16.12

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es sind sehr fordernde und schwere Zeiten, die uns zwei­felsohne noch wesentlich länger begleiten werden, und zwar auch noch wesentlich länger, als es unmittelbar sozusagen die Infektionen, das Virus und die Pandemie tun werden.

Ich bin mit vielen Vorschlägen, die heute auf der Maßnahmenebene vonseiten der Sozialdemokratie gekommen sind, nicht einverstanden. Herr Kollege Koza, ich bin aber am allerwenigsten damit einverstanden, wenn wir über Arbeitszeitverkürzung sprechen, dass man in einer Situation, in der wir eine dermaßen hohe Arbeitslosigkeit und Kurz­arbeit im sogenannten nicht geschützten Bereich haben, also in der freien Wirtschaft, und in der wir ja sagen müssen, dass nicht alle Menschen von den Auswirkungen der Krise gleichermaßen betroffen waren (Zwischenruf des Abg. Koza), Bedienstete der Gemeinde Wien oder Beamtinnen und Beamte stehen jetzt zum Beispiel natürlich nicht in diesem Ausmaß sozusagen dem kalten Wind dieser Rezession gegenüber, dass man ausgerechnet als Grüne, die in der Verantwortung für alle Menschen in Österreich stehen, dort dann eine Arbeitszeitverkürzung macht, das halte ich tatsächlich für ein völlig falsches Signal. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Haubner.)

Herr Kollege Wöginger hat um genaue Zahlen gebeten, und die möchte ich gerne liefern. Ich höre ja immer wieder, wie gut wir durch die Krise gekommen sind, und ich habe Ihnen genau zugehört, Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Österreich ist bis jetzt doch wirtschaftlich besser als andere Länder durch die Krise gekommen, sozusagen der Abschwung, die Rezession ist nicht so stark. – Das stimmt, aber wir sind auch schlechter als andere Länder durch diese Krise gekommen.

Wenn man es genau nimmt und sich die Europäische Union anschaut, dann sieht man, dass zwölf Länder vor uns sind, die besser sind, dann gibt es drei Länder mit einem prognostizierten BIP-Einbruch – in der letzten Prognose der Europäischen Kommis­sion – von 7,1, und zwölf Länder, die schlechter als Österreich sind. – Das Mittelfeld ist in meiner Wahrnehmung sicherlich kein gutes Ergebnis, Herr Bundes­kanzler, und das sollte ein Auftrag an Sie sein, dass Sie da Besseres tun, denn das ist einfach keine gute Entwicklung. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wir müssten uns jetzt ganz dringend mit dem Thema Wirtschaft beschäftigen, ins­besondere mit der Frage, und darauf kommen wir noch zu sprechen, wie man neue Jobs schafft, denn dieses Gerede vom Comeback ist ein bisschen eine Illusion, der sich viele – offensichtlich leider auch der Regierungsfunktionäre – hingeben, das wird es nicht geben. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir neue Jobs schaffen können, neue Produktivität schaffen können, um gut aus der Krise zu kommen.

Aber: Wir beschäftigen uns mit den Basics, wir beschäftigen uns in den nächsten Tagen wieder mit der Grundlage für ein neues Covid-Maßnahmengesetz, mit einem Epide­mie­gesetz. Wir müssen uns leider mit der Frage beschäftigen, warum es noch immer, ge­nauso wie vor dem Sommer, fünf Tage, sechs Tage dauert, bis die Tests ausgewertet werden.

Die vergangenen Wochen waren ein Lehrbeispiel eines kommunikativen Zickzack­kurses, den Sie hingelegt haben, und von Einigkeit in der Regierung habe ich wirklich überhaupt nichts gesehen. Da war die Rede vom Licht am Ende des Tunnels, kurz danach wurde von politischer Seite verkündet – das wird jetzt verkündet! –, dass wir uns in der zweiten Welle befinden – es kennt sich kein Mensch aus. Die Ampel – eine so gute Idee, die in vielen anderen Ländern auch tadellos funktioniert und umgesetzt wurde, zum Beispiel in Norwegen schon lange im Schulbereich – wurde politisch um­gebracht, kann man sagen. Die Ampel ist tot, die wird niemals die gewünschte Kraft bekommen, tatsächlich geopfert am politischen Basar der Eitelkeiten und Wünsche.

Es hat doch keinen Sinn, so Politik zu machen, wenn man sagt, wir müssen doch vor­ausschauend planen, den Sommer nutzen, um gut in den Herbst zu kommen – das haben Sie tatsächlich nicht gemacht, Sie haben den Sommer einfach nicht genutzt.

Das Problem ist aber: Es ist ein Marathon. Wir müssen hier einen Marathon laufen, wo wir eine stringente Strategie, einen Plan brauchen und die Menschen mitnehmen müssen. Wir müssen alltagstaugliche Maßnahmen vorschlagen und bitte keinen Sprint machen, wo Sie alle paar Tage politische Haken schlagen – und nichts anderes tun Sie derzeit. Das sind politische Haken, und manche mögen auch dem Wien-Wahlkampf geschuldet sein (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), weil man sehr gerne sagt: Das ist Bund gegen Wien, ÖVP gegen SPÖ, es ist natürlich auch ÖVP gegen Grüne, es ist auch SPÖ gegen Grüne, es sind Bundesländer gegen Bund! – Ja, meine Damen und Herren, das ist ja keine Situation, in der man sich jetzt munter parteipolitischen Spielchen und Wahlkampftaktik hingibt, sondern es ist eine Situation, in der alle an einem Strang ziehen und, wie gesagt, einen stringenten Plan gemeinsam entwickeln sollten, wie wir mit alltagstauglichen Rezepten gut durch diese Krise kommen.

Niemand kennt sich mehr aus. Die Menschen sind verunsichert, aber nicht wegen des Virus, sondern wegen der Politik, die sie von Ihnen in den letzten Tagen gesehen haben. (Beifall bei den NEOS.)

Die gesetzliche Grundlage fehlt übrigens auch. Und wenn Sie mir nicht glauben, dass die Menschen sich nicht auskennen, kann ich Ihnen kurz Folgendes erzählen: Letzte Woche hat eine Mitarbeiterin von uns, die Elternsprecherin ist, gesagt, sie wird von Eltern angerufen, die sie fragen: Wann sperren die Schulen wieder zu? Du bist doch näher an der Politik, wann sperren die Schulen wieder zu? – Nicht ob, sondern wann; also der­maßen verunsichert sind die Menschen.

Das Ziel war – und das sollte es noch immer sein –, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Interessanterweise habe ich letzte Woche andere Aussagen gehört, die so gelautet haben: Na ja, im Frühjahr hat man noch versucht, das Virus vollständig zu eliminieren! – Das ist interessant, denn dieses Ziel habe ich von offizieller Seite nie gehört, und ich hoffe doch inständig, dass das nicht das Ziel Ihrer Strategie war. Es würde sich die Angstrhetorik dadurch besser erklären, die Sie an den Tag gelegt haben, aber dieses Ziel ist ja völlig blauäugig. Wir müssen einen Weg finden, mit diesem Virus zu leben, und zwar über die nächsten Monate, und wir müssen schauen, dass es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt – zu der es aber nicht gekommen ist.

Wozu es aber gekommen ist, ist eine Überlastung im Bereich Bildung, im Bereich Arbeit, im Bereich Wirtschaft, im Bereich Gleichstellung von Frauen und Männern. Es war kein Stresstest für Institutionen, es war vor allem ein Stress für Betroffene, für Arbeitslose, für berufstätige Mütter, für Pädagoginnen und Pädagogen und für viele, viele Kinder, denen die Chancen genommen wurden.

Ich habe vor Kurzem gelesen, es gibt bei Trainings offensichtlich ein Prinzip, das das Sabta-Prinzip genannt wird: sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit! (Heiterkeit bei den NEOS.) Also wenn ich etwas beobachten konnte in den letzten Wochen, dann, dass Sie diesem Sabta-Prinzip jedenfalls gut gefolgt sind. Man macht wahnsinnig viele Pressekonferenzen, man hält eindrucksvoll viele Täfelchen in die Kameras hinein, man gibt sozusagen Messages ab, aber den konkreten Plan und die stringente Strategie und auch dieses An-einem-Strang-Ziehen und Die-Menschen-auch-wirklich-gut-Mitnehmen, das habe ich nicht erlebt.

Somit muss ich feststellen, dass es vor allem ein Stresstest für die Leadershipqualität dieser Regierung war. Und ich sage Ihnen etwas: Sie sind durchgefallen! Machen Sie weniger Pressekonferenzen, halten Sie weniger Taferln in die Kameras, zeigen Sie endlich Leadership und hören Sie auf, die Menschen zu verunsichern! Schaffen Sie stattdessen Planbarkeit, denn das ist das Allerallerwichtigste, wenn wir mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert sind – und das werden wir sein, denn die Kurzarbeit ist ein kurzfristiges Instrument. Sie wissen selber, dass auch jetzt nicht alle Betriebe diese Kurzarbeit allein weiter in Anspruch nehmen werden.

Übrigens, Herr Kollege Wöginger, weil Sie gesagt haben, Kurzarbeit habe Betriebe vor Pleiten gerettet: Für manche Unternehmen ist die Kurzarbeit auch eine Kurzarbeitsfalle gewesen. Man darf also auch nicht vergessen, dass es nicht immer zu den richtigen Ergebnissen führt.

Die Arbeitslosigkeit wird massiv steigen, daher müssen Sie den Fokus darauf legen, was diese Betriebe jetzt brauchen. Da gibt es viele Maßnahmen, die Sie auch richtig machen, viele Maßnahmen, die Sie noch nicht gut genug machen, viele Maßnahmen, die man gescheiter machen kann – und diesbezüglich kommen auch heute von uns Vorschläge.

Eines aber vorweg: Was die gar nicht brauchen können, sind dieser Zickzackkurs und diese Verunsicherung. Nehmen wir einen Veranstaltungsbetrieb: Ja wie soll denn der planen, wenn er nicht weiß, was Sie, Herr Bundeskanzler, in zwei Tagen wieder in einer Pressekonferenz sagen oder was die Kommission für die Coronaampel heute oder dann am Donnerstag wieder am Basar aushandelt? – Es geht nicht. Es braucht eine gewisse Planbarkeit; das ist das Einzige, was notwendig ist, um gut aus dieser Krise zu kommen.

Das Vertrauen in die Regierenden, dass sie zu guten Lösungen kommen, das haben Sie womöglich in den letzten Wochen verspielt. Worum ich Sie bitte, ist, dass Sie das Ver­trauen in die Menschen nicht aufgeben – auch kommunikativ nicht aufgeben. Wenn ich Ihren Wirtschaftskammerpräsidenten höre, der sagt, dass quasi die Unvernunft von ein paar wenigen dafür ausschlaggebend sein wird, dass die Arbeitslosigkeit steigt, so sage ich, dass es nicht sehr von sehr viel Vertrauen in die Menschen in Österreich zeugt und auch ein wenig von dem ablenkt, was durch schlechte Wirtschaftshilfen zu Beginn und letztlich auch durch Maßnahmen, die Pleitewellen in die Zukunft verschoben haben, hausgemacht ist.

Haben Sie Vertrauen in die Menschen! Ich sage Ihnen etwas dazu: Wir werden gut aus dieser Krise herauskommen, und zwar nicht aufgrund des Vertrauens in die Regie­ren­den, sondern weil wir den Menschen in Österreich vertrauen können, die nämlich wieder tatkräftig und kreativ anpacken werden, denen Sie hoffentlich Prügel vor den Füßen entfernen und deren Lasten Sie nehmen werden, seien es Lohnnebenkosten – die bei der Frage, wie man neue Jobs schaffen kann, natürlich ein massives Thema sind –, aber auch steuerliche Belastungen.

Ich danke übrigens natürlich für die Entlastung bei der Einkommensteuer. Sie wissen aber auch, dass die kalte Progression das schon wieder aufgefressen hat. Also sehr nachhaltig war das nicht.

Vertrauen Sie den Menschen! Die Menschen in Österreich werden Österreich gut aus der Krise führen.

So, ein Letztes noch, weil Herr Klubobmann Kickl zwei Wünsche an Sie gerichtet hat.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Können Sie bitte zum Schlusssatz kommen?

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (fortsetzend): Der Schlusssatz: Der erste Wunsch war, Sie mögen die Grenzen schließen, damit keine Arbeitskräfte nach Österreich kommen. – Ich glaube, da würden sich sehr viele alte und zu pflegende Menschen hübsch bedanken, wenn wir auf einmal von einem Tag auf den anderen einen Pflegenotstand hätten. – Folgen Sie diesem Ratschlag nicht!

Der zweite Ratschlag war: Bleiben Sie hart in der Moriafrage! – Folgen Sie diesem Ratschlag auch nicht, Herr Bundeskanzler, denn Österreich würde es gut zu Gesicht stehen, Kinder und Familien – und seien es nur ein paar wenige – in dieser Situation aus den Lagern rauszuholen! – Danke. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

16.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Muchitsch. – Bitte.