9.10

Abgeordnete Dr. Astrid Rössler (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte KollegInnen, liebe Abgeordnete! Geschätzte Zuse­herinnen und Zuseher hier im Plenarsaal und zu Hause vor den Bildschirmen! Vielleicht ist es Ihnen immer wieder einmal so gegangen, dass das erste Geräusch in der Früh nicht der Wecker, sondern eine Müllabfuhr war – das vertraute Klappern und Scheppern von Müllwägen in der Früh, sodass man weiß, die Müllabfuhr im Lande funktioniert. Vielleicht haben Sie sich gefragt: Ist denn das jetzt ein so vorrangiges Thema, dass man es in einer Krisenzeit behandelt? – Ich behaupte: Ja. Das Thema Wegwerfen, das The­ma Abfälle, das Thema Ressourcen passt ganz genau in diese Krisenzeit.

Österreich nahm in Sachen Abfalltrennung lange Jahre die Vorreiterrolle ein, hat sie in gewisser Weise noch immer. Allen ist vertraut, dass man Papier sammelt, dass man Glas sammelt – was sind Problemstoffe? –, und Österreich war vor allem auch Vorreiter bei der Biotonne. Österreich war eines der Länder, das die Biotonne flächendeckend eingeführt hat und diese bis heute behält.

Es gibt in so gut wie allen Gemeinden vorbildliche Recyclinghöfe mit sehr professionel­lem Personal, das unterstützt. Wir haben einen großen Schritt in Richtung Kreislaufwirt­schaft geschafft. Das ist Anlass genug, um heute auch einmal dem Personal, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu danken, stellvertretend für Wien der MA 48, aber auch jenen in vielen Abfallwirtschaftshöfen, in den Entsorgungsbetrieben, in den Sam­meleinrichtungen, denn das ist viel Arbeit. Es ist nicht die angenehmste und die beson­ders geschätzte Arbeit, aber sie ist extrem wertvoll für unser Land. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

Also alles in Ordnung? – Nicht ganz. Die Abfallmengen steigen weiter, wir sind mittler­weile bei etwa 500 Kilogramm Haushaltsabfällen pro Person und Jahr. Das ist zu viel. Es ist eine Verpackungsflut, es ist eine Einwegprodukteflut, wie es viele beschreiben. Viele von Ihnen, wenn einmal eine Sperrmüllsammlung in der Straße stattfindet, werden wahrscheinlich im Vorbeigehen auch gedacht haben: Schade, was da alles weggewor­fen wird. Da sind viele Dinge dabei, die man noch brauchen könnte, die sind eigentlich zu schade, um weggeworfen zu werden.

Was heißt wegwerfen? – Abfall wird vernichtet, verbrannt, die Reste werden deponiert; mit ihnen alle Inhaltsstoffe, mit ihnen alle Rohstoffe, viel Energie. Natürlich sind auch oft Transportwege für die Materialien und viel Arbeitszeit enthalten. Es gibt Gebrauchtläden, es gibt Caritasläden, aber das ändert nichts daran, dass wir in einem steigenden Abfall­strom sind.

Gerade in Krisenzeiten daher die Frage: Können wir es uns leisten, angesichts steigen­der Arbeitslosigkeit, geringerer Haushaltseinkommen und Betrieben, die ums Überleben kämpfen, so viele Ressourcen einfach wegzuwerfen, zu vernichten, oder wäre gerade jetzt der Zeitpunkt, zu fragen: Wie können wir das Vorhandene gemeinsam besser nut­zen, besser verteilen? (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich möchte das an drei Beispielen kurz skizzieren. Elektrogeräte, Elektronikschrott: stark, stark steigende Mengen. Im Vergleich zu anderen Abfallströmen sind sie ein Sorgenkind, weil die richtige Entsorgung noch nicht in dem Ausmaß funktioniert. Nur jede zweite Batterie landet überhaupt in einer richtigen Entsorgung, mehr als die Hälfte der Batterien landen im Restmüll.

Eine besonders kurze Lebenszeit haben unsere Handys. Nicht einmal zwei Jahre ist ein Handy in Betrieb. Von den drei Millionen Handys, die jedes Jahr gekauft werden, landet gerade einmal jedes sechste in einer Entsorgung, der Rest irgendwo in Schubladen oder im Restmüll. Wir haben da kleine Schatzkästchen in der Hand. Jedes Handy enthält Gold, Silber, Platin, Kupfer. Das sind wertvollste Rohstoffe, die wir eigentlich sammeln, verwerten, wiederverwerten sollten. Wir brauchen daher dringend Reparatursysteme, wir brauchen längerlebige Produkte, wir brauchen den Aufbau von Reparaturdiensten, langlebige Produkte, den Zugang zu Ersatzteilen, den Zugang zu Anleitungen. Wer kennt das nicht? Ein Gerät geht kaputt und man muss nachdenken: Gibt es überhaupt die Chance, es reparieren zu lassen? Es ist oft billiger, neu zu kaufen.

Da müssen wir gegensteuern. Im Regierungsprogramm ist ein großes Kreislaufwirt­schaftspaket, ein großes Abfallpolitikpaket enthalten, das derzeit schrittweise in Umset­zung ist, in der Vorbereitung für eine neue Novelle zum Abfallwirtschaftsgesetz. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, mit dem Vorhandenen besser zu wirtschaften, sorgfältiger umzugehen – nicht nur im Sinne des Klimaschutzes, sondern auch im Sinne von Kreis­laufwirtschaft und Arbeitsplätzen. Das AWG, das Abfallwirtschaftsgesetz, soll da wichti­ge Weichen stellen.

Zweites Beispiel: Lebensmittel im Abfall. Österreich ist Vorreiter bei der Biotonne, aber wir erkennen, dass ein unglaublich großer Teil an genusstauglichen Lebensmitteln im Restmüll landet. Das ist so erschreckend, dass es längere Zeit gebraucht hat, um dazu überhaupt Daten zu beschaffen. 30 Prozent in der schwarzen Restmülltonne sind Bioab­fälle, die Hälfte davon sind genusstaugliche Lebensmittel. 16 Prozent unseres Restmülls sind genusstaugliche Lebensmittel, die dort überhaupt nichts verloren hätten.

Die Frage ist: Wie kann man da gegensteuern? – Das Wichtigste ist natürlich Informa­tion, Bewusstsein schaffen und bereits in den Schulen und auf allen Ebenen Bildungsar­beit leisten, auch die Kooperation mit dem Handel suchen. Auch aus dem Handel kommt ein erheblicher Teil an Lebensmitteln in den Abfall. Ganz wichtig aber ist – davon wäre ich ein Fan –, Ernährungslehre und Kochen wieder als Fächer in die Pflichtschulen auf­zunehmen. Es wäre so wichtig, dass jedes Kind in der Schule die Gelegenheit hat, etwas über Ernährungslehre und auch über das Kochen zu lernen. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Eine Menge, die besonders betroffen macht – und das genau in Zeiten, in denen es einigen nicht gut geht –, ist: Wir leisten uns in Österreich 60 000 Tonnen – das sind 60 Millionen Kilogramm – Brot im Abfall. 60 Millionen Kilogramm Brot im Abfall darf es eigentlich nicht geben. Daher auch da der Appell, das zu thematisieren, gegenzusteuern und es nicht zuzulassen, dass Geschäfte 5 Minuten vor Ladenschluss noch volle Brotre­gale anbieten! Das muss eine Konsumentin, ein Konsument ansprechen und auch sa­gen, dass man das nicht will. Es ist nicht notwendig. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Drittes Beispiel – jetzt geht es richtig zum Kern des Themas Wegwerfgesellschaft –: Was landet denn alles in der Landschaft? Was landet neben den Wegen, in der Natur? Man ist unterwegs und findet links und rechts des Weges das ganze Sortiment von diversen Getränken. Man findet ein Sortiment von gewissen Take-away-Packungen. Man kann da die Menüs ablesen, die im Umkreis dieser Ausgabestellen verkauft wurden, und dann kann man sich ausrechnen: Wie lange isst jemand, bevor das Autofenster aufgeht und die Sachen neben der Straße landen?

Die Abfälle in der Landschaft, im öffentlichen Raum belaufen sich bereits auf ein Ausmaß von 4 500 Tonnen jährlich, die mühseligst aufgeklaubt werden müssen. Es gibt dazu ei­ne Studie des Umweltbundesamtes, weil man sich dieses Phänomen, dieses wachsen­de Phänomen, anschauen wollte. Es gibt so gut wie in jeder Gemeinde mindestens eine Flurreinigungsaktion pro Jahr. Wir sind bei knapp 2 800 Flurreinigungsaktionen mit Frei­willigen. 160 000 Freiwillige gehen herum und klauben das auf, was andere einfach aus Achtlosigkeit, aus Ignoranz oder aus Bequemlichkeit fallen lassen. Es sind großteils Ge­tränkeverpackungen. Es gibt genaue Analysen dazu, die das abdecken. Das ist ein uner­messlicher Arbeitsaufwand, der da zu leisten ist. Auch da ein Dank an alle, die aufklau­ben gehen, an die Freiwilligen, aber auch an die Asfinag, an alle Straßenmeistereien. Es wird unglaublich viel geleistet, damit der öffentliche Raum, damit die Natur von diesen Abfällen verschont bleibt. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Der Abfall ist leider auch zu einem ziemlichen Gefahrenpotenzial für die Futterwiesen geworden. Jeder Landwirt, der weiß, was eine geschredderte Futterdose an Tierarztkos­ten und Leid verursacht, weiß, dass dieses Material nicht in die Umwelt gehört. Wir müs­sen sorgfältiger werden und brauchen daher gerade in diesem Bereich, in dem so viel weggeworfen wird und den wir genau beschreiben können – es ist der Getränkebereich, der ganz groß ist –, wirksame Maßnahmen gegen die Plastikflut wie das Dreipunktepro­gramm, das kürzlich von Umweltministerin Gewessler vorgestellt wurde, um die Plastik­flut einzudämmen.

Wir haben da die Bevölkerung auf unserer Seite. Die Bevölkerung wünscht sich wieder mehr Mehrwegverpackungen und ein faires Angebot im Handel. Sie wünscht sich Maß­nahmen und Anreize zur Rücknahme dieser Getränkeverpackungen, sie wünscht sich, dass die Politik Maßnahmen setzt, um Mehrweg eine größere Chance zu geben und die Quoten natürlich auch hinaufzusetzen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Den Schlusssatz bitte!

Abgeordnete Dr. Astrid Rössler (fortsetzend): Bitte, unterstützen nicht nur Sie in der Bevölkerung uns, sondern besonders auch Sie hier im Hohen Haus, unterstützen Sie uns als Regierung dabei! Wir haben vieles in unser Regierungsprogramm aufgenom­men, unterstützen Sie uns mit der kommenden Novelle zum Abfallwirtschaftsgesetz bei der Umsetzung! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Abg. Herr.)

9.21

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich begrüße – ich habe sie zuerst nicht gesehen – sehr herzlich Frau Ministerin Leonore Gewessler und darf ihr gleich das Wort erteilen. – Bitte.