10.57

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nützen, den Angehörigen und Freunden der Ermordeten mein herzliches Beileid auszusprechen.

Ich möchte allen Verletzten gute Besserung wünschen und ich möchte Dank sagen: Dank an die Einsatzkräfte, Dank an die, die ihr Leben riskiert haben, aber auch Dank an die stillen Heldinnen und Helden dieser Nacht, ja, auch Dank an den einen lauten Helden dieser Nacht, der dem Attentäter lautstark seine Meinung gesagt hat, ja, und Dank an die Menschen, die im Gastgewerbe tätig waren und geholfen haben, Dank an die Menschen, die in Theatern, in Museen, in der Oper, und Dank an all die, die bei Veranstaltungen tätig waren. Da hat sich gezeigt: In der Krise hält das Land zusammen. Herzlichen Dank an alle, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es geht aber nicht nur ums Danksagen – das muss man schon auch klarstellen –, es geht auch darum, zu hinterfragen: Was ist da geschehen? Warum kam es dazu? Wir haben gestern versucht, im Nationalen Sicherheitsrat vom Bundeskanzler und vom Innenminister Antworten zu bekommen. Wir haben jetzt zugehört, ich habe jetzt zugehört und versucht, Antworten zu bekommen, und ich muss Ihnen sagen, diese Antworten sind leider nicht gekommen.

Man mag einwenden, dass es jetzt in dieser Zeit der Trauer vielleicht noch zu früh ist, diese Antworten einzufordern, ich glaube aber nicht, dass es zu früh ist, weil ich langsam das Gefühl habe, dass diese Antworten, wenn es nach der Regierung geht, nie kommen werden, geschätzte Damen und Herren, und deshalb sind sie einzufordern. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe jetzt genau zugehört, wie wir, wenn es nach der Regierung geht, zu diesen Antworten kommen sollen, und es sind ungefähr 50-mal gestern und heute die Wörter „unabhängige Untersuchungskommission“ gefallen. Bei einer unabhängigen Unter­suchungs­kommission, die von denen eingesetzt wird, die zu untersuchen sind, ge­schätzte Damen und Herren, ist das Wort unabhängig etwas fehlplatziert, das muss ich Ihnen ganz offen sagen! Wenn unabhängig, dann müsste es parlamentarische Kontrolle sein, aber anscheinend fürchten Sie parlamentarische Kontrolle.

Ich verstehe das nicht. Wenn man von Zusammenarbeit redet, wenn man von gemein­samer Verantwortung redet, wäre es das Mindeste gewesen, sofort zu sagen: Ja, es ist etwas schiefgegangen. Dafür braucht es parlamentarische Kontrolle und nicht eine Untersuchungskommission, die von Herrn Nehammer eingesetzt wird, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Es gibt ja nach unserem jetzigen vagen Wissensstand – ich sage wirklich: vagen Wis­sensstand – einiges, was wirklich geklärt werden muss. Wie kam es dazu, wie konnte es dazu kommen, dass diese Informationen, die Information, dass der Täter in der Slowakei versucht hat, Sturmgewehrmunition zu kaufen, anscheinend zu den österreichischen Behörden gekommen sind, dort aber keinerlei Reaktion erfolgte und auch die Justiz nicht verständigt wurde? Das Justizministerium – so haben wir heute erfahren – hat in der Nacht des Anschlags diese Information erstmals erhalten. In einer solchen Situation würde es einem Bundeskanzler geziemen, nicht sofort als ersten Reflex die Justizministerin anzupatzen, nein, es würde einem Bundeskanzler geziemen, in sich zu gehen und zu hinterfragen, warum dieser Fehler passieren konnte, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Weiters muss auch einmal hinterfragt werden, warum – und ich habe das selbst teilweise im BVT-Untersuchungsausschuss miterlebt – ein einstmals gut funktionierender Verfas­sungsschutz, Geheimdienst oder wie man das nennen kann, mehrere Jahrzehnte lang unter ÖVP-Innenministern, kurz unterbrochen durch einen FPÖ-Innenminister, einfach nicht mehr in der Lage zu sein scheint, seinen Aufgaben nachzukommen. Wenn partei­politische Besetzungen vor Qualifikation gehen – und das 20 Jahre lang –, dann darf man sich nicht wundern, dass Fehler passieren, geschätzte Damen und Herren – und auch da hat jemand Verantwortung zu tragen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wir haben vor wenigen Tagen in das graue, grausame, schreckliche Antlitz des Terrors geblickt. Wir haben Tote und Verletzte zu beklagen. Die Menschen in unserem Land sind erfüllt von Trauer, ja, und auch von Wut; und jetzt geht es darum, dass diese Wut nicht zu Hass, zu Zerrissenheit und zu weiterem Leid führt. Um das zu verhindern, gilt es, Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung wahrzunehmen. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung, und ja, Herr Bundesminister, es ist insbesondere Ihre Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen und nicht zu versuchen, sich in der Bundesregierung gegenseitig anzupatzen. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Herr Bundesminister, aufgrund dessen, was Sie vorhin hier berichtet haben, was Sie gestern im Nationalen Sicherheitsrat berichtet haben, muss ich bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass Sie diese Verantwortung anscheinend nicht selbst auf sich nehmen möchten. Ich muss Ihnen deshalb sagen, dass die österreichische Sozialdemokratie so kein Vertrauen mehr in Sie hat. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Abge­ordneten der FPÖ.)

11.04

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Dagmar Belakowitsch. – Bitte.