10.33

Abgeordnete Mag. Meri Disoski (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Justiz­ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Heute ist der letzte Tag der internationalen Kampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen, die am 25. November begonnen hat. Auf der ganzen Welt wird in diesen 16 Tagen auf die Bedrohung von Frauen und Mädchen durch männliche Gewalt aufmerksam gemacht. Weltweit rückt in diesen 16 Tagen das Recht von Frauen und Mädchen auf ein gewaltfreies Leben in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, und das tun auch wir Grüne heute am internationalen Tag der Menschenrechte mit der Aktuellen Europa­stunde hier im Hohen Haus. Wir rücken damit die schwerste geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzung in das Zentrum des heutigen Plenartages. (Unruhe im Saal.) Jetzt hören Sie (in Richtung FPÖ) mir vielleicht auch zu.

Frauenverachtende, misogyne Altherrenwitze, sexistische Werbungen, verbale Beleidi­gun­gen, obszön-vulgäres Nachrufen auf der Straße: Jede Frau, die heute hier sitzt, jede Frau, die mir gerade zuhört, ich würde fast sagen, jede Frau in ganz Europa weiß ganz genau, wovon ich gerade spreche.

Zigaretten, die auf nackter Haut ausgedämpft werden, eine gebrochene Nase, ge­schwollene Augen, blutige Platzwunden im Gesicht, schmerzhafte Hämatome am ganzen Körper, Prellungen und Knochenbrüche, intime Berührungen gegen den eigenen Willen, wenn mit einem Penis oder etwas anderem gegen den eigenen Willen in den eigenen Körper eingedrungen wird: Statistisch gesehen weiß EU-weit jede dritte Frau, wovon ich gerade gesprochen habe. Statistisch gesehen ist jede dritte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr von physischer und/oder sexueller Gewalt betroffen.

Dieses schockierende Gewaltausmaß belegt eine Erhebung zu Gewalt an Frauen, die von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte im Jahr 2014 durchgeführt worden ist. Die Zahlen sind schockierend, sie sind aber vor allem auch ein dringender Handlungsappell, ein Handlungsauftrag an uns alle, an die Politik, um europaweit mit der notwendigen Entschlossenheit Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen umzusetzen – Maßnahmen, zu deren Umsetzung sich Österreich mit der Ratifizierung der sogenannten Istanbulkonvention auch völkerrechtlich verpflichtet hat.

Die Istanbulkonvention ist das wichtigste Rechtsinstrument gegen Gewalt an Frauen und sieht zur Bekämpfung dieser Gewalt sehr umfassende Maßnahmen zur Bewusstseins­bildung, zur Gewaltprävention, zum Schutz von Opfern und zur wirksamen Strafverfol­gung der Täter vor. Eine unabhängige ExpertInnenkommission hat den Umsetzungs­stand der Istanbulkonvention in Österreich im Jahr 2014 evaluiert und hat uns in einigen Bereichen sehr dringenden Nachholbedarf attestiert. Die Bundesregierung hat im laufen­den Jahr in vielen, damals von den Expertinnen und Experten völlig zu Recht kritisierten Punkten wichtige Verbesserungen umgesetzt; vier davon möchte ich hervorheben.

Der erste Punkt betrifft Hass im Netz. Hass im Netz kann grundsätzlich jede und jeden von uns treffen. Aus Studien wissen wir, dass sich Hass im Netz vermehrt gegen Frauen, gegen Menschen aus der LGBTIQ-Community und gegen Menschen mit Migrations­biografie richtet – zuletzt immer häufiger auch dezidiert gegen Musliminnen und Mus­lime. Damit richtet er sich also gegen jene Menschen, die oft mehrfach marginalisiert und strukturell benachteiligt sind. Die Folge ist, dass sich diese Menschen aus dem Internet zurückziehen.

Mit einem europaweit beachteten Gesetzespaket gegen Hass im Netz, das wir später hoffentlich mit breiter Zustimmung beschließen werden, schaffen wir nun jene Rah­menbedingungen, mit denen sich die Betroffenen künftig einfach, rasch und kosten­günstig gegen Hass im Netz zur Wehr setzen können. Wir setzen damit eine zentrale, in der Istanbulkonvention vorgesehene Maßnahme zum Schutz vor Gewalt in der digitalen Welt um, und das ist gut und wichtig so. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Der zweite Punkt ist die in der Istanbulkonvention vorgesehene juristische und psychosoziale Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche, die Zeuginnen und Zeugen von Gewalt werden. Wieso ist das wichtig? – Weil Kinder oft jahrelang in inner­familiären Gewaltbeziehungen leben. Sie hören die Schreie aus dem Nebenzimmer, sie sehen, wie die Mutter oder Geschwister geschlagen werden, und sie erleiden dadurch oft Traumata, die lebenslange Folgen haben können. Dazu gab es bislang eine große Lücke, die die Justizministerin nun schließt. Ab 2021 wird diesen Kindern, den stummen Zeuginnen und Zeugen von Gewalt, der Opferstatus zuerkannt. Künftig erhalten damit auch sie juristische Prozessbegleitung und psychosoziale Betreuung. Gewaltschutz­expertInnen sprechen von einem Meilenstein im Gewaltschutz von Kindern und Jugendlichen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Der dritte Punkt, den ich akzentuieren möchte, ist die Erhöhung der Mittel für Gewalt­schutz und Opferschutz. Wir haben die Mittel für Gewaltschutz und Opferschutz deutlich erhöht: in der Justiz, im Frauenministerium, im Innenministerium und in anderen Minis­terien. Die Justizministerin hat eine wichtige Trendwende im Justizbudget erreicht und so auch wichtige Verbesserungen im Opferschutz zur Umsetzung bringen können. Das war sehr, sehr dringend und sehr, sehr wichtig.

Die Bundesregierung hat außerdem das Budget des Frauenministeriums, aus dem sehr viele Opferschutz- und Gewaltschutzmaßnahmen zentral mitfinanziert werden, um 43 Prozent erhöht. Zehn Jahre rot-schwarze Regierungen waren gleichbedeutend mit stagnierenden Mitteln, die türkis-blaue Regierung hat die Mittel im Frauenbudget zuletzt sogar gekürzt – nun gibt es also endlich die dringend notwendige signifikante Erhöhung der Mittel. Ich sage es immer und sage es auch hier: Klar ist auch, dass weitere Erhöhungen folgen müssen. Weitere Erhöhungen werden folgen, damit wir das Gewalt­schutznetz in Österreich strukturell weiter stärken und engmaschiger ausbauen können. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich komme zum vierten und letzten Punkt, nämlich der opferschutzorientierten Täter­arbeit. Wieso ist diese wichtig? – Weil wir die Gewaltspirale nur dann durchbrechen können, wenn wir mit jenen arbeiten, die Gewalt ausüben, und das sind die Täter. Das ist bewusst nicht gegendert, weil es tatsächlich hauptsächlich Männer sind, die Gewalt ausüben. Wir haben dazu in der letzten Sitzung des Innenausschusses einen Fünfpar­teienantrag beschlossen, und ich möchte mich an dieser Stelle auch bei allen Fraktionen ausdrücklich für die Zustimmung bedanken. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeord­neten der ÖVP.)

Diese vier Beispiele, die ich ausgewählt habe, zeigen, dass Österreich entschlossen und konsequent an der Umsetzung der Istanbulkonvention arbeitet. Zeitgleich – wir sind ja in der Europastunde – wird sie in anderen europäischen Staaten aber infrage gestellt und ausgehöhlt.

Die Slowakei, Bulgarien, Ungarn und Polen wollen aus dem europäischen Abkommen gegen Gewalt gegen Frauen aussteigen. In den beiden letztgenannten Staaten stehen Frauen und auch LGBTIQ-Rechte schon länger unter Dauerbeschuss. Zuletzt wurden in Polen LGBTIQ-freie Zonen eingerichtet, und nun möchte die dortige rechtskonservative Regierung ihre Gewaltausübung verstärken, indem sie die reproduktiven Selbstbestim­mungsrechte von Frauen beschneidet und ein Abtreibungsverbot durchsetzt.

Geht es nach Orbán, soll in Ungarn die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in den Verfassungsrang gehoben werden. Jener Mann, aus dessen Feder die ent­sprechende Zeile stammen soll, ist ein Gründungsmitglied von Fidesz und war bis vor Kurzem auch EU-Delegationsleiter seiner Partei, bis er bei einer Schwulensexparty in Brüssel verhaftet worden ist. Dazu fällt mir nur ein Wort ein, und dieses Wort ist Heuchelei. (Beifall bei den Grünen.)

Wir Grüne beobachten die Auswüchse des eben skizzierten politischen Katholizismus mit großer Sorge. Wir stehen in voller Solidarität hinter den LGBTIQ-Communitys in den genannten Ländern und hinter den Frauen in Polen, die seit Monaten für ihre repro­duktiven Selbstbestimmungsrechte auf die Straße gehen. Jenen, die diese zu beschnei­den versuchen, möchte ich abschließend mit der amerikanischen Anwältin, Feministin und Bürgerrechtlerin Florynce Kennedy antworten: Könnten Männer schwanger werden, wäre Abtreibung ein Sakrament. (Beifall bei den Grünen.)

10.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Zadić. – Bitte.