10.24

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit einem prognostizierten Wirtschaftsabschwung von minus 7 Prozent und mit derzeit mehr als 10 Prozent Arbeitslosigkeit in Österreich ist unser Land in einer der größten sozialen und wirtschaftlichen Krisen seit 1945 – eine Krise, die nicht morgen vorbei sein wird, eine Krise, die sich nicht von selbst auflösen wird, und eine Krise, die nicht alle Menschen in Österreich gleich trifft. Nein, diese Krise trifft eine Gruppe in Ös­terreich ganz besonders: Es sind die kleinen und mittleren Unternehmen, diese Unter­nehmerinnen und Unternehmer.

Auch eine zweite Gruppe ist davon betroffen: Das sind die halbe Million Arbeitslosen unseres Landes. Da sind es vor allem die jugendlichen Arbeitslosen, die unter 25-Jähri­gen, die durch die Coronakollateralschäden besonders hart getroffen wurden, die wahr­scheinlich keine Aussicht auf einen Lehrplatz im Herbst haben oder ihren Job bereits verloren haben. Es trifft aber auch die älteren Arbeitslosen und die Langzeitarbeitslosen.

Ja, und nicht zufällig formulierte erst vor ein paar Tagen ein bekannter österreichischer Wirtschaftsforscher betreffend die Situation wie folgt: „Der Arbeitsmarkt ist das sozial­politisch dramatischste Kapitel“ an der Coronakrise – das „dramatischste Kapitel“ an der Coronakrise! Also muss unser ganzer Fokus in der Politik, egal ob Regierung oder Op­position, genau darauf gerichtet sein, den Arbeitsmarkt im Fokus zu haben und die Be­schäftigung zu stärken. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum sagen die Wirtschaftsforscher das? – Sie sagen das, weil sie auch schon Daten für das nächste Jahr auf dem Tisch haben. Sie haben Daten, die sagen, dass 2021 die Arbeitslosigkeit mit 9 Prozent und teilweise über 9 Prozent weiterhin hoch bleibt. Das sind keine guten Prognosen, das sind düstere Prognosen, wenn man nicht gegensteuert, wenn man nicht entschlossen, hart und kraftvoll gegensteuert, und zwar nicht erst im Herbst oder vielleicht nächstes Jahr, sondern schon jetzt.

Wenn man das nicht tut, führt das für all die betroffenen, vor allem schwer und hart getroffenen Gruppen, die ich schon erwähnt habe, direkt in eine verfestigte Arbeitslosig­keit, direkt in die Ecke der Armut. Wenn nicht gegengesteuert wird, dann droht Österreich im Herbst, dann, wenn der positive Sommersaisonbeschäftigungseffekt verpufft ist, Frau Ministerin, dann, wenn die alten, schon vor Corona eingegangenen Aufträge in Industrie­konzernen abgearbeitet sind, eine zweite Welle der Arbeitslosigkeit, eine zweite Welle der Insolvenz der österreichischen Unternehmen.

Vor dem Hintergrund all dieser Zahlen, vor dem Hintergrund all dieser Wirtschaftswar­nungen fragen sich viele in Österreich – auch wir fragen uns das –: Wie wollen Sie unser Land konkret aus dieser Krise führen? Wie schaut Ihr Plan konkret aus? Wie schaut Ihr Ziel aus? Genau diesen Plan und dieses Ziel konnte ich und konnten viele Expertinnen und Experten unseres Landes bis heute nicht erkennen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ihre Maßnahmen, die Sie in den letzten Wochen und auch heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, auf den Tisch gelegt haben, sehr geehrte Mitglieder der Bundesregie­rung, sind mehr als unambitioniert. Ihre Vorschläge sind planloses Stückwerk – so be­nennen es viele Wirtschaftsforscher. Ja, Ihr Plan und Ihr Weg sind kraftlos. Es ist kein nachhaltiger, kein vorausschauender Weg: eine Ministeuerreform, die eine kleine Tarif­reform ist; Einmalmaßnahmen mit Einmaleffekten; eine Einmalzahlung im Herbst von 450 Euro an Arbeitslose; eine Einmalzahlung für Kinder; eine kurzfristige Mehrwertsteu­ersenkung. Das sind kurzfristige Maßnahmen, die nicht das Morgen und schon gar nicht das Übermorgen oder die nächsten Jahre im Blick haben. (Abg. Hörl: Aber angenehme!)

Es braucht eine gemeinsame, es braucht eine große vorausschauende Kraftanstren­gung, um unser Land erfolgreich aus dieser größten sozialen und Wirtschaftskrise he­rauszuführen, und zwar nicht nur in den nächsten Monaten, sondern für die nächsten Jahre. Es braucht eine Kraftanstrengung von uns allen, den Konsum in Österreich wieder nachhaltig anzukurbeln, den Konsum und die Wirtschaft damit zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern, Arbeitsplätze von morgen zu schaffen – dazu braucht es heute den Plan, Frau Ministerin, und nicht erst morgen oder nächstes Jahr; dann ist es zu spät. (Beifall bei der SPÖ.)

Mit einer kleinen Ministeuerreform, mit einmaligen Almosen, die Sie gönnerhaft an die Menschen dieses Landes verteilen, die unter anderem auch Sie mit Ihrem zögerlichen, schlechten Handeln in den letzten Monaten in diese Situation gebracht haben, wird dieser Weg nicht gelingen. Wir fordern das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der Zweiten Republik. Wir fordern, dass die Beschäftigung in Österreich gestärkt wird, und unser Vorschlag würde in den nächsten Jahren 350 000 Arbeitsplätze in Österreich schaffen – ein notwendiger Schritt für unser Land und für die Menschen, die hier arbeiten und leben. (Beifall bei der SPÖ.)

Mit unserem Vorschlag für eine Steuerreform nicht in der Höhe von 1,6 Milliarden Euro, sondern in der Höhe von 5 Milliarden Euro – es muss fetzen, Frau Ministerin, wir haben keine andere Chance – haben wir einen dreimal so hohen Konjunktureffekt und die Men­schen haben dreimal so viel Geld monatlich zur Verfügung – Geld, das sie in den Kon­sum, in unsere Wirtschaft und damit auch in unsere Arbeitsplätze stecken. (Ruf bei der ÖVP: Überzeugen Sie den Doskozil!) Was machen Sie? – Sie handeln frei nach dem Motto: Es kriegen alle ein bisserl was, aber keiner kriegt das, was er oder sie wirklich braucht – nicht die Arbeitslosen, nicht die arbeitenden Menschen durch eine wirklich funktionierende und spürbare Steuerreform und auch nicht die Wirtschaft unseres Landes! Oder, wie es unser Präsident Katzian formulierte: Das Paket der Bundesregie­rung ist kein Wumms und schon gar kein Megawumms, es ist bestenfalls ein Klacks!

Wissen Sie, was das Problem eines Klackses ist? – Ein Klacks hat keine Wirkung. Ein Klacks hat keine Kraft – sozialpolitisch keine Kraft, wirtschaftspolitisch keine Kraft und auch keine Kraft, was die Beschäftigungsstärkung betrifft. Ja, und mir ist jetzt auch klar, warum Sie den letzten Gesetzesanträgen keine Wirkungsfolgenabschätzungen beige­legt haben: weil Sie nicht belegen können, was Ihre Maßnahmen bewirken, denn sie bewirken nichts! Sie bewirken nichts für die Arbeitslosen, sie bewirken nichts für die Unternehmerinnen und Unternehmer. (Abg. Steinacker: Ich hab’ geglaubt, Sie waren auch einmal Ministerin!) Oder können Sie benennen, wie viele Arbeitslose Sie mit Ihren Maßnahmen in den nächsten Jahren mit einem Job versehen? (Abg. Haubner: ... haben noch nie einen Arbeitsplatz geschaffen, sondern nur vernichtet!) Können Sie sagen, wie viele Insolvenzen Sie durch Ihre Maßnahmen in den nächsten Monaten und Jahren ver­hindern werden? – Nein, das Bundeskanzleramt weiß es nicht, das Finanzministerium weiß es nicht, und Sie als Wirtschaftsministerin wissen es offenbar auch nicht. (Ruf bei der ÖVP: ... Sie einmal den Doskozil!) Dabei wäre es genau diese Wirkung, diese Kraft, die unser Land jetzt bräuchte, diese gemeinsame Kraftanstrengung am gemeinsamen Weg aus dieser größten Wirtschaftskrise. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Wir haben viele Ideen, wir haben viele Vorschläge auf den Tisch gelegt (Abg. Steinacker: So wenig von Wirtschaft verstehen!), und die Uhr tickt; die Uhr tickt für viele Menschen dieses Landes jeden Tag, sie kämpfen um ihre Existenzen. Handeln Sie endlich, handeln Sie mutig, entschlossen! (Abg. Steinacker: Das Geld wächst nicht auf den Bäumen, wie Sie glauben!) Schauen Sie nicht nur auf heute, schauen Sie auf morgen, schauen Sie voraus, und bitte ohne ideologische Scheu­klappen! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.33

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte.