnte natürlich auf dem Standpunkt stehen, das ist die dumme Opposition, die nicht versteht, in welcher außergewöhnlichen Situation man ist, und dass es sehr schwer möglich ist, wirklich akkurate Zahlen zu liefern. (Zwischenruf des Abg. Deimek.) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist jedes Verständnis dafür da, dass nicht jede Zahl in jeder Untergruppe auf Punkt und Beistrich halten wird – das ist völlig klar. Das ist der Opposition genauso klar. Es aber nicht einmal zu versuchen, ein seriöses Budget mit einem entsprechenden Nachtrag zu liefern, ist tatsächlich eine Respektlosigkeit ge­genüber dem Parlamentarismus und gegenüber der Volksvertretung in diesem Land. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Herr Klubobmann Wöginger, Sie haben gesagt, es wäre unseriös, revidierte Zahlen auf den Tisch zu legen. Der Leitspruch dieser Bundesregierung oder auch der Abgeordneten der Regierungsfraktionen dürfte also sein: Wenn schon unseriös, dann gescheit! (Hei­terkeit der Rednerin.) Da legen wir gleich das Altpapier vor und keine neuen Zahlen (Zwischenruf des Abg. Wöginger) – das ist genauso unseriös beziehungsweise noch unseriöser –, und dann debattieren wir nicht darüber!

Das ist doch kein Anspruch! Das ist doch kein Anspruch, den man an eine ernsthafte Budgetdebatte haben kann. Noch einmal: Das Verständnis ist ja da. Wenn aber die beste Information, die wir hier im eigenen Haus als Abgeordnete bekommen, von unserem Budgetdienst erstellt wird – an dieser Stelle einmal ein herzliches Dankeschön für die wirklich hervorragende Arbeit, die da gemacht wurde (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ) –, dann kommt das doch einer Arbeitsverweigerung des Fi­nanzministers und des gesamten Finanzministeriums gleich. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Der Budgetdienst hat das eingearbeitet, was an Brüssel gemeldet wurde, und es mag schon sein (Zwischenruf der Abg. Greiner), dass das in der Detailtiefe nicht vergleichbar ist – keine Frage –, aber immerhin konnten dadurch wesentliche Abschätzungen und Vorausschauen getätigt werden.

Was Sie machen, ist eigentlich die Fortsetzung Ihrer Aktivitäten der letzten Wochen: Sie nutzen die Krise, um sukzessive eine Entmachtung des Parlaments voranzutreiben. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ.) Es geht um eine Ver­ordnungsermächtigung, die Sie dann auf rechtsstaatlich schwindligem Boden umsetzen. Es geht hier nun um eine Überschreitungsermächtigung. Wenn ich lese, dass es welche gibt, die sagen: Das ist ja eine kleinliche Debatte!, dann sage ich Ihnen: Das ist keine kleinliche Debatte! Es geht um die Grundinstitutionen der Demokratie und es geht um das Haushaltsrecht des Parlaments.

Wenn die Abgeordneten der Regierungsfraktionen hier am Donnerstagabend beschlie­ßen werden, dass dem Finanzminister mal locker-flockig nahezu ein Drittel des Budgets im Wege einer Überschreitungsermächtigung – eine Art Blankoscheck – ohne Mitwir­kungsrecht des Parlaments gegeben wird, dann ist das meiner Meinung nach eine Selbstaufgabe des Parlamentarismus. Und was das für die Demokratie in diesem Land bedeutet, sollten Sie in Ihren Fraktionen zu Ende diskutieren! (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Inszenierung schlägt Inhalt – wesentliche Zahlen kennen wir aus Pressekonferenzen. Das ist immer besonders interessant, wenn wir hier keine ordentlichen Zahlen geliefert bekommen, aber wie so viele fieberhaft bei der 80. Pressekonferenz vor den Bild­schirmen sitzen und dann dort die Zahlen hören, die Sie quasi als in Zahlen gegossene Politik – als Plan – präsentieren. (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Ich höre schon auf, darüber zu sprechen, was das wieder in Bezug auf den Respekt gegenüber dem Haus­haltsrecht des Parlaments bedeutet, wenn man diese Zahlen aus Pressekonferenzen erfährt.

Wir wissen aber auch seit gestern – seit der „ZIB 2“ – definitiv, dass Inszenierung auch Inhalt schlägt, wenn es um die Frage der Wirtschaftshilfen geht. Entschuldigen Sie, aber wenn wir betreffend Budget eh nur im Kaffeesud lesen können – auch wenn Frau Klub­obfrau Maurer sich redlich bemüht hat, sich noch an den Zielen festzuhalten, die vor Corona ausgeschrieben wurden –, dann diskutieren wir doch darüber, welche Covid-19-Hilfsmaßnahmen tatsächlich passiert sind und welche Wirksamkeit diese gehabt haben!

Schauen Sie, ich habe da so einen Knopf im Hirn: Vor ein paar Wochen – mittlerweile eigentlich Monaten – sind Sie hier gestanden und haben einen Schulterschluss be­schworen, haben gesagt, dass wir nur gemeinsam gut und stark aus dieser Krise heraus­kommen. Es gab da immer wieder Momente, bei denen mit großer Geste verkündet wurde, was jetzt nicht alles gemacht werden würde. Die größte aller Gesten war: „Koste es, was es wolle!“

Immer wieder gab es dann Situationen, in denen Abgeordnete der Oppositionsparteien darauf aufmerksam gemacht haben, dass die eine oder andere Hilfsmaßnahme vielleicht nicht so klug gestrickt war, wie Sie sich das in den Pressekonferenzen schöngeredet haben, dass vielleicht die eine oder andere Hilfsmaßnahme wie zum Beispiel die Kurz­arbeit eine Art Liquiditätsfalle für die Unternehmer werden könnte, weil die Auszahlungen nicht rasch passieren.

Was haben Sie damals gesagt? – Sie haben gesagt: Die Opposition kann nur kritisieren, das ist ja alles falsch, das ist ja alles nicht wahr! – Und jetzt schauen Sie sich das anhand der tatsächlichen Zahlen an, die nun auch auf dem Tisch liegen! Gestern haben wir das von der Kurzarbeit gehört: Diese wurde mittlerweile auf 12 Milliarden Euro erhöht, 273 Millionen Euro wurden ausbezahlt – das Ganze in der Situation, dass nun der Juni kommt, in dem die doppelten Gehälter fällig werden. (Abg. Wöginger: Es ist ja noch gar nicht abgerechnet!) – Das ist ja die Tragik, Herr Wöginger, dass noch nicht abgerechnet ist! Das ist genau das Problem, vor dem wir gewarnt haben. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir haben gesagt, dass das eine Liquiditätsfalle für Unternehmen werden wird. (Zwi­schenrufe der Abgeordneten Wöginger und Schellhorn.) Das ist schlecht gemacht, absolut schlecht gemacht! (Beifall bei NEOS und SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Schell­horn. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Oder auch der Härtefallfonds: Der Härtefallfonds ist an Bürokratismus nicht zu überbie­ten! (Abg. Schellhorn: Wahnsinn!) Nicht zu überbieten! (Zwischenruf des Abg. Wögin­ger.) Für vielleicht 436 Euro geben Unternehmer alle Zahlen (Zwischenruf des Abg. Vogl) – übrigens nicht nur Schätzungen – und auch alle Daten der Wirtschaftskammer bekannt (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wöginger), und es sind 191 Millionen Euro ausgezahlt worden. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Die Frage ist: Können Sie es nicht oder wollen Sie es nicht? (Ruf: Sie können es nicht!) – Wenn das Budget in Zahlen gegossene Politik ist und ein Plan ist (Abg. Wöginger: ... her­schenken?!), dann muss man sagen, das zeugt von einer ungeheuren Planlosigkeit. (Abg. Schellhorn – in Richtung Abg. Wöginger –: Herschenken? Was schenkst du denn her? – Abg. Wöginger – in Richtung Abg. Schellhorn –: ... Untersuchungsausschuss!) – Darf ich die Herren vielleicht bitten, das nachher zu diskutieren? Danke schön. Es zeugt von einer ungeheuren Planlosigkeit und letztlich auch von einer Realitätsverweigerung, was die Betriebe, was die Menschen, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Unternehmerinnen und Unternehmer jetzt tatsächlich brauchen.

Phase eins sollte rasche und unbürokratische Hilfe bedeuten – also gut, ich glaube, wir können heute feststellen, dass das nicht so wahnsinnig gut funktioniert hat. Die Phase zwei ist nun das Hochfahren. Das ist ein sehr sensibler Bereich, und da habe ich schon einmal gesagt, da reicht die große Geste nicht, das muss mit sehr viel Gewissen­haftigkeit passieren – Inkonsistenzen sind ja genug da –, aber vor allem muss es mit Optimismus, Zuversicht und Planbarkeit einhergehen.

Ich kann an dieser Stelle hier nur noch einmal appellieren, das eine oder andere Mal auch dem zuzuhören, was die Opposition sagt. Mit Angstrhetorik – da (in Richtung Bun­deskanzler Kurz) sitzt ja der oberste Angstrhetoriker – allein wird man die Zuversicht und den Optimismus nicht in dieses Land hineinbringen (Beifall bei den NEOS), weder bei den Konsumentinnen und Konsumenten noch bei den Betrieben, die nun wieder hoch­fahren. Wenn ich möchte, dass konsumiert wird, wenn ich möchte, dass die Betriebe wieder arbeiten, dann braucht es dafür diese Zuversicht. Wir haben gestern auch Vor­schläge gemacht – ich kann sie Ihnen auch gerne wieder unterbreiten –, was man für diese Zuversicht, diese Planbarkeit und den Optimismus braucht.

Wenn wir von Freiheit sprechen, und ich glaube, es ist dringend notwendig, darüber zu sprechen, dann müssen wir in dieser Situation von der Freiheit für Unternehmerinnen und Unternehmer reden. Die kreativen Köpfe, die in den letzten Wochen adaptiert haben, stoßen immer wieder an die Grenzen der Gewerbeordnung. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Plan vorzulegen, Zuversicht und unternehmerische Freiheit in dieses Land zu bringen und die Gewerbeordnung zu reformieren oder auch Entlastung zu bringen? Frau Klubobfrau Rendi-Wagner hat es auch gesagt: steuerliche Entlastung in der Tarifreform bitte vorziehen, damit wir eine Chance haben, den Konsum anzukurbeln und so Zuver­sicht zu bringen!

Eigenkapitalstärkung ist auch wichtig; daher unser Vorschlag, für nicht entnommene Gewinne in den nächsten zwei, drei Jahren die KÖSt auszusetzen. Das wird ein wesent­liches Thema sein – hören Sie Herrn Treichl im „Morgenjournal“ zu! –: die Eigenkapital­ausstattung der Unternehmen. Investitionen in den Unternehmen sicherstellen, Eigen­kapital stärken – habe ich schon gesagt –, und nun sage ich Ihnen den letzten Punkt – ich nehme an, wir werden das auch noch diskutieren –, und zwar: Europa.

Optimismus und Zuversicht bedeuten auch, anzuerkennen – wie es auch schon hier be­sprochen wurde –, dass Österreich keine Insel, sondern Gott sei Dank eine sehr ver­netzte Volkswirtschaft ist. Ich hoffe doch, dass sich, anders als in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, bei den Regierenden ein europäischer Gedanke durchgesetzt hat, dass man sieht, dass eine reine Austria-First-Position wirtschaftspolitisch und europa­politisch das Dümmste ist, das man machen kann.

Wir sind vernetzt, das ist gut so, und die Stärke Österreichs, auch in der Zukunft, liegt in einem starken Europa. Das bedeutet, es gilt die Grenzen aufzumachen, und das be­deutet, es gilt auch auf europäischer Ebene in dieser Phase solidarisch vorzugehen. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

10.00

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Finanzminister. Ich darf ihm das Wort erteilen. (Abg. Matznetter: Vielleicht hat er ja die richtigen Zahlen mitgebracht! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Martin Graf.)