11.55

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Herr Bundesminister! Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Als Bundesminister Anschober uns jetzt lange erklärt hat, wie gut die österreichische Bundesregierung unterwegs ist, habe ich an ein Erlebnis denken müssen, an eine Frau, die ich einen Tag vor Weihnachten in Klagenfurt wiedergetroffen habe. Ich habe für meinen Vater noch ein Weihnachtsgeschenk gekauft und habe die Verkäuferin – ich kenne sie seit meiner Schulzeit – gefragt: Wie geht es Ihnen so? Ist bei euch viel los gewesen? – Die Frau hat dann zu mir gesagt: Das kannst du dir eh vorstellen, es ist extrem wenig los gewesen! Der Chef hat uns schon gesagt, im Jänner müssen zwei von uns gehen!

Ich habe mir dann wirklich gedacht: Wie ging es dieser Frau über die Weihnachts­feiertage? Kurz nach Weihnachten hat sie keinen Job mehr. Sie hat dann noch dazu gesagt: Weißt du, ich verdiene hier eh nicht viel, aber es gilt, gerade bis zur Pension durchzukommen! – Das sind die Schicksale, glaube ich, die wir jetzt alle immer wieder beobachten: Menschen, denen es in der Krise, wirklich extrem schlecht geht. Gestern haben wir gehört, dass fast 3 000 Menschen in Pflegeheimen gestorben sind, weil es uns in Österreich, trotz vieler Warnungen, nicht gelungen ist, Risikogruppen in den Pflegeheimen zu schützen.

Um es konstruktiv zu formulieren: Wir sind im Frühjahr hier gestanden und haben alle miteinander gesagt, wenn es um Gesundheit geht, müssen wir zusammenarbeiten. Und in der ersten Phase haben wir quer durch alle Parteien noch gesagt: Da gibt es akute Situationen, da können wir doch miteinander arbeiten und schauen, dass wir Lösungen zustande bringen! Da waren auch alle Parteien mit dabei.

Wofür ich persönlich überhaupt kein Verständnis mehr habe – überhaupt kein Verständ­nis! –, ist, wenn jene Menschen darunter leiden, die sich eigentlich erwarten würden, dass die Bundesregierung ihren Job macht. Jede Coronabekämpfungsmaßnahme endet in einem Chaos, und wir alle, die wir für unsere Tätigkeit wirklich gut bezahlt werden, schaffen es offensichtlich nicht, den Job miteinander so zu machen, dass die Frau, von der ich gerade geredet habe, wieder eine Perspektive hat.

Dann stellt sich Minister Anschober her und erzählt uns jetzt fast eine Stunde lang, wie super er unterwegs ist, nachdem eine der großen Chancen für Österreich, die Impfaktion in Österreich, die er gerade abschließend noch gelobt hat, de facto in den ersten Tagen bereits kaputt gemacht worden ist. Dann erzählt er uns: Sechs Monate lang hat er geplant. – Die Impfaktion ist nicht überraschend gekommen! Sechs Monate lang hat er Zeit gehabt, und innerhalb weniger Tage war das Ganze kaputt.

Und wisst ihr, warum es kaputt ist? Ich gebe euch einen Hinweis: Das zieht sich wie ein roter Faden durch das Krisenmanagement dieser Regierungstruppe, Michael Jungwirth hat das in einem Bericht in der „Kleinen Zeitung“ wunderschön aufgearbeitet und analysiert. Man hat sich nämlich nicht Gedanken darüber gemacht, was man denn machen könne, damit der Impfstoff so schnell wie möglich bei den kranken Menschen, bei den Menschen in Altenheimen ist. Das Allerwichtigste war – Originalzitat: drei Tage wurde nur telefoniert; es wurde aber nicht telefoniert, weil man sich gefragt hat, wie man den Impfstoff zu den Menschen bringt –, wie man die beste Werbung für die Bundes­regierung macht. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Das allerbeste Foto – dass Rudi Anschober strahlt und lächelt, dass Sebastian Kurz mit dabei ist – war für die Bundesregierung wieder einmal das Allerwichtigste. Und es kommt noch besser – gut, dass Frau Ministerin Tanner heute da ist, sie kann aufklären, was da wirklich im Busch war –: Es ist ja so weit gewesen, dass es geheißen hat, wir brauchen unbedingt Black-Hawk-Hubschrauber von Wien, damit Impfstoff im Ausmaß eines Schuhkartons mit einem Black Hawk nach Tirol und Vorarlberg geflogen werden kann.

Hätten Sie sich dort vor dem Pflegeheim abgeseilt? Was war denn da geplant, Frau Ministerin Tanner? Ist das Ihr Ernst? Ist das Ihr Ernst?! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Über die Feiertage liegen 100 000 Impfdosen dann irgendwo herum, und in den ersten Tagen ist die einzige Sorge, dass der Black Hawk in Wien landet, Frau Tanner aufnimmt und die Schachtel mit den Impfdosen sowie Frau Tanner dann irgendwo in Vorarlberg absetzt, damit sie sich dort vor die Kamera stellt. Ist das euer Ernst?

Es ist aber noch absurder. Das Nächste: Wie heißt diese Krimigeschichte über die Autobahnpolizei? – Cobra 11 oder so, Herbert Kickl als ehemaliger Innenminister wird es wissen. (Heiterkeit des Abg. Kickl.) Das dürfte sich Herr Minister Nehammer angeschaut haben. Er hat sich nämlich allen Ernstes überlegt, dass er natürlich nicht fehlen darf, wenn die ersten Impfdosen von Belgien nach Österreich kommen – man braucht auch ein gutes Foto von Herrn Nehammer –, und er hat sich mit Blaulicht neben den Impfstoff hingestellt und eine Polizeieskorte organisiert. Er muss nämlich dabei sein, ohne Nehammer klappt es natürlich nicht. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Herr Nehammer ist als ÖVPler zwar soziale Kälte gewohnt, aber er ist draufgekommen, dass minus 70 Grad auch für ihn zu viel ist. Er hat das mit dem Foto mit dem Impfstoff dann also doch sein lassen, weil er gesagt hat, so wichtig ist es nicht, nicht dass im Zweifelsfall die Kühlkette unterbrochen würde. Ich habe das jetzt bewusst – leider – auch humorvoll formuliert, aber das ist die Wahrheit! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Spürt ihr euch eigentlich noch, dass ihr auf die Idee kommt, groß von den gewaltigen Chancen der Impfung zu sprechen, während sechs Monate lang die Planung vorne und hinten nicht klappt – in ganz Österreich kennt sich niemand aus, Ärztinnen und Ärzte wissen bis heute nicht, wie es ausschaut –, und ihr Tage nur mit Pressearbeit, Marketing und PR verplempert?! Spürt ihr euch noch? Das kann doch nicht euer Zugang sein! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Ein weiterer Punkt betrifft die Zusammenarbeit zwischen Rudi Anschober und Sebastian Kurz: Könnt ihr euch nicht einmal aussprechen? Dieses gegenseitige Hacklschmeißen schafft doch kein Vertrauen! Ich verstehe zum Beispiel nicht, wie das funktioniert: Beim Fototermin seid ihr noch zusammen, da steht Sebastian Kurz neben dir, und Tage später richtet er dir aus, dieser ganze Impfplan von dir sei eigentlich Chaos und Quatsch. Habt ihr keine Gesprächsbasis, dass Sebastian Kurz dir das vorher sagen könnte?

Ich weiß jetzt nicht, was bei Sebastian Kurz los ist. Er sagt ja immer, er hätte vorher schon gewusst, was los ist, also er weiß ja immer schon vorher, was Sache ist – und kann sich dann aber in der eigenen Regierung nicht durchsetzen? Er sagt auch, er wäre der starke Krisenmanager – aber in der eigenen Regierung zählt sein Wort dann nichts? Er sagt auch, es werde wahrscheinlich keinen Lockdown geben – und wenn dann der Lockdown da ist, sagt er: Ich habe es eh schon immer gewusst! Irgendetwas stimmt also bei Sebastian Kurz offensichtlich nicht. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Hoyos-Trauttmansdorff und Loacker.)

Mein Gefühl ist – in Richtung Rudi Anschober –, bei euch beiden passt die Chemie seit diesem Wettlauf vergangenen Sommer nicht. Man erinnert sich, da gab es ja einen Wettstreit, aber nicht darüber, wie wir uns vorbereiten, um einen neuerlichen Lockdown im Herbst zu verhindern – das war ja leider nicht unbedingt etwas, das geklappt hat –, sondern das Wichtigste war: Wer darf denn die erste Pressekonferenz geben?

Sebastian Kurz hat sich dann hingestellt und gesagt: „Es gibt [...] Licht am Ende des Tunnels.“ Dann haben natürlich auf einmal alle Leute die Maske abgelegt – darauf hat er gesagt, na ja, er könne da nichts dafür, die Leute seien so blöd, dass sie nicht mehr wüssten, was in Österreich los ist! (Abg. Wöginger: Das ist eine Sauerei!) – So ist doch das Krisenmanagement gewesen, und du sagst es richtig, Kollege Wöginger: „Das ist eine Sauerei!“ Dieses Zitat bringt die Situation wirklich auf den Punkt, denn da geht es um Menschenleben und nicht um PR und Marketing. (Beifall bei SPÖ und FPÖ sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Wenn es andere Länder auf der Welt auch schaffen – Dänemark ist angesprochen wor­den, wo es für den Zeitraum bis Sommer einen konkreten Impfplan gibt - - (Abg. Haubner: Das ist peinlich, die Rede!) – Was heißt da peinlich? Was hätte denn dich gehindert, auch intern einmal zu sagen: Sebastian Kurz und Rudi Anschober, setzt euch zusam­men, schmeißt nicht gegenseitig Hackln, denn da geht es um Menschenleben, da geht es um unsere Wirtschaft, da geht es um unsere Existenz in Österreich?! Wir haben ein Krisenmanagement, für das man sich genieren muss, wir haben die schlechtesten Zahlen weltweit! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Hier im Parlament redet die ÖVP groß, aber es braucht auch Mut, intern einmal zu sagen, dass gutes Krisenmanagement doch die beste Werbung ist, und darum bitte ich wirklich! Euch helfen auch die 200 Millionen Euro für Inserate nichts, denn wenn man einfach keine gute Arbeit leistet, kann man auch nichts vermarkten. Ich bitte euch also wirklich: Macht intern den Mund auf, schaut intern, dass das Krisenmanagement funktioniert, und dass wir die Impfungen, diese riesengroße Chance, auf die Reihe kriegen! Das sind wir doch den Menschen in Österreich schuldig: nicht nur Marketingblabla, Geschichten und Ausreden zu erfinden, sondern wirklich darauf zu schauen, dass wir diese Krise endlich in den Griff kriegen und zusammenarbeiten. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

12.03

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Schwarz. – Bitte.