16.21

Abgeordneter Ing. Reinhold Einwallner (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Zwischen den Ankündigungen dieser Bundesregierung und der Realität klaffen Welten, meine Damen und Herren. Jeder dritte Österreicher ist entweder von Kurzarbeit oder von Arbeitslosigkeit betroffen. Herr Bun­deskanzler, es fehlt Ihnen offenbar das Gefühl, nachzuempfinden, wie es jemandem geht, der in Kurzarbeit oder in Arbeitslosigkeit ist, denn: Warum zögern Sie sonst, das Arbeitslosengeld zu erhöhen? Das kann doch keinen anderen Grund haben. Es fehlt Ihnen das Gefühl dafür. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie können offensichtlich auch nicht nachempfinden, wie es einem Einpersonenunter­nehmen oder einem kleinen oder mittleren Unternehmen geht, einem Unternehmer, der mit viel Risikobereitschaft, mit viel Einsatz den Weg in die Selbstständigkeit gewagt hat und jetzt vielleicht vor den Trümmern seiner Existenz steht, um seine Existenz fürchten muss, denn die Unternehmerinnen und Unternehmer bekommen noch viel zu wenig. Ich zitiere auch eine Unternehmerin, die schreibt: Exakt 81,75 Euro habe ich bekommen. Das ist eine Farce. Das sind ja nicht einmal Almosen. – Zitatende.

Meine Damen und Herren! Herr Klubobmann Wöginger, weniger reden, mehr auszahlen! Das wäre das Prinzip. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Gefühl entwickeln Sie nur dann, wenn es um Inszenierungen geht. Der Bevölkerung haben Sie in den letzten Wochen ganz, ganz viel abverlangt. Nur wenn der Kanzler auf Inszenierungsreise geht, ist plötzlich alles ganz anders. Da fordert man im Vorfeld Beflaggungen in Mittelberg ein. Wenn der Kanzler auf Inszenierungsreise geht, gibt es plötzlich keine Grenzschließungen mehr. Die Patchworkeltern, die wochen­lang auf eine Regelung gewartet haben, damit sie über die Grenze können, wenn sie ihre Kinder wiedersehen möchten, empfinden das ganz anders. Herr Bundeskanzler, innehalten! Spüren Sie die Ungerechtigkeit? Innehalten ist da gefragt. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Stefan und Brandstätter.)

Wenn der Kanzler auf Inszenierungsreise geht, dann kann er mit Landeshauptmann Wallner in Vorarlberg Schulter an Schulter gehen, da spielt der Abstand keine Rolle, da braucht man keinen Mund-Nasen-Schutz, aber wenn sich zeitgleich in Vorarlberg zwei Schulfreunde auf einer Parkbank treffen, dann bekommen sie mehrere Hundert Euro Strafe. Innehalten, Herr Bundeskanzler! Spüren Sie die Ungerechtigkeit? (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Wenn der Kanzler auf Inszenierungsreise geht, dann spielt es keine Rolle, wie viele Menschen sich versammeln, damit der Kanzler gute Fotos bekommt und ein paar Selfies machen kann. Meine Damen und Herren, gleichzeitig hat diese Bundesregierung die Zahl der Trauergäste auf Beerdigungen beschränkt, sodass die Menschen nicht einmal in Würde von ihren Liebsten Abschied nehmen können. Herr Bundeskanzler, innehalten! Innehalten! Spüren Sie die Ungerechtigkeit? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Ihre Reaktion auf die Vorfälle im Kleinwalsertal war auch bezeichnend, denn es ist immer das Gleiche: Sie schieben die Schuld ab. Sie schieben die Schuld auf die Bevölkerung und auf die Journalistinnen und Journalisten. Dass Sie nicht einmal heute, heute hier die Gelegenheit genutzt haben, sich zu entschuldigen, dass Sie nicht die Größe haben, diesen Fehler einzugestehen, das zeugt einerseits von Charakterschwäche und ist an­dererseits – ich möchte fast sagen – eine Unverschämtheit den Menschen draußen ge­genüber. (Beifall bei der SPÖ.)

Hauptsache aber, es ist Ihnen gelungen, das Repräsentationsbudget in Ihrem Haus zu vervierfachen, damit die Inszenierung munter weitergehen kann. Das hilft den Menschen jedoch leider nicht. Die Aufgabe der Politik ist es, den Menschen zu helfen, Herr Bun­deskanzler.

Meine Damen und Herren, ich bringe abschließend den Entschließungsantrag unserer Justizsprecherin Selma Yildirim betreffend „ein Amnestiegesetz im Zusammenhang mit der zum Teil fragwürdigen bzw. unverhältnismäßigen Vollziehung der COVID-19 Ge­setzgebung“ ein. In diesem Entschließungsantrag geht es darum, dass einerseits die Verfolgung von Personen in Fällen, in denen die Ermittlungen noch laufen, eingestellt wird und dass es andererseits hinsichtlich jener Strafen, die schon ausgesprochen wur­den, zu einer Amnestie kommt.

*****

Ich danke Ihnen recht herzlich. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

16.26

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim

und GenossInnen

betreffend ein Amnestiegesetz im Zusammenhang mit der zum Teil fragwürdigen bzw. unverhältnismäßigen Vollziehung der COVID-19 Gesetzgebung

eingebracht in der 32. Sitzung des Nationalrates am 26. Mai 2020 im Zuge der Debatte über die Dringliche Anfrage gem. § 93 Abg. 2 GOG-NR der Abgeordneten Jörg Leicht­fried, Genossinnen und Genossen betreffend: „Es braucht Hilfe statt leerer Versprechen – das Versagen der Kurz-Regierung bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Krisen-Folgen“

Infolge der COVID-19 Pandemie ist in Österreich ein umfangreiches rechtliches Re­gelwerk geschaffen worden, um die Weiterverbreitung dieser Pandemie möglichst ein­zuschränken bzw. zu verhindern. Dazu zählt das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmen­gesetz), in dessen Paragraph 2 festgelegt ist, dass beim Auftreten von COVID-19 durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden kann, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

Aufgrund von § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes BGBl. II 98/2020 wurde vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz verordnet:

§ 1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.

§ 2. Ausgenommen vom Verbot gemäß § 1 sind Betretungen,

1.          die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Ei­gentum erforderlich sind;

2.          die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Perso­nen dienen;

3.          die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Le­bens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Me­ter eingehalten werden kann;

4.          die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von min­destens einem Meter eingehalten werden kann;

           5.          wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsa­men Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, ge­genüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.

Das gesetzliche Verbot, bestimmte Orte zu betreten, wurde vom Gesundheitsminister damit mit einer Verordnung konkretisiert. Schon gesetzlich scheint dieses Verbot höchst problematisch, weil es beabsichtigt, das Betreten aller Orte zu regeln, was die Verord­nungsermächtigung überschreitet. Dies wird von höchst qualifizierten Verfassungs­experten bestätigt .

Noch schlimmer ist: darüber hinaus wurden von Mitgliedern der Bundesregierung – ins­besondere im aufgrund der hohen Zuschauerzahl meinungsbildenden ORF – wiederho­lend Rechtsmeinungen in diesem Zusammenhang vertreten, die sogar der selbst ge­schaffenen Rechtslage widersprachen. Insbesondere wurde die rechtsunrichtige Mei­nung verbreitet, dass eine Betretung des öffentlichen Raums im Freien nur zum Spa­zieren und Sport zulässig wäre und der Besuch in Privaträumen verboten sei.

Es ist nicht auszuschließen, vielmehr sogar anzunehmen, dass sowohl die Sicherheits- als auch die Gesundheitsbehörden in der Vollziehung der Gesetze durch diese öffent­lichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern beeinflusst wurden. Dadurch wurden in der Folge Menschen für Handlungen bestraft, die gar nicht gegen das Gesetz verstoßen haben.

Ein Beispiel dafür bietet ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 8. April 2020, durch welches Herr A. gemäß § 1 iVm § 2 der Verordnung gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II 98/2020 iVm § 3 Abs. 3 COVID-19-Maß­nahmengesetz BGBl. I 12/2020 idgF. zu einer Geldstrafe von insgesamt 660€ verurteilt wurde, im Uneinbringlichkeitsfall mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Stunden.

Herr A. hat gegen den gegenständlichen Bescheid Beschwerde erhoben und hat vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich Recht bekommen (Entscheidung vom 12. Mai 2020, GZ LVwG-S-891/001-2020).

Das Landesverwaltungsgericht hat in seiner Begründung unter anderem ausgeführt:

„Der Beschwerdeführer hat mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau den öffentlichen Ort betreten, um Freunde zu besuchen. Die Verordnung sieht keine Be­schränkung des Zweckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebe­stimmung des § 2 Z5 vor, auch wenn medial immer nur das ,Luftschnappen‘ oder ,Sport‘ als zulässig dargestellt wurden… Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot durch die gegenständliche Verordnung. Der Beschwerdeführer hat daher die ihm zu Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen.“

Ähnliche Fehlentscheidungen sind in einer Vielzahl an Fällen zu befürchten, weil laut Medienberichten auf der gleichen gesetzlichen Grundlage zehntausende polizeiliche An­zeigen gegen Menschen in ganz Österreich erhoben worden sein sollen. Die Entschei­dungen sind vielfach auch bereits rechtskräftig und zwingend, wenn Fristen versäumt wurden, oder Menschen sich – auch aufgrund der finanziell angespannten Lage auf­grund der Covid 19 -Krise – eine Rechtsberatung hinsichtlich der Bescheide nicht leisten konnten.

Frau Abg. z. NR. und SPÖ-Justizsprecherin Mag.a Selma Yildirim hat nach Bekanntwer­den dieses Urteils eine Generalamnestie für alle gefordert, die eine Verwaltungsstrafe für das Betreten öffentlicher Räume oder für Treffen in privaten Rahmen, bei vergleich­baren Sachverhalten, bekommen haben. Das soll auch für alle gelten, die kein Rechts­mittel gegen die Strafe ergriffen haben.

Mitglieder der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen haben nicht nur bewusst Angst verbreitet, sondern auch Verwirrung über die wahre Bedeutung der Gesetze. Die Tatsa­che, dass zahlreiche Personen in Österreich zum Teil ohne schuldhaftes Verhalten, zum Teil auch aufgrund sehr geringen Unrechtsgehaltes aufgrund der geschilderten frag­würdigen Vollziehung der gegenständlichen COVID-19 Normen hohe Strafen erhalten haben, macht die Forderung nach einer geeigneten Amnestie oder einem sonst geeig­neten Vorgehen zwingend erforderlich. Ein koordiniertes einheitliches Vorgehen schafft zudem Rechtssicherheit und Effizienz in der Verwaltung. Die Verwaltungsgerichte haben ohnehin Corona-bedingt zahlreiche Rückstände und könnten somit ihre Kräfte darauf konzentrieren, dass die BürgerInnen in anderen wichtigen Rechtsmaterien – Baurecht, Gewerberecht, Betriebsanlageverfahren uvm – rasch zu ihrem Recht kommen.

Zu bedenken ist hierbei auch, dass die Verwaltungsbehörden auch in Vollziehung der Covid 19-Maßnahmen von Amtswegen eine Aufhebung selbst von rechtskräftigen Be­scheiden nach § 52a VStG verfügen können, wenn das Gesetz zum Nachteil des Be­straften offenkundig verletzt worden ist. Auch hierfür wäre aber ein klarstellender Erlass des zuständigen Bundesministers notwendig, der die Unrichtigkeit der von Regierungs­mitgliedern zuvor geäußerten Rechtsansichten verlässlich feststellt.

Von der Regelung sind alle Sachverhaltskonstellationen zu umfassen, in welchen Per­sonen nach der VO BGBl. II 98/2020 vom anzeigenden Organ oder der anzeigenden Person lediglich im privaten Raum und nicht im öffentlichen Raum angetroffen wurden und sich der Vorwurf in der angeblich zweckwidrigen Benützung des öffentlichen Raums im Freien zur An- oder Abreise beschränkt. Überdies sind vergleichbare Sachverhalts­konstellationen zu beheben, in welchen eine Unterschreitung des Mindestabstandes ohne nähere Nachweise im Verfahren lediglich aufgrund der Behauptungen der Anzei­ger pauschal behauptet wurde.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

1)       Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird ersucht, als vorläufige Maßnahme umgehend durch Erlass gegenüber den zuständigen Vollziehungsbehörden die Unrichtigkeit der in der Einleitung darge­legten vormaligen Rechtsmeinung der Regierung zur Betretung im Freien nach der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz idgF. gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes zu bestätigen und diese Behörden aufzufordern, die Verfolgung in allen betroffenen Fällen einzustellen oder nach § 52a VStG vorzugehen.

2)       Die Bundesregierung wird ersucht,

dem Nationalrat ehestmöglich, nach einem ordentlichen Begutachtungsverfahren, eine Regierungsvorlage für ein Amnestiegesetz vorzulegen, nach welchem unter Berücksichtigung der in der Einleitung dargelegten Maßstäbe der von rechtlichen Fehlinformationen durch Regierungsmitglieder erfassten Sachverhaltskonstella­tionen:

a) Verwaltungsstrafverfahren im Zusammenhang mit der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in der jeweils geltenden Fassung gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes einzustellen sind und

b) Strafnachsicht gegenüber diesbezüglich bereits rechtskräftigen Verwaltungs­strafen verfügt wird (d.h. bereits verhängte Strafen nachgesehen werden).

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht und ausreichend unterstützt. Er ist auch verteilt worden, sodass wir auf eine Verlesung - -(Abg. Leichtfried: Das war einmal eine Rede!) – Bitte? (Abg. Leichtfried: War eine gute Rede!) – Darf ich ausreden, Herr Abgeordneter? (Abg. Leichtfried: Selbstverständ­lich!) – Danke. – Er ist ausreichend unterstützt und steht damit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Haubner. – Bitte.