16.36

Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Herr Präsident! Werte Minister! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Vor allem Frau Kollegin Yılmaz! Möge der morgige Wiener Ge­meinderatsbeschluss, von dem Sie gesprochen haben, der äußerst prekären Situation in Wien Abhilfe schaffen! Wir freuen uns für die Lehrlinge, dass der Lehrlingsbonus und auch die Arbeitsstiftung sehr, sehr gut auf dem Weg sind. Frau Kollegin Yılmaz, zum Sozialbericht 2019 hätte ich gerne noch mehr von Ihnen gehört, weil sehr viel Wichtiges drinnen steht. Ich werde es in meiner Rede übernehmen, ein bisschen durch die Kapitel zu flippen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Thema, das in fast jedem Kapitel in diesem Sozialbericht 2019 vorkommt, ist die Frage, wie es den Menschen im letzten Lebens­abschnitt, im Alter, aber auch im Sterben, geht. Das Sterben blenden wir sehr oft aus, aus unserem persönlichen Leben, aber auch aus dem öffentlichen Leben. Gott sei Dank, Dank auch an das Sozialministerium, zieht sich dieses Thema wie ein roter Faden durch den Bericht. Da geht es um die Lebensqualität im Alter. Es geht um die Schaffung eines positiven Altersbildes. Es geht um die Altersarmut, die Pflegevorsorge. Dort heißt es zum Beispiel, dass wir pflegende Angehörige unterstützen müssen, es heißt auch, dass die Hospize und die Palliativmedizin in die Regelfinanzierung übernommen werden müs­sen – eine langjährige Forderung. Es geht um Seniorenpolitik, es geht um Medizinrecht.

Wenn wir diese Vorschläge umsetzen, wenn wir an der Lebensqualität im Alter arbeiten, dann wird es den Menschen im Alter gut gehen, und wir werden wenige Menschen hören, die sagen, dass sie so nicht mehr leben wollen. Es gibt ihn nämlich, diesen Wunsch zu sterben, dann, wenn das Leben nicht mehr lebenswert erscheint.

Es gab vor fünf Jahren eine Enquete-Kommission im Parlament, und da hat der damalige Obmann des Hospizvereins Steiermark, Helmut Strobl, einen sehr wichtigen Satz ge­sagt; ich lese diesen Satz vor. Er sagt: Der Wunsch zu sterben, das Verlangen nach Sterbehilfe ist nur der Wunsch nach Beendigung eines menschenunwürdigen Zustandes und in Wirklichkeit nicht der Wunsch, tatsächlich zu sterben. Das, so sagt er, ist die Er­fahrung all unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. – Zitatende.

Und wie oft wird das bestätigt: Wenn die Umstände verbessert werden, dann schwindet der Todeswunsch.

Es gibt eine Umfrage aus dem Frühling dieses Jahres der Universität Utrecht: Menschen, die in Holland einen Todeswunsch äußern, alte Menschen, die sagen, sie wollen nicht mehr leben, sagen das zu 56 Prozent, weil sie einsam sind, zu 42 Prozent, weil sie die Sorge haben, anderen zur Last zu fallen, und zu 36 Prozent, weil sie meinen, dass sie einfach mit dem Geld nicht auskommen. Hier sehen wir, wo wir ansetzen können.

Ich danke Ihnen, Herr Minister Anschober, dass Sie einen Pakt gegen Alterseinsamkeit angekündigt haben, ich begrüße das. Alterseinsamkeit ist nicht nur ein Coronathema, Einsamkeit macht krank. In anderen Ländern ist es schon ein großes politisches Thema, ich freue mich, dass es das auch bei uns werden soll.

Es gibt Menschen, die sagen: Ich möchte nicht mehr leben, weil mein Leben für andere eine Last darstellt. Wenn ich darauf sage: Ja, da können wir dir helfen, wir können dir helfen zu sterben!, dann habe ich mich mit dem Todeswunsch dieses Menschen solidari­siert, nicht mit dem Betroffenen.

Ich bin froh darüber, dass wir in Österreich einen anderen Weg gehen, dass wir 2015 in der Enquete-Kommission des Parlaments einstimmig beschlossen haben, dass wir Ja zur Behandlungsautonomie sagen – niemand darf gegen seinen Willen behandelt wer­den –, dass wir aber auch sagen, unsere Antwort auf die Sterbehilfedebatte sind: Pflege, Hospiz, Palliativmedizin und die Bekämpfung von Alterseinsamkeit, und dass wir deswe­gen Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zum Selbstmord in Österreich nicht brauchen.

Tobias Moretti hat auf einer Konferenz im Schloss Hartheim – eines der Euthanasiezen­tren der Nationalsozialisten – gesagt, „dass es eine Gesellschaft reicher macht, Platz zu haben für das nicht Normale, für das Welke, für das Sterben; es gehört einfach dazu“. Sterbehilfe wäre, sagt er, „als würde man eine Jahreszeit wegkürzen, als würde man den Herbst abschaffen.“

In diesem Sozialbericht 2019 ist im Detail angeführt, was wir tun müssen, damit unsere Gesellschaft eine humane ist, in der das Sterben zum Leben gehört und in der wir an der Hand eines Menschen sterben und nicht durch die Hand eines Menschen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

16.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Ragger. – Bitte.