13.28

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau­en Bundesministerinnen! Herr Gesundheitsminister! Ich bin einigermaßen froh, dass ausgerechnet Sie drei jetzt alle hier sind, denn um Sie drei geht es auch in der Debatte, die wir jetzt führen. Der Einzige, der fehlt, für den es auch noch positiv wäre, wenn er hier wäre und ein bisschen zuhören würde, ist der Herr Bundeskanzler.

Was auch irritierend ist, ist, dass wir von den NEOS, Kollege Margreiter und ich, einen Antrag gestellt haben, eine Generalamnestie für alle Coronastrafen herbeizuführen – und Sie wissen ja, der Herr Präsident sagt dann immer, der Antrag steht mit in Ver­handlung –, und genau niemand von den Grünen, niemand von der ÖVP, niemand von der Regierungsbank auch nur ein Wort dazu gesagt hat, was sie denn von einer Gene­ralamnestie halten. (Beifall bei den NEOS sowie der Abgeordneten Leichtfried und Vogl.)

Das ist dermaßen unfassbar! Nicht nur, dass Sie diese Debatte hier im Parlament offen­sichtlich nicht sonderlich ernst nehmen, sondern Sie haben auch keine Meinung dazu.

Ich darf aber jetzt vielleicht zurückblicken und schildern, wie das in den letzten Wochen so war. Sie erinnern sich alle – ich habe ein paar Zitate mitgebracht –, was die Bundesre­gierung uns denn so erzählt hat. Am 14. März hat uns der Bundeskanzler wörtlich ge­sagt: „Es gibt nur drei Gründe, hinauszugehen. Erstens die Arbeit oder der unaufschieb­bare Dienst. Zweitens notwendige Besorgungen. Drittens, andere Menschen zu unter­stützen, die sich nicht selbst helfen können. Darüber hinaus gibt es keinen Grund, das Haus zu verlassen.“

Am 14. April waren es dann bei Herrn Innenminister Nehammer vier Gründe; also offen­sichtlich einer mehr. Es gibt nur vier Gründe, „warum die Wohnung verlassen werden darf. Das sei arbeiten gehen, einkaufen, sich um andere Menschen zu kümmern sowie Sport zu machen oder spazieren zu gehen, ,bevor einem die Decke auf den Kopf fällt‘“.

Auch auf Ihrer Homepage, Frau Justizminister, ist eine Zeit lang gestanden: Die Bundes­regierung hat per Gesetz vorgegeben, dass die Wohnung nur mehr verlassen werden darf, wenn es für die Arbeit notwendig ist, um sich mit Lebensmitteln oder Medikamenten zu versorgen oder um andere Menschen zu unterstützen sowie um spazieren zu gehen. Der Besuch von Verhandlungen fällt nicht unter diese Ausnahme.

Und wissen Sie was? – Nichts, rein gar nichts von dem, was die Bundesregierung uns da wochenlang erzählt hat, hat gestimmt. Das war alles schlichtweg falsch! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

Das hat man, wenn man sich die Verordnungen genau angesehen hat, im Vorhinein schon gewusst; mittlerweile haben wir es schwarz auf weiß, dass die Aussagen der Re­gierungsmitglieder nichts mit der geltenden Rechtslage zu tun hatten.

So hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich festgestellt, dass man aus jedem nur erdenklichen Grund auf die Straße gehen durfte und der Innenminister und der Bun­deskanzler schlichtweg die Unwahrheit gesagt haben. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat festgestellt: „Die Verordnung sieht keine Beschränkung des Zwe­ckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebestimmung des § 2 Z 5 vor, auch wenn medial immer nur das ,Luftschnappen‘ oder ,Sport‘ als zulässig darge­stellt wurden.“

Es war übrigens auch nie verboten, dass man jemanden zu Hause besucht. Auch dazu wörtlich aus dem Erkenntnis: „Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot durch die gegenständliche Verordnung.“

Insgesamt – Kollege Margreiter hat es schon angesprochen – sind in den letzten Mona­ten 34 000 Anzeigen erstattet worden; daraus resultierten ungefähr 10 000 Verwaltungs­strafen. Und diese Zahlen, sage ich Ihnen, sind noch nicht einmal vollständig, weil, wie die Beantwortung unserer Anfrage ergeben hat, das Land Steiermark sich nicht bemü­ßigt gefühlt hat, alles einzumelden. Insgesamt – und auch diese Zahl ist nicht vollständig, weil dazu auch das Land Wien nichts eingemeldet hat – sind das Strafen in Höhe von 1,5 Millionen Euro. Das heißt, mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürger in Österreich müssen mehr als 1,5 Millionen Euro Strafe zahlen, weil die Bundesregierung mit geziel­ten oder unabsichtlichen – ich tippe eher: mit gezielten – Falschinformationen die Men­schen draußen durcheinandergebracht hat und so lange verwirrt hat, bis niemand mehr gewusst hat, was rechtskonform ist. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.)

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, dass es nicht nur ein Gerichtsurteil gibt, sondern auch ein zweites Erkenntnis, nämlich vom Verwaltungsgericht Wien, das wörtlich sagt: „Angesichts des dargestellten unzweifelhaften Auslegungsergebnisses ist dem Um­stand, dass der zuständige Verordnungsgeber“ – das waren Sie, Herr Gesundheitsmi­nister – „allenfalls in Presseerklärungen oder dergleichen eine davon abweichende Auf­fassung vertreten hat, keine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen.“ – Also auch das Verwaltungsgericht Wien sagt uns, dass der Herr Gesundheitsminister die Unwahrheit gesagt hat.

Jetzt komme ich zur nächsten Absurdität: Jetzt haben wir zwei Urteile aus zwei unter­schiedlichen Bundesländern, die genau das Gleiche sagen, nämlich dass es immer er­laubt war, jemanden zu Hause zu besuchen, und dass man immer aus jedem Grund auf die Straße gehen konnte. Das Problem ist nicht nur, dass Hunderttausende Österreiche­rinnen und Österreicher monatelang nicht gewusst haben, was eigentlich in Ordnung ist, weil Sie mit Ihrer gezielten Falschinformation die Leute verwirrt haben, sondern das Ganze führt jetzt dazu, dass das Land Niederösterreich die Strafen nicht einhebt und das Land Wien das weiterhin tut.

Das heißt, abgesehen davon, dass Sie die Menschen monatelang verwirrt haben, setzt diese Ihre Vorgehensweise jetzt dem Ganzen die ultimative Krone auf, indem es einen Unterschied macht, ob man in Purkersdorf oder in Penzing lebt, ob man für eine „Straf­tat“ – unter Anführungszeichen –, nämlich für eine Tat, die nie strafbar war, eine Strafe zahlen muss oder nicht. Es macht einen Unterschied, ob man in Purkersdorf oder in Penzing lebt, ob man sie wirklich zahlen muss, und Sie schauen da tatenlos zu und tun genau gar nichts dagegen! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Das kann – und deswegen finde ich es so gut, dass Sie beide da sind – doch nicht Ihr Ernst sein! Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, dass es davon abhängt, an welchem Wohnsitz man gemeldet ist, ob man für eine Tat, die nie strafbar war, eine Strafe zahlen muss. Es ist schon einmal unwürdig, dass man für eine Tat, die nie strafbar war, eine Strafe zahlen muss, und es ist noch unwürdiger, dass es darum geht, ob man in Mistel­bach oder in Baden oder in Wien Währing zu Hause ist. Das ist nichts anderes als reine Willkür, was hier passiert.

Das Ganze geht noch schlimmer. Der Herr Bundeskanzler, in der „ZIB 2“ darauf ange­sprochen, ob er sich jetzt nicht vielleicht einmal dafür entschuldigen sollte, dass Sie so unterschiedliche Dinge gesagt haben, sagt – ich zitiere wörtlich –: „[...] was natürlich die Aufgabe der Politik ist, gerade in einer Krisensituation, ist doch möglichst einfach zu kommunizieren. Und wir haben natürlich die Aufgabe, relativ komplexe Verordnungen oder rechtliche Regelungen auch so zu übersetzen, dass man sie verstehen kann.“

Wissen Sie was? – Die Verordnung war immer ganz einfach zu verstehen. Das Problem war, dass Sie mit Ihrer gezielten Falschinformation die Menschen ganz bewusst hinters Licht geführt haben und diese Menschen jetzt deswegen Strafe zahlen müssen und es auch noch davon abhängt, ob sie in Niederösterreich oder in Wien leben, ob sie diese Strafe auch wirklich zahlen müssen.

Auf die Frage, ob er denn eine Meinung habe, was er denn dazu sage, dass Niederöster­reich die Strafen nicht einhebt, hat der Herr Bundeskanzler gesagt, er habe dazu keine Meinung: „Das kann ich so jetzt nicht beurteilen.“ (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Er hat keine Meinung dazu, dass Tausende Menschen in Österreich unrechtmäßig bestraft wurden, jetzt Strafe zahlen müssen. Dazu hat unser Bundeskanzler keine Meinung. – Ich sage Ihnen etwas: So einen Bundeskanzler wünscht man sich wirklich nicht! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

Ich erwarte mir von einer Bundesregierung, die die Menschen wochen-, monatelang falsch informiert hat, dass sie erstens endlich einmal die Konsequenz aus ihrem Fehl­verhalten zieht und die Verantwortung dafür übernimmt, und ich erwarte mir von zwei Parlamentsklubs, nämlich von den Grünen und der ÖVP, dass sie unserem Antrag auf Generalamnestie zustimmen. Ich erwarte mir von der Bundesregierung nicht nur, dass sie das dann auch durchführt, sondern ich erwarte mir vor allem eines – und das er­warten sich viele Österreicherinnen und Österreicher –: dass Sie sich endlich hinstellen, Ihr Fehlverhalten einsehen und sich verdammt noch einmal endlich dafür entschuldigen, dass Sie die Menschen wochenlang bewusst hinters Licht geführt haben. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

13.36