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Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ge­schätzten Frauen Ministerinnen! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Österreich gehört zweifelsohne zu jenen Ländern, die für ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und für alle, die sich rechtmäßig auf seinem Territorium aufhalten, eines der weltweit am breites­ten aufgestellten Sozialsysteme bereitstellt.

Der Sozialbericht 2019 gibt einen guten Überblick, viele Themenbereiche wurden bereits von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen, in der Behindertenpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik oder jetzt zuletzt auch im Bereich der Pflege.

Was ist eigentlich die ursprüngliche Aufgabe eines funktionierenden und krisenfesten Sozialsystems? – Es soll sicherstellen, dass jene Hilfe bekommen, die dringend Hilfe bedürfen, weil sie sich selbst nicht helfen können. Und krisenfest heißt natürlich in die­sem Zusammenhang auch, dass eben nur jene Hilfe bekommen, die sich nicht selbst helfen können, aber dass jene keinen Anspruch haben, Sozialleistungen zu beziehen, die sich selbst helfen können. Also die Solidargemeinschaft springt nur im Bedarfsfall ein.

Ich möchte daher den Fokus auf einen Punkt legen, der auch im Sozialbericht abgebildet ist, nämlich auf die Frage der Sozialhilfe allgemein, der Sozialhilfe im Besonderen, auch im Zusammenhang mit, wie wir sie bisher genannt haben, der Bedarfsorientierten Min­destsicherung. Da lohnt sich schon ein Blick in die statistischen Zahlen, die auch in die­sem Bericht abgebildet sind: Im Jahr 2019, also noch vor der Coronakrise, haben in Österreich insgesamt rund 268 000 Menschen Mindestsicherung bezogen, also etwa 3 Prozent der hier wohnenden Bevölkerung.

Sieht man sich die Zahlen im Detail an, so muss man doch die eine oder andere Frage stellen, nämlich: Wie ist es möglich, dass es im Jahr 2019 in allen acht Bundesländern außer Wien zusammen 112 000 Mindestsicherungsbezieher gab – also 112 000 – und allein im Bundesland Wien 166 000? (Ruf bei der ÖVP: Wahnsinn!) Und um politisch unverdächtig zu sein: Wie ist es möglich, dass es zum Beispiel im Burgenland im Vorjahr nur 3 000 Mindestsicherungsbezieher gab, in Wien aber, wie schon gesagt, 166 000? In Wien waren es also 55-mal so viele wie im Burgenland, obwohl Wien eine nur ungefähr sechsmal so hohe Bevölkerungszahl hat.

Ist das wirklich, meine Damen und Herren, nur der Großstadtfaktor, wie so oft behauptet wird, oder ist es doch eine Systemfrage, ist es doch das System Bürgermeister Lud­wig/Sozialstadtrat Hacker? (Abg. Leichtfried: Na endlich ...!) – Es ist natürlich auch eine Systemfrage. 59 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher in Österreich leben derzeit in Wien! Und da muss man fragen, ob Wien wirklich so anders ist oder ob vielleicht das eine oder andere nicht ganz richtig läuft. Wenn man dann noch tiefer in die Zahlen hi­neingeht, muss man auch feststellen, dass von diesen Mindestsicherungsbeziehern in Wien etwa 50 000 auch Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sind – also auch eine Frage einer möglicherweise fehlenden Integration, die in der Stadt Wien auszumachen ist.

Meine Damen und Herren! Gerade die Mindestsicherung mit der Sozialhilfelogik, dass nur jenem geholfen wird, der sich selbst nicht helfen kann, ist eine besonders heikle Materie. Warum? – Weil das im Spannungsfeld steht zwischen der Frage: Was kann man als Einkommen für den Lebensunterhalt selbst erwirtschaften?, und dem, was die Solidargemeinschaft im Falle einer Bedürftigkeit auch bereitstellt. Und da gilt weiterhin unser Grundsatz, den wir auch immer ganz vorneweg aussprechen: Wer in Österreich arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein! Wer in der Früh aufsteht und einer Beschäfti­gung nachgeht, darf nicht der Dumme sein! (Beifall bei der ÖVP.)

Der Sozialstaat braucht in jeder Facette eine breite Akzeptanz – akzeptiert natürlich von jenen, die ihn brauchen, aber auch akzeptiert von jenen, die ihn ermöglichen, nämlich von jenen vielen Millionen Menschen, die in das System einzahlen und damit erst diesen breiten Sozialstaat mit ihrer Steuerleistung ermöglichen. Und dafür, meine Damen und Herren, ist der Sozialbericht, den wir jetzt hier zur Kenntnis nehmen und beschließen, eine gute Grundlage. Wir müssen unser Sozialsystem immer weiterentwickeln, und dazu hat sich diese Bundesregierung auch verpflichtet. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeord­neten der Grünen.)

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