10.23

Abgeordneter Ing. Reinhold Einwallner (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich darf nach der Aktuellen Stunde, die sich mit dem Thema der Gesundheitskrise befasst hat, in die Aktuelle Europastunde überleiten. Mir geht es so wie vielen von Ihnen: dass das Thema der Gesundheitskrise natürlich viel Raum einnimmt und man manchmal das Gefühl be­kommt, dass es keine weiteren wichtigen und relevanten politischen Themen gibt. Das Gegenteil aber ist der Fall: Es gibt eine Reihe von politischen Handlungsfeldern, die dringend und notwendigerweise behandelt werden müssen.

Die Sicherheitspolitik ist eines dieser Themen. Da sehen wir auf der einen Seite großen Handlungsbedarf und auf der anderen Seite große Defizite dieser Bundesregierung. Meine Damen und Herren, aus diesem Grund widmen wir diese Aktuelle Europastunde dem Thema Sicherheit und im Speziellen einem Themenbereich, der uns seit geraumer Zeit beschäftigt, nämlich dass das österreichische BVT, der Nachrichtendienst, von den europäischen Nachrichtendiensten nicht mehr in ausreichender Form mit Informationen versorgt wird. Die Verantwortung dafür, meine Damen und Herren, liegt ganz klar beim Innenministerium und bei der ÖVP, die dieses Ministerium seit 20 Jahren innehat.

Europa ist leider seit vielen Jahren Zielscheibe von terroristischen Anschlägen gewor­den. Wir alle kennen die schrecklichen Bilder aus Paris, aus Brüssel, aus Madrid, aus Berlin, und natürlich haben wir alle auch noch den Anschlag von Wien ganz präsent. Terroristische Netzwerke verändern sich und die damit verbundenen Herausforderungen an uns steigen – der islamistische Terrorismus, der Extremismus hat internationale Strukturen, und es gibt zwar keine zentrale Führungsfigur mehr, aber eine brutale Ideolo­gie, die diese Menschen verbindet.

Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass es sich in Wien um einen Einzeltäter gehandelt hat, muss man eines sagen: Er hat zwar alleine getötet, aber im Hintergrund steht eine Masse von ideologischen und geistigen Brandstiftern, und denen müssen wir Einhalt gebieten. (Beifall bei der SPÖ.)

Dieser Hintergrund zeigt aber auch ganz deutlich, wie wichtig und wie entscheidend es ist, dass wir einen funktionierenden Verfassungsschutz und einen funktionierenden Nachrichtendienst haben, der vollumfänglich in die Netzwerke der europäischen Partner­dienste eingebunden ist. Fakt ist allerdings, dass Österreich mit dem BVT nach wie vor nicht vollumfänglich eingebunden ist, und dabei ist die unsägliche Hausdurchsuchung, die vor inzwischen drei Jahren stattgefunden hat, nur eine kleine Episode. Fakt ist, dass ÖVP-Innenminister das BVT und das Innenministerium seit 20 Jahren als politischen Spielball verwenden.

Fakt ist, Herr Innenminister, dass Sie es sich als eines der vorrangigen Ziele gesetzt haben, den Verfassungsschutz zu reformieren. Was haben Sie bisher umgesetzt? – Kei­ne einzige Gesetzestextzeile liegt diesem Parlament vor. Diese Reform stockt also, und es passiert noch gar nichts. Ein Jahr ist vergangen, und wir sind keinen Schritt weiter, meine Damen und Herren – und das auf Kosten der Sicherheit.

Wie es tatsächlich im BVT ausschaut, belegt auch das Ergebnis der Untersuchungs­kommission – einer Untersuchungskommission, die wir uns zwar anders vorgestellt ha­ben, denn wir hätten lieber eine starke parlamentarische Untersuchungskommission ge­sehen, aber selbst die von Ihnen selbst zusammengestellte Untersuchungskommission stellt Ihnen im ersten Zwischenbericht ein vernichtendes Zeugnis aus. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Sämtliche Verfehlungen im Umgang mit dem Attentäter von Wien, die im Vorfeld passiert sind, liegen in Ihrer Zuständigkeit, Herr Innenminister Nehammer. Es liegt eine ganze Mängelliste vor, die wir jetzt schwarz auf weiß haben, und das beginnt damit, dass man die Risikoabschätzung nicht im Oktober 2019 gemacht hat, sondern erst im Okto­ber 2020 – dass das ein Jahr lang liegen geblieben ist. Das setzt sich fort: dass man alle Hinweise, die man in Bezug auf den Munitionskauf in der Slowakei bekommen hat, lie­gen gelassen und nicht verwertet hat.

Die Erkenntnisse aus dem Anschlag von Wien sind die folgenden – und das belegt der Bericht dieser Untersuchungskommission –: Es ist offenbar ein Ressourcenproblem. Es ist ein Ressourcenproblem, dass alles so lange liegen bleibt und nichts passiert. Es wur­de auch nicht entsprechend an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Ich wiederhole: Ein Hauptziel des Innenministers ist, dass wir den Verfassungsschutz reformieren und Terror bekämpfen müssen. Jetzt könnte man glauben, dass ein Innen­minister, der sich das ganz oben auf die Agenda setzt, über diese Themen topinformiert ist, aber der Bericht der Untersuchungskommission belegt eines: Auf die Frage, wie der Informationsstand des Innenministers und des Generaldirektors für öffentliche Sicherheit ist, kommt die Untersuchungskommission zur Erkenntnis, dass sie alle nur rudimentär informiert wurden, also einen schlechten Informationsstand haben. Über ein zentrales Thema, das Ihnen offenbar so wichtig ist, Herr Innenminister, lassen Sie sich nicht or­dentlich informieren, sondern nur rudimentär. (Beifall bei der SPÖ.) Und dann glänzen Sie in Ihrer Paradedisziplin: möglichst viel Inszenierung, großspurige Ankündigungen, wenn möglich in martialische Sprache – ich erinnere an die Flex, mit der Sie den Coro­navirus bekämpfen wollten –, und dann ganz, ganz viel Ablenkung – ganz viel Ablen­kung!

Eine dieser Ablenkungsstrategien war: Wir brauchen jetzt ein Terrorismuspaket! Aber was sind denn da jetzt die Fakten, Herr Minister? – Die Fakten betreffend das Terroris­muspaket sind auch eindeutig: Auch da kommen die Expertinnen und Experten zur Er­kenntnis, es gibt keinen Handlungsbedarf im Terrorismusstrafrecht, nein gar nicht! Es gibt Handlungsbedarf innerhalb der Behörde, weil es fehlende Ressourcen gibt – und das ist Ihre Verantwortung, Herr Bundesminister! Die Rechtslage ständig zu verschärfen und auf der anderen Seite die Ressourcen nicht zur Verfügung zu stellen – weder perso­nell noch finanziell noch organisatorisch –, das ist Ihre Verantwortung, das ist die Verant­wortung der ÖVP. (Beifall bei der SPÖ.)

Da trifft die alte ÖVP die Verantwortung, aber es trifft immer die ÖVP, weil Sie dort seit 20 Jahren Ihr Unwesen treiben.

Was sind nun aber die weiteren Schritte, die es braucht? – Wir brauchen jetzt dringend die nächsten Reformschritte, und zwar schnell. Ich glaube, das ist das Wichtige, das wir jetzt tun müssen: die BVT-Reform, den Verfassungsschutz rasch reformieren, und da wird es mehr brauchen als ein neues Organigramm, da wird es mehr brauchen, als ein paar Stellen zu verändern. Begleitet muss das von einer parlamentarischen Kontrolle auf internationalem Niveau werden, wie wir sie einfordern. Übrigens ist der einzige konkrete Vorschlag, der hier im Haus liegt, wenn es darum geht, wie man die parlamentarische Kontrolle des BVT verbessert, ein Vorschlag der Oppositionsparteien. (Beifall bei der SPÖ.)

Darüber hinaus schlagen wir vor, dass es ein gesamtstaatliches Terrorabwehrzentrum gibt. Ein Terrorabwehrzentrum hätte folgenden Sinn: keine zusätzliche Behörde, kein Aufblähen, aber eine Stelle, an der alle Informationen zusammenfließen – die Informatio­nen des Verfassungsschutzes, die Informationen des militärischen Nachrichtendienstes an einer Stelle gebündelt –, damit es möglich ist, Terrorismusabwehr effizient und gut zu vollziehen. Das wären die wichtigen Punkte.

Meine Damen und Herren! Mit den von mir skizzierten Schritten, also BVT reformieren, Terrorabwehrzentrum, Strukturen für eine starke parlamentarische Kontrolle schaffen, ist es möglich, diesen Vertrauensverlust, dieses verlorene Vertrauen, das wir vor allem auf europäischer Ebene bei den internationalen Partnerdiensten verloren haben, zu be­kämpfen und dieses Vertrauen wieder herzustellen. Das wäre dringend notwendig, Herr Minister – dringend notwendig im Sinne der Sicherheit der Österreicherinnen und Öster­reicher. Eigentlich wäre das ganz simpel zu bewerkstelligen, Herr Minister: Hören Sie einfach auf, das Innenministerium als politischen Spielball zu sehen und machen Sie schlicht und einfach einmal Ihren Job! (Beifall bei der SPÖ.)

Das haben sich die vielen Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich für Sicherheit sor­gen, verdient, das hat sich die österreichische Bevölkerung verdient und das sind Sie der österreichischen Bevölkerung auch schuldig. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

10.33

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesmi­nister für Inneres. – Bitte.