13.56

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich habe Ihnen heute sehr aufmerksam zugehört. Ihre Rede hat mich leider sehr stark an die Rede von Bundeskanzler Kurz vom 27. Mai des letzten Jahres erinnert, in der er damals gesagt hat, ihm falle kein Land ein, mit dem er gerne tauschen würde. Daran hat er eine unglaubliche Lobsuada angeschlossen, dass alles richtig gemacht sei, dass Österreich am besten dastehe, dass wir am besten durch die Pandemie und auch durch die Wirtschaftskrise gekommen seien.

Wir wissen, dass das alles nicht stimmt, heute aber wissen wir noch viel mehr, Herr Bundesminister Anschober. Deswegen hat es mich enttäuscht, dass Sie wieder nur mit Selbstlob gearbeitet haben und dass Sie auch bei dem Impfen dabei waren. Jetzt nehme ich Sie insofern in Schutz: Ihnen hat man angesehen, wie peinlich Ihnen das war, sich neben alte Leute zu setzen, nicht wissend, was man mit ihnen reden soll, nur damit man eine Stunde im Fernsehen ist. Man hat Ihnen angesehen, dass es Ihnen peinlich war, aber warum machen Sie bei diesen Inszenierungen mit? Warum reden Sie nicht einmal in der Regierung und sagen: Wisst ihr was, machen wir eine Strategie, machen wir Pläne und hören wir auf mit dieser Showpolitik, denn die schadet uns! (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Ich beziehe mich noch einmal auf den Satz von Herrn Kurz: Mir fällt kein Land ein, mit dem ich tauschen möchte. Im Unterschied zu vielen hier habe ich in verschiedenen Ländern im Ausland gelebt, und ich sage Ihnen: Ich bin froh – ich rede immer von der Lotterie, wir alle haben Glück, dass wir in diesem Land geboren wurden –, dass ich Österreicher bin, ich bin sehr gern hier. Ich bin sehr dankbar dafür – ich habe ja nichts dafür getan. Ich aber möchte in einem Österreich leben, in dem auf die Menschen aufgepasst wird, und jetzt rede ich von den alten Menschen. Das, was Sie hier gemacht haben, ist: Sie haben die alten Menschen missachtet. (Ruf bei der ÖVP: Das ist ja un­glaublich!) Das, was sich in den Altenheimen abgespielt hat, war ein einziger Skandal. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, es war ein einziger Skandal!

Jetzt hören Sie zu: Ich höre die Chefin des Seniorenbundes – die von mir durchaus geschätzte Frau Korosec – bei jeder Kleinigkeit, auch beim Geld, bei den Pensionen, bei allem, aber nun auf einmal ist es nur mehr Parteipolitik. Dort, wo sie sich für die Alten einsetzen hätte müssen, hat sie es nicht gemacht.

Das führt mich zum nächsten Punkt: Ich möchte in einem Land leben, in dem die Parteipolitik nicht mehr diese Rolle spielt, sondern wo wir uns für die Menschen einsetzen (Zwischenrufe bei der ÖVP), und zwar egal, wo sie gerade sind.

Ich möchte auch in einem Land leben, in dem wir auf die Jungen aufpassen, darauf, was sich in den Schulen abspielt, was sich in der Bildung abspielt. Es ist ja nicht nur ein Skandal, sondern verlängert das, was in dem Land ja ohnehin schon der Fall ist, dass nämlich Kinder, die in sozial benachteiligten Familien aufwachsen, auch in der Bildung benachteiligt sind; ich habe das oft genug beobachtet. Und anstatt ihnen zu helfen, zu schauen, dass die Kinder in die Schule kommen und ihren Anspruch auf Bildung wahrnehmen können, haben wir sie wieder benachteiligt und tun es in den nächsten Wochen weiter. Ich möchte in einem Land leben, in dem Bildung für alle da ist und wirklich kein Kind zurückgelassen wird.

Das gilt auch für die Digitalisierung – auch das muss ich Ihnen sagen. Sie geben wahn­sinnig viel Geld aus – ich schaue mir das im Detail gerade an –, aber die Digitalisierung geht nicht weiter, es funktioniert im Allgemeinen nicht, aber auch in den Schulen nicht.

Ich will auch in einem Land leben, in dem die Wissenschaft geachtet und nicht vom Bun­deskanzler mit den Worten, sieben Wissenschaftler, zehn Meinungen, heruntergemacht wird. Kollegin Blimlinger hat es gesagt: Wir sind der Wissenschaft dankbar, wir brauchen sie. Dann dürfen wir sie nicht runtermachen, und wenn wir es tun, dürfen wir uns nicht wundern, wenn viele Leute sagen: Ich lasse mich nicht impfen, sieben Wissenschaftler, zehn Meinungen, vielleicht stimmt das alles nicht. Strategie haben Sie zwar eh keine, aber dann machen Sie das, was eine Strategie sein sollte, auch noch kaputt. (Zwischen­rufe bei der ÖVP.)

Ich möchte auch in einem Land leben, in dem man der Regierung glauben kann. Sie haben am 1. Dezember Masken für alle über 65-Jährigen versprochen. Während dieser Sitzung habe ich wieder ein Mail von einer 82-jährigen Frau bekommen, die mir schreibt: Ich habe noch immer keine Masken, ich fühle mich von dieser Regierung nicht be­schützt. – Ich glaube, das müssen Sie machen, Sie müssen die Menschen beschützen.

Ich möchte auch in einem Land leben, in dem die Verfassung und auch der Verfas­sungsgerichtshof geachtet werden. Das, was Herr Sobotka in einem Interview gesagt hat, ist der nächste Skandal, deswegen habe ich dieses Buch (ein Buch in die Höhe haltend) „Wie Demokratien sterben“ mitgebracht. Es wird im Detail berichtet, gerade auch, was Amerika betrifft, es geht darin um die Leitplanken der Demokratie. Wenn diese beschädigt werden, ist die Demokratie schon knapp vor dem Ende. Deswegen ist der Verfassungsgerichtshof keine Einrichtung von Politikern, sondern zum Schutz unserer Verfassung, zum Schutz unseres Zusammenlebens, und deswegen bitte ich sehr deut­lich, dass Sie Herrn Präsidenten Sobotka ausrichten, dass er den Verfassungs­gerichts­hof in Ruhe lassen soll. (Beifall und Bravorufe bei den NEOS sowie Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte auch in einem Land leben, in dem wir auf die Menschen, auf die Kinder achten, die gerade zum Teil dabei sind, sich umzubringen – auf Lesbos; ich habe gerade einen Bericht darüber gelesen. Ich weiß, Sie bei den Grünen sind anderer Meinung, aber dann tun Sie endlich etwas! Sie lesen dieselben Geschichten, die ich lese. Es tut mir im Herzen weh, und ich weiß, Ihnen tut es auch weh, und da (in Richtung ÖVP) gibt es auch Menschen, es gibt noch ein paar Christlich-Soziale, denen tut es auch weh, tun wir also endlich etwas für diese Menschen, für die Kinder auf Lesbos! Bitte hören Sie auf, immer nur zu sagen: Wir haben eh etwas getan! – Nichts haben Sie getan, auch in diesem Bereich Showpolitik.

Herr Nehammer hat sich fotografieren lassen und nichts ist mit dem vielen Steuergeld erreicht worden, das wir hinuntergeschickt haben. Das war völlig sinnlos. Bitte, tun Sie etwas! (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Herr Anschober, wir hatten Kontakt – ich war noch Journalist und Sie waren Politiker – zum Thema Flüchtlinge, was wir miteinander machen sollten. Ich weiß, Sie sind meiner Meinung, seien Sie doch ein Mann und stehen Sie auf und sagen Sie: Ja, das machen wir jetzt miteinander!, denn so ist es wirklich unerträglich. (Beifall bei den NEOS.)

Das führt mich zum letzten Punkt (Abg. Steinacker: Hat der keine Redezeit?), weil mir das gerade einfällt – Journalist, Politiker –: Der Herr Bundeskanzler hat einmal zu einem Journalisten gesagt: Für mich gibt es nur Freund oder Feind! Du bist mein Freund oder mein Feind, und wenn du mein Feind bist, dann bekämpfe ich dich! – Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem wir eine Regierung haben, die die Bevölkerung auf diese Weise spaltet (Ruf bei der ÖVP: Du tust das!), die von Freund und Feind redet, denn auch das zerstört unser Zusammenleben, und – noch einmal –: So sterben Demo­kra­tien.

Da wir einen neuen Bundesminister haben, der Wissenschaftler ist, Herr Bundesminister Kocher, bringe ich jetzt noch einmal einen Entschließungsantrag ein, den wir bereits einmal eingebracht haben und zu dem Sie lässig gesagt haben: Das brauchen wir alles nicht! Jetzt ist zwar Herr Bundesminister Kocher nicht hier, aber ich werde ihm den Antrag auch noch schicken. Ich weiß, dass er natürlich unserer Meinung ist und gehe davon aus, auch Sie sind unserer Meinung.

Ich bringe also folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „För­derung der mittel- bis langfristigen Erforschung der psychosozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, sowie die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Innovation und Technologie, wer­den aufgefordert, mit den Forschungsförderungseinrichtungen in einen Dialog zu treten und eine ausreichende Finanzierung für die mittel- bis langfristige Erforschung der psychosozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Förderprogramme sollen insbesondere für jene mittel- bis langfris­tigen Studien geschaffen werden, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf Arbeitswelt, Bildung und Lebensqualität beschäftigen.“

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Da liegen Dinge vor uns – wir haben schon darüber geredet; Arbeitslosigkeit war auch soeben ein Thema –, wir reden von der Digitalisierung, wir reden von der neuen Arbeitswelt, es verändert sich gerade sehr viel.

Wir haben es in den letzten Monaten erlebt, es ist sehr schwer zu bewältigen, wenn man nur rein parteipolitisch denkt, wie Sie das gemacht haben. Geben wir endlich den Forscherinnen und Forschern dieses Landes, denen wir dankbar zu sein haben, die Möglichkeit, diesen Prozess zu begleiten, damit wir sehen, was das für die Arbeits­bedingungen, für die Familien heißt, damit wir erkennen, wo die Regierung steuernd eingreifen muss und wo wir als Parlament auch Informationen bekommen - -

Präsidentin Doris Bures: Sie müssen nun den Schlusssatz formulieren, Herr Abge­ord­neter.

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (fortsetzend): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Deswegen ist mein Schlusssatz: Ich appelliere: Hören Sie auf mit der Show, hören Sie auf mit der Parteipolitik, hören Sie auf, Journalistinnen und Journalisten unter Druck zu setzen (Ruf bei der ÖVP: Ha, ha, ha! – Abg. Steinacker: Hat der keine Redezeit?!), damit sie nur das Passende schreiben, hören Sie auf, Wissenschaftlerinnen und Wis­senschaftler unter Druck zu setzen, damit sie lieber Interviews im Fernsehen geben, und geben Sie der Wissenschaft das freie Wort, denn davon leben wir. Es lebe ein freies Österreich! (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

14.04

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Förderung der mittel- bis langfristigen Erforschung der psychosozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie

eingebracht im Zuge der Debatte in der 76. Sitzung des Nationalrats über die Dringliche Anfrage „Impfen schützt Gesundheit, Arbeitsplätze und Wirtschaft. Beenden Sie Impf-Chaos und Schneckentempo, Herr Gesundheitsminister!“

Die COVID-19-Pandemie und ihre massiven Auswirkungen auf unseren Alltag führen uns die Relevanz von Forschung und Wissenschaft für unsere Gesellschaft eindrücklich vor Augen. Wir erleben derzeit, wie sich ein neuartiges pathogenes Virus in rasantem Tempo international verbreitet, gegen das es zum derzeitigen Stand keine wirksamen medikamentösen Therapien und noch nicht ausreichend Impfstoff gibt. Um noch drama­tischere negative Effekte auf die Gesundheit der Bürger_innen zu verhindern, setzen eine Vielzahl an Staaten bereits seit Monaten drastische Maßnahmen, um das Infek­tions­geschehen möglichst rasch und nachhaltig einzudämmen - mit einer Wirtschafts­krise, deren tatsächliches Ausmaß sich noch nicht in vollem Umfang abschätzen lässt, als Folge.

Mit Stand Dezember 2020 waren in Österreich rund 521.000 Personen als arbeitslos oder in Schulung registriert, das ergibt einen Anstieg um 113.000 Personen bzw. 27,7 Pro­zent im Vergleich zum Dezember 2019. Österreichische Schulen und Hoch­schulen wurden geschlossen, der Unterricht mittels e-Learning in oft verminderter Qualität fortgeführt, Ausgangssperren wurden verhängt und persönliche Kontakte auf ein Mindestmaß reduziert. Diese plötzlichen und teils drastischen Veränderungen der Lebensumstände, die so gut wie jede in Österreich lebende Person betreffen, haben selbstverständlich Folgen für psychische und physische Gesundheit, Ausbildung, Lebensqualität und soziales Gefüge. Hinzu kommt noch die besonders große psychi­sche Belastung für Personen, die zu einer Risikogruppe zählen.

Insbesondere in Krisenzeiten muss evidenzbasiert gehandelt werden. Ausreichende Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) sind daher für uns alle essenziell. Der (finanzielle) Fokus auf die biomedizinische Forschung, der wir mittlerweile zwei COVID-19-Impfstoffe mit einer Notfallzulassung in der EU verdanken, ist selbstverständlich nachvollziehbar und auch wünschenswert. Die Politik muss jedoch dafür Sorge tragen, dass für die Erforschung der psychosozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft ebenfalls ausreichende Mittel zur Verfügung stehen.

Die Arbeitsgruppe Gesellschaft/Psychosoziales der COVID-19 Future Operations Platt­form ermittelte in einem Strategiepapier jene Themenfelder, in denen künftig weitere evidenzbasierte Aktivitäten gesetzt werden sollten. Insbesondere die Themenbereiche Arbeitswelt, Bildung sowie Lebensqualität und vulnerable Gruppen wurden als beson­ders interessant identifiziert. Eine Entwicklung einer umfassenden Panelstudie mit diesen Schwerpunktsetzungen und mittel- bzw. langfristigem Zeithorizont wäre wün­schenswert, denn Panelstudien dieser Art fehlten in Österreich weitgehend. Um solche Third Mission orientierten Studien mit langfristigem Zeithorizont zu ermöglichen, bedürfe es laut den Autor_innen allerdings einiger Anpassungen im Forschungsförderungs­system.

Bisherige Bestrebungen der Opposition, ausreichende Mittel auch für die Erforschung der gesellschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zur Verfügung zu stellen, wurden von der Bundesregierung ausnahmslos vertagt. Es bleibt zu hoffen, dass der Stellenwert von Forschung inmitten einer Pandemie und Wirtschaftskrise mit dem neuen Bundesminister für Arbeit und renommierten Verhaltensökonomen, Dr. Martin Kocher, eine Steigerung erfahren wird.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, sowie die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Innovation und Technologie, wer­den aufgefordert, mit den Forschungsförderungseinrichtungen in einen Dialog zu treten und eine ausreichende Finanzierung für die mittel- bis langfristige Erforschung der psychosozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gesellschaft zur Verfü­gung zu stellen. Förderprogramme sollen insbesondere für jene mittel- bis langfristigen Studien geschaffen werden, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf Arbeits­welt, Bildung und Lebensqualität beschäftigen.“

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