17.36

Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute ein hochaktuelles sicher­heitspolitisches Thema. Es geht um die Beantwortung meiner Anfrage zu den Aktivitäten von Staatsverweigerern in Österreich. Diese ist beispielhaft für viele Anfragebeantwor­tungen, die wir von Ihnen bekommen, Herr Minister, und die leider in unzureichender Weise erfolgt sind. Wir verlangen Antworten und wir wollen, dass Sie, Herr Minister, die Bevölkerung über das Gefahrenpotenzial, das von dieser Szene ausgeht, konkret und detailliert informieren.

Seit Jahren beobachten wir in Österreich eine beunruhigende Entwicklung, den stetigen Aufbau einer Szene, die viele Namen kennt: Staatsverweigerer, Freemen, Reichsbürger, Staatsverwalter. Diesem antidemokratischen Milieu kann man laut Ihrer Anfragebeant­wortung rund 3 700 Personen in Österreich zurechnen.

In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge rund 19 000 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter, und wir wissen, dass der Grad der Bewaffnung in dieser Szene stetig steigt. Allein bei einer Razzia in Baden-Württemberg und in Hessen im vergangenen Jahr wurde ein riesiges Waffenarsenal ausgehoben. Das deutet schon auf das Gefah­renpotenzial hin, das von dieser Szene ausgeht. Deshalb ist es auch dringend notwen­dig, konkret und transparent sichtbar zu machen, als wie gefährlich die Staatsverweige­rerszene in Österreich eingeschätzt wird, Herr Minister.

Während der Deutsche Bundestag und die Bevölkerung in Deutschland von ihrem In­nenminister konkrete Antworten auf Anfragen bekommen, lassen Sie uns diesbezüglich im Dunkeln sitzen und antworten nur unzureichend. Beispielsweise blieben folgende konkrete Fragen in Ihrer Beantwortung unzureichend beantwortet: Wir wollten wissen, gegen wie viele Personen aus der Szene ein aufrechtes Waffenverbot besteht und wie viele im Besitz einer Waffenbesitzkarte sind. Sie verweisen in der Antwort darauf, dass es entsprechende „Statistiken hinsichtlich ,Waffenbesitzkarte‘ und ,Ermittlungen wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz‘ bzw. ,der Gründe von Amts­hilfeersuchen der Finanzpolizei, nicht“ gibt.

Derart ausweichende, ja nichtssagende Antworten hinsichtlich Waffenbesitz im extre­mistischen Milieu sind leider kein Einzelfall, sondern in Ihrem Ministerium Usus.

Ganz offen: Es geht dabei konkret um ein brisantes sicherheitspolitisches Thema. Es geht um die Sicherheit der Bevölkerung in Österreich! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Krisper.)

Ich halte es aus demokratiepolitischer Perspektive für zentral, dass die Öffentlichkeit über diese gefährlichen Entwicklungen, über das Gefahrenpotenzial extremistischer Be­wegungen – ganz egal, welcher – transparent von Ihnen aufgeklärt und informiert wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Seit Kurzem wissen wir, dass im Jahr 2020 in Österreich so viele Waffen gekauft wurden wie noch nie zuvor. Laut Zentralem Waffenregister befinden sich rund 1,15 Millionen Waffen in privatem Besitz. Da ist es natürlich von großer Relevanz, zu wissen: In welche Hände geraten diese Waffen? Seit Kurzem wissen wir, dass gegen den Attentäter von Wien kein aktives Waffenverbot bestanden hat.

Die Waffenaffinität staatsfeindlicher Gruppierungen ist uns aber allen bekannt, und aus Ihrer Antwort schließen wir, dass es keinen geeigneten Abgleich zwischen Waffenbesit­zern und Mitgliedern staatsfeindlicher und extremistischer Organisationen gibt. Da sind Sie im Verzug, Herr Minister, da gibt es ganz, ganz dringenden Handlungsbedarf! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Krisper.)

Wir erleben gerade – das wurde heute schon mehrmals angesprochen –, wie Verschwö­rungstheoretiker, wie Staatsverweigerer, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, die Coronaproteste zu missbrauchen, zu vereinnahmen und für sich zu nutzen. Wir er­leben, wie antisemitische und den Holocaust relativierende Verschwörungstheorien un­begrenzt verbreitet werden. Dass wir es da nicht mit einer harmlosen Entwicklung zu tun haben, darauf hat die Leiterin der Extremismusabteilung des BVT vergangene Woche in einem Interview im „Kurier“ hingewiesen. Sie sieht sogar ein – davon spricht sie wörtlich, ich zitiere – „staatsgefährdendes Potenzial“. Selbst Terroranschläge will die Extremis­musexpertin hier nicht ausschließen. Sorge bereite ihr auch, dass rechtsextreme Kader die Proteste unterwandern.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, das wurde für uns alle am Samstag konkret sichtbar. Wenn mehrfach verurteilte Holocaustleugner, Neonazis wie Gottfried Küssel mitmarschieren, wenn der Sprecher der österreichischen Identitären und weitere ein­schlägig bekannte Rechtsextreme, Neonazis und Staatsverweigerer bei diesen Demos mitmarschieren, dann wird das für uns alle sichtbar.

Seit 2015 verzeichnen wir in Österreich ein Hoch an rechtsextremen, antisemitischen und rassistischen Straftaten. Aus dem erst kürzlich veröffentlichten Verfassungsschutz­bericht wissen wir, dass sich alte Strukturen und Netzwerke rund um langjährige Füh­rungskader des klassischen Neonazismus in Österreich neu organisieren.

Die sogenannte Neue Rechte, die Identitären sind alles andere als die friedfertigen Aktivisten, als die sie sich selbst gerne darstellen. Viele von den Neuen Rechten sind bewaffnet oder wegen diverser Delikte verurteilt, darunter schwere Körperverletzung, Ver­gewaltigung, Erpressung, Raub und Wiederbetätigung.

Gleichzeitig erinnere ich an die vielen Hausdurchsuchungen mit Waffenfunden, mit bis zu über einer Million Schuss in Oberösterreich im Frühjahr des letzten Jahres. Ich erin­nere an die Razzien in der rechtsextremen Szene in den vergangenen Monaten – Herr Minister, Sie haben es selbst heute angesprochen! Ich erinnere an Sprengstofffunde. Erst am Montag hat die Polizei in Niederösterreich ein Waffenlager samt NS-Devotiona­lien ausgehoben.

Sie, Herr Minister, haben das Gefahrenpotenzial dieser rechtsextremen Szene bereits angesprochen. Das zeigt den dringenden Handlungsbedarf, der sich für uns hier im Par­lament ergibt, damit aktiv gegen Extremismus vorgegangen werden kann. (Beifall bei der SPÖ.)

Dafür ist es aber entscheidend, dass Sie uns Fakten liefern. Wir brauchen konkrete Ant­worten. Wir brauchen Antworten auf unsere Fragen, sie sind Basis für unsere Arbeit! Sie müssen Basis dafür sein, dass wir daraus Maßnahmen entwickeln können, um gemein­sam gegen Extremismus vorzugehen und aktiv zu werden.

Herr Minister, ich fordere Sie hier auf, bitte detaillierte Antworten zu liefern und jetzt nicht auf den geheimen Unterausschuss des Innenausschusses zu verweisen. Die Bevölke­rung hat ein Recht, aufgeklärt zu werden, wie es um die Sicherheit in unserem Land steht. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Heute in einer Woche ist internationaler Holocaust-Gedenktag. Es ist mir deshalb ein Anliegen, auf eines konkret hinzuweisen: Man kann die Coronamaßnahmen der Bundesregierung durchwegs kritisch sehen und soll und muss das auch kundtun können, aber wer sich vor dem Hitler-Geburtshaus in Braunau in Pose wirft, wer sogenannte Judensterne trägt, wer Schriftzüge aus Konzentrationsla­gern nutzt und Zitate von Opfern und Widerstandskämpfern missbraucht, der relativiert und verharmlost die Verbrechen des Nationalsozialismus und den Mord an Millionen von Menschen! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Das ist geschichtsvergessen, das ist einfach widerlich und das ist untragbar in einer De­mokratie! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich fordere Sie noch einmal auf, hier konkrete Ant­worten zu liefern, und schließe mit den Worten der Extremismusexpertin des BVT: Was wir gerade sehen, ist – Zitat – „ein Gemisch aus allem, das sich jederzeit entladen kann“. Ich warne davor, das auch nur irgendwie zu unterschätzen. – Vielen herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ und Beifall bei Abgeordneten der NEOS.)

17.45

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Karl Nehammer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.