9.11

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Guten Morgen, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Vor genau 94 Tagen mussten in Österreich alle Geschäfte, alle Kinos, alle Lokale, Restaurants einfach schließen, zusperren. Nach 94 Tagen haben wir eine Bilanz.

Gesundheitspolitisch schaut es – Stand heute – jetzt einmal zufriedenstellend aus, das können wir sagen. Sozial- und wirtschaftspolitisch allerdings schaut die Bilanz ver­heerend aus: Rekordarbeitslosigkeit, vor allem im Bereich der Jugendlichen, eine Ver­doppelung der Jugendarbeitslosigkeit in Österreich, Pleiten, leere Auftragsbücher.

Die wirtschaftlichen Einbrüche haben mittlerweile eine Dimension erreicht, die wahr­scheinlich die meisten von uns hier herinnen nur aus Geschichtsbüchern kennen. Ja, Tausende, Hunderttausende Menschen haben genau dadurch unverschuldet, oft inner­halb weniger Stunden und Tage ihren Job verloren, ihre Zukunftsplanung wurde auf den Kopf gestellt, ihre Existenzsicherung wurde ihnen unter ihren Füßen weggezogen.

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer Österreichs mussten ihre Betriebe schließen. Das sind Unternehmen, die sie jahrzehntelang aufgebaut haben, sie haben sich das abgespart, mit harter Arbeit. Viele haben investiert und mussten Kredite aufnehmen. Zum Glück konnten sich einige Unternehmerinnen und Unternehmer in diesen 94 Tagen gerade noch über Wasser halten. Sie haben kleine Reserven, auf die sie sich jetzt stützen können, aber sie wissen auch eines: auch diese Pölster und Reserven werden in den nächsten Wochen und Monaten irgendwann aufgebraucht sein, und dann stehen auch sie vor dem Nichts.

All diese Menschen, die Arbeitslosen auf der einen Seite, die Unternehmerinnen und Unternehmer auf der anderen, kämpfen um eines: Sie kämpfen um ihre Existenzen, sie kämpfen um das, was sie sich ein Leben lang aufgebaut haben, woran sie geglaubt haben und woran sie auch ihre Zukunft geknüpft haben. All diesen Menschen läuft eines davon: die Zeit. All diese Menschen warten auf eines: Sie warten auf echte Hilfe. All diese Menschen, Herr Finanzminister, hätten sich eines gewünscht: Entschlossenheit seitens der Bundesregierung und Entschlossenheit von Ihnen, nämlich dieselbe Schnel­ligkeit und Entschlossenheit, die die Bundesregierung damals zu Recht an den Tag gelegt hat, als es um den Shutdown ging, um das Schließen der Geschäfte, der Schulen, der Theater. Diese Entschlossenheit, diese Geschwindigkeit, diesen Plan hat es aber offenbar nicht gegeben, als es um die Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Corona ging. (Beifall bei der SPÖ.)

Diese Menschen, die Österreicherinnen und Österreicher, die da betroffen sind, haben sich nur eines von Ihnen gewünscht: dass ihnen geholfen wird, dass sie nicht zurück­gelassen werden, dass man sie in dieser unverschuldeten Not nicht alleinlässt. Statt­dessen mussten diese Betroffenen eines wahrnehmen: 80 Pressekonferenzen, Ankün­digungen, viele, viele Versprechungen, Milliarden, mit denen in den Medien jongliert wurde. – Ja, nur von all diesen Milliarden, die Sie angekündigt haben – vor einigen Monaten waren das diese 38 Milliarden –, ist bei den meisten über weite Strecken nichts beziehungsweise zu wenig angekommen.

Wissen Sie, Herr Finanzminister, was diese Menschen am allermeisten aufregt? – Nicht, dass Fehler gemacht wurden, Fehler zu machen ist menschlich, Fehler macht die Politik – es ist eine Krise, die wir so noch nicht erlebt haben, und es ist auch verständlich, dass da Fehler gemacht werden –; was diese Menschen aber am meisten aufregt, ist, dass all das schöngeredet wird, täglich, in all diesen Pressekonferenzen, dass Kritik von Unternehmen, von Menschen, die in Österreich betroffen sind, weggeredet wird oder diese Kritiker in der Öffentlichkeit diffamiert werden – das regt die Menschen auf. (Beifall bei der SPÖ.)

Es regt sie auf, dass diese Schönfärberei, wie Sie das Leben jetzt schönreden, nichts mit der Realität dieser Menschen zu tun hat, rein gar nichts damit zu tun hat. Wissen Sie: Ich denke, wenn Sie nur einmal mit den Betroffenen persönlich geredet hätten, dann wüssten Sie, wovon wir jeden Tag reden, dann wüssten Sie, wie es denen geht.

Jetzt haben wir alle gestern und vorgestern eine Fortsetzung dieses Schauspiels be­obachten müssen: eine Regierungsklausur war angesetzt, in der großen Hoffnung, alles würde sich jetzt ändern. – Ja, die Frage ist, ob es nicht ein Fortsetzung dessen ist, was sich die letzten Monate abgespielt hat. Es ist auch fraglich, ob das, was Sie die letzten 48 Stunden verkündet haben, bei den Menschen ankommt. Alleine die angekündigte Mehrwertsteuersenkung ist mehr als fraglich, nämlich dahin gehend, ob sie rechtlich umsetzbar ist, weil die EU-Ebene da eben etwas mitzureden hat. Ob die Investitions­prämie wirklich zielgenau ist und genau dort fördert, wo es notwendig ist, ist fraglich (Zwischenruf der Abg. Steinacker), genauso: die geplante Senkung der untersten Stufe der Einkommensteuer, das sind 350 Euro im Jahr, die Sie als Steuersenkung und Ersparnis den Leuten versprechen. Ich sage Ihnen eines: Diese 350 Euro im Jahr sind zu wenig (Abg. Loacker: Wären sie halt Bauern, dann hätten sie 450! – Abg. Meinl-Reisinger: Stimmt!), sie sind zu wenig, um die Wirtschaft anzukurbeln, zur Stabilisierung des Konsums, und sie sind auch zu wenig, um die Menschen in ihrer Existenzsicherung, die jetzt so vital und notwendig wäre, zu unterstützen. (Beifall bei der SPÖ.)

Stattdessen nehmen wir eines wahr: eine Einmalzahlung für Arbeitslose in der Höhe von 450 Euro und das erst im Herbst. – Ist das der gute Plan aus der Regierungsklausur, der da entstanden ist: Arbeitslose und Niedrigverdiener nach Gutsherrenmentalität – und es ist nichts anderes, Herr Bundesminister, es ist Gutsherrenmentalität – mit Almosen abzuspeisen?! Das ist nicht unser Zugang, es ist eine Chuzpe. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Und es ist eine Chuzpe, wenn der Bundeskanzler die Ablehnung der dauerhaften Erhöhung des Arbeitslosengeldes damit begründet, dass es weiter attraktiv sein muss, zu arbeiten. (Abg. Pfurtscheller: Was ist mit der AUA, Frau Vorsitzende?!) Ich sage Ihnen: Wir haben über 500 000 Arbeitslose in Österreich, aber nur 50 000 offene Stellen. Was ist denn da so schwer zu rechnen und zu verstehen? (Abg. Pfurtscheller: Was ist mit der AUA, Frau Rendi-Wagner?!) – Wollen Sie es nicht verstehen oder können Sie es nicht verstehen, Frau Kollegin? (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Steinacker: Große Kurve bis zur AUA!)

Ja, ich denke, die Beantwortung dieser Frage ist ganz einfach: Es ist ganz einfach eine Frage des Menschenbildes, und das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, sehr geehrter Herr Bundesminister. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Haubner.)

Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist notwendig. Da geht es um die Existenz­siche­rung von Familien, von Kindern, sie schützt Familien vor dem Abrutschen in die Armut – das droht uns nämlich: eine soziale Katastrophe, eine Pandemie der Armut. Sie ist notwendig, um den Konsum anzukurbeln und die Wirtschaft damit zu stützen.

Was hat die Regierungsklausur gebracht? – Eine Fortsetzung an Stückwerk und Nach­besserungen; was aber fehlt, ist der Gesamtplan – durchdacht und mit mittel- und langfristigen Zielen. Ich sehe die nicht, Experten sehen sie nicht, und auch die Menschen werden diese Ziele nicht sehen. Ja, es braucht Zuversicht und Vertrauen, und das wird dieses Ergebnis nicht liefern. Es braucht das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der Zweiten Republik. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Wir haben dazu zusätzlich zu den Akuthilfen Vorschläge in der Größenordnung von 40 Milliarden Euro über die nächsten vier Jahre vorgelegt, damit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. 250 000 Ar­beitsplätze könnten wir mit dem Konjunkturpaket der Sozialdemokratie schaffen. Ja, wir könnten der Wirtschaft damit Flügel verleihen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haubner: Das habts noch nie gekonnt! – Zwischenruf des Abg. Hanger.)

Wir könnten mit diesem Geld der Wirtschaft Flügel verleihen. Apropos Flügel: Dieses Paket würde natürlich auch der AUA helfen, denn wenn es der Wirtschaft besser geht, wird wieder mehr geflogen, das kurbelt natürlich, klarerweise auch den Flugverkehr an. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich sind die Airlines weltweit davon betroffen. Die Austrian ist für Österreich von strategisch hoher Bedeutung (Abg. Kickl: Eine Punktlandung!), das ist zweifellos der Fall, sie ist wichtig für den Tourismus, für Unter­nehmen, für Beschäftigte. Genau deswegen war es uns als Sozialdemokratie natürlich so wichtig, dass die Austrian gerettet wird, dass die Arbeitsplätze erhalten werden. Weil das so wichtig ist, ist das Ergebnis der Verhandlungen, ist dieser Deal zwischen Austrian Airlines und dem österreichischen Staat von großer Bedeutung für die Menschen, für die Beschäftigten, für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und für dieses Parlament. Ihr Ergebnis des Austrian-Airlines-Deals lässt sich aber wie folgt zusammenfassen: Gewinne privatisieren und Verluste verstaatlichen. – Das ist das, was Sie zustande gebracht haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler Kurz hat während der Verhandlungen gegenüber der Öffentlichkeit gesagt: „Hilfe [...] ohne eine Beteiligung an der Lufthansa, einfach nur so, [...] wird es nicht geben.“ – Jetzt gibt es aber leider keine Beteiligung Österreichs – wieder ein leeres Versprechen des Bundeskanzlers!

Jetzt die Frage: Herr Finanzminister, ist es Ihre Absicht gewesen, was ist ...

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Klubobfrau, bitte den Schlusssatz! Sie sind schon weit über der Zeit. (Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (fortsetzend): Beim Austrian-Airlines-Deal haben Sie sich wirklich über den Tisch ziehen lassen. Das Risiko tragen allein die österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist eine Fortsetzung des Wirtschaftshilfenchaos der Bundesregierung. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.22

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundesminister für Finanzen. Ich darf ihm das Wort erteilen. – Bitte.