11.35

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Werte Regierungsmitglieder! Kollegen und Kolleginnen! Soll Österreich Menschen aus Moria aufnehmen? – Ja. Gibt es hier im Hohen Haus eine Mehrheit dafür? – Nein. (Abg. Kickl: Da kann man halt nichts machen! – Zwischenruf des Abg. Lukas Hammer. – Wei­tere Zwischenrufe des Abg. Kickl.) Werden, ja müssen wir um diese Mehrheit kämp­fen? – Ja. Und wieso? Weil ich davon überzeugt bin, dass es diese Mehrheit in der Be­völkerung gibt, diese aber aktuell keinen Niederschlag bei den Volksvertretern hier im Hohen Haus findet. (Beifall bei den Grünen.)

Fakt ist: Moria, stellvertretend für viele Elendslager an den Außengrenzen, ist ja die Kon­sequenz einer verfehlten, dysfunktionalen EU-Asylpolitik der Abschottung und der Ab­grenzung. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.) Was liegt, neben der Beschaffung einer Mehrheit für eine Aufnahme von Menschen und neben akuter humanitärer Hilfe, in der Verantwortung einer verantwortungsvollen Politik? – Der Einsatz für eine gesamteuro­päische, solidarische und menschenwürdige Lösung, die die Genfer Flüchtlingskonven­tion achtet, statt sie noch mehr nach dem Motto: Nach mir die Sintflut!, auszuhebeln.(Abg. Kickl: Autosuggestiv ist das!)

Was wir auch tun müssen, ist, Fakten schaffen, gerade hier im Parlament bei den Fakten bleiben, nicht zulassen, dass durch Verkürzung und Verdrehung von Tatsachen eine Verrohung unserer gesamten Gesellschaft zum Sinnbild unserer europäischen Flücht­lingspolitik wird. (Ruf: ... Genfer Konvention ...! – Abg. Kickl: Also ich finde das gut, dass Sie freiheitliche Politik unterstützen!) Und dazu muss ich mir keine Dokus anschauen, ich habe nämlich mit den Betroffenen vor Ort gesprochen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Jasar ist 16 Jahre alt. Als Kind wurde er von islamistischen Terrorgruppen in Afghanistan gefoltert, weil sein Vater für den UNHCR tätig war. Sein Haus brannte nieder, und die Familie machte sich auf einen langen Weg über den Iran, über das Mittelmeer nach Europa. Elf Mal, sagt Jasar, saß er in einem kaputten Boot und sah Menschen um sich herum ertrinken. Er sagt zu mir: Keinen Augenblick habe ich daran gezweifelt, dass wir es noch einmal versuchen wollen. – Nicht in Erwartung eines fairen Asylverfahrens, sondern schlicht, um zu überleben.

Seien wir doch froh, dass wir in einem Europa leben, wo wir dieses Überleben sichern können! Hören wir doch auf, Kriegszustände als Abschreckung zu produzieren, denn erst, wenn wir den Frieden, die Demokratie, den Rechtsstaat, die Menschenrechte in Europa abschaffen würden, erst dann würden einige von euch sagen können, es gibt diesen Pulleffekt nicht. – Und nein, da wollen wir Grüne nicht hin, und nein, da will die Mehrheit der Bevölkerung nicht hin. (Beifall bei den Grünen.)

Enisa ist acht Jahre alt. Diese Kinder dürfen in Griechenland keine reguläre Schule be­suchen, und eine andere gibt es schlicht nicht. Als ich im März in Moria war, haben ge­rade Rechtsradikale das einzige Familienzentrum, das Unterricht angeboten hat, nieder­gebrannt. – So viel zum Zündeln. Ja, auf allen Seiten wird gezündelt, aber schieben wir das nicht nur einer Gruppe zu! Empören wir uns doch lieber über die Schulbuchver­brennung, die dort stattgefunden hat, denn es geht um die Generationen, die hier auf europäischem Boden sind! Es sind unsere Kinder, die hier auf eine Lösung warten, wäh­rend wir uns weiter streiten! (Beifall bei den Grünen.)

Dann ist eine Frau vor meinen Augen kollabiert, mit Schaum vor dem Mund. Ich stehe zwischen ihr und den Sicherheitskräften und schreie den einen an: Sie braucht medizini­sche Versorgung! – Also das, was wir alle fordern. Wisst ihr, was er zu mir sagt? – She should die.

Mehr gibt es, glaube ich, dazu nicht zu sagen, außer dass bei diesen Beispielen von Erpressung zu sprechen ja nicht nur freiheitliches Kalkül ist, sondern das ist eine Bank­rotterklärung an die Menschlichkeit. Also schämen Sie sich! (Abg. Kickl: Schämen soll­ten Sie sich!) Schämen Sie sich dafür, dass Sie da die Fakten verdrehen (Abg. Kickl: Sie sollten sich genieren!), um politisches Kleingeld daraus zu schlagen! (Abg. Kickl: ... den Leuten auch erklären, wie ... durchsetzen können! Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Und noch eines: Moria gehört evakuiert. Die Zustände dort werden bewusst nicht besser gemacht. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Das Geld versickert, die griechische Regierung fühlt sich von Europa nicht nur alleine gelassen, sondern sie ist  ja, das muss man sagen  auch von rechtsextremem Gedankengut durchdrungen. (Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Das spiegelt sich bei den Behörden wider, das spiegelt sich bei jenen wider, die eigentlich vor Ort für die entrechteten, entmachteten Menschen (Zwi­schenruf der Abg. Steger) und für ihren Schutz zuständig sein sollten, deswegen sage ich hier bei dieser Aktuellen Europastunde Grundsätzliches: Flucht war und ist kein Ver­brechen und wird keines sein.

Präsidentin Doris Bures: Sie müssen jetzt den Schlusssatz formulieren.

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (fortsetzend): Vom Schicksal der Menschen in Moria trennt uns lediglich das Privileg des Geburtsortes. Wir sollten deshalb Menschen nicht abschrecken, sondern uns selber schrecken, ja, wir sollten Angst bekommen.

Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist ausgeschöpft. Ich habe Sie ersucht, den Schlusssatz zu formulieren. Ich gebe Ihnen ganz kurz Zeit, das jetzt zu tun.

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (fortsetzend): Österreich ist ein kleines Land, aber mit großem Herzen. Unser politisches Credo, unsere tiefste Überzeugung ist des­halb klar: Wenn sich Menschen in Not befinden, dann helfen wir mit allen Mitteln. (Beifall bei den Grünen. Abg. Martin Graf: Da schaut der Hass aus den Augen!)

11.41

Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete Stephanie Krisper ist die Nächste, die zu Wort gelangt. – Bitte.