20.29

Abgeordnete Dr. Stephanie Krisper (NEOS): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Wie sehr eine Regierung die Grundprinzipien des demokratischen Verfassungsstaates respektiert und schützt, zeigt sich insbesondere darin, wie sie mit den Randgruppen umgeht: mit Häftlingen, mit psychisch Kranken im Maßnahmenvollzug oder mit Asylwerberinnen und Asylwerbern. Heute spreche ich zu Letzteren, weil dort auch vieles im Argen liegt.

Der Rechnungshof kritisierte zum Beispiel wieder klar, dass die Qualität in der ersten Instanz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu 45 Prozent nicht gewährleistet ist, weil da in zweiter Instanz die Bescheide korrigiert werden. Das sind Missstände, die sich kein in Österreich dauerhaft lebender Mensch gefallen lassen würde. Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Baugenehmigung beantragen und wüssten mit 45 Prozent Wahrscheinlichkeit nicht, ob die Genehmigung dann in zweiter Instanz hält oder nicht. (Abg. Haubner: ... Bürgermeister!) Diese Unsicherheit würde sich niemand gefallen lassen, umso dramatischer ist sie in diesen Fällen, in denen es potenziell um Leib und Leben geht.

Wem die Rechte von Asylwerberinnen und Asylwerbern egal sind, den möge vielleicht etwas anderes irritieren, nämlich dass aufgrund dieser hohen Fehlerquote viele Betrof­fene viele Jahre bei der zweiten Instanz hängen bleiben, weil dort nicht genug Personal­ressourcen gegeben sind, um die Fälle schnell zu bearbeiten. Zahlreiche Betroffene wer­den demnach lange zum Nichtstun gezwungen – eine budgetäre Bürde, weil sie nicht arbeiten dürfen, aber auch für die Betroffenen zu Unrecht ein hartes Schicksal.

Das Verstörendste ist aber nun Folgendes: Der ÖVP sind die Menschenrechte von Asyl­werbern und Asylwerberinnen sogar völlig egal, wenn es um das Grundlegendste geht, nämlich um das Recht, nicht unmenschlich behandelt zu werden. Ja, nun bin ich bei Moria, Kara Tepe, bei Lesbos, bei Samos, bei Chios, bei der Tatsache, dass Tausende Menschen, Familien und viele Kinder gerade in den absehbar winterlichen und eises­kalten Situationen in Zelten in Lebensgefahr dahinvegetieren, und das auf dem Boden der Europäischen Union.

Weil Personen aus der ÖVP so gerne sagen, da werde mit Gefühlen gespielt: Ich denke, Mitgefühl ist keine Schwäche. Keine Schwäche ist ein Gefühl, das sich aus dem wich­tigsten Grundwert unserer Verfassung und der Europäischen Union nährt, nämlich der Menschenwürde, dem Grundgedanken, dass jeder Mensch frei und gleich an Würde und Rechten geboren ist; Rechten, die einem niemand wegnehmen darf, besonders nicht das Recht, in körperlicher und geistiger Unversehrtheit zu leben. – Da vermisse ich die Emotion der ÖVP, der christlich-sozialen ÖVP,s gegen unmenschliche Behandlung und für die Menschenwürde. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Leichtfried.)

Emotion hat die ÖVP woanders: Der Bundeskanzler wird „wütend und zornig“ bei Impf­verstößen, auch bei anderer Gelegenheit „reißt“ ihm „der Geduldsfaden“. Wo aber ist bei diesem Thema die Emotion? – Da gibt es von Kanzler und ÖVP-Ministern Schuldzuwei­sungen, Pseudohilfe vom Innenminister, vom Außenminister PR-Spielchen mit renom­mierten Organisationen wie SOS-Kinderdorf, aber in Wahrheit ist es überfällig, dass da jeder hilft, wo er kann, um nur eine Person aus dieser Eishölle zu retten (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ), um zu zeigen, wofür man steht, um ein paar Leben zu retten, um die Würde auch der Europäischen Union zu retten, um zu zeigen, dass wir in Österreich nicht so sind. Viele wollen helfen, und das sollten Sie von der vermeintlich christlich-sozialen ÖVP zulassen.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Evakuie­rung von besonders notleidenden Kindern und Familien aus den griechischen Insella­gern“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, Ländern, Städten, Gemeinden, kirchlichen Insti­tutionen, Organisationen, wie SOS-Kinderdorf, und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, besonders notleidende Kinder und Familien aus den mittlerweile lebensbedrohenden Zuständen in den Lagern auf den griechischen Inseln zu retten.“

*****

(Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

20.33

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Evakuierung von besonders notleidenden Kindern und Familien aus den griechischen Insellagern

eingebracht im Zuge der Debatte in der 79. Sitzung des Nationalrats über Bericht des Rechnungshofausschusses über den Bericht des Rechnungshofes betreffend Bundes­amt für Fremdenwesen und Asyl – Reihe BUND 2019/46 (III-70/610 d.B.) – TOP 8

Die Umstände in den griechischen Insellagern sind seit Jahren menschenunwürdig und nun aufgrund der Entwicklungen der letzten Monate und des absehbaren Einzugs des Winters zunehmend lebensgefährlich. Aktuell leben insbesondere die Menschen (Asyl­werber_innen sowie Asylberechtigte), die nach dem Brand des Lagers Moria auf Lesbos umgesiedelt werden mussten, in einem neuen Zeltlager namens Kara Tepe. Dort sind Zeug_innenberichten zufolge die Bedingungen zum Teil noch schlimmer als in Moria: Das Lager Kara Tepe ist nahe am Meer gebaut und daher den Winterstürmen ausge­setzt, die Zelte sind unbeheizt, Hautkrankheiten, wie Krätze, breiten sich aus, Kinder werden in der Nacht von Ratten gebissen. Da das Lager auf einem ehemaligen Truppen­übungsplatz errichtet wurde, legen Überschwemmungen regelmäßig zurückgebliebene Munition und Sprengsätze frei. Stress und Druck reichen so weit, dass Helfer_innen mit siebenjährigen Kindern über Selbstmordgedanken sprechen müssen. In diesem Jahr wurden alleine auf Lesbos 49 Kinder von Ärzte ohne Grenzen wegen Selbstmordgedan­ken oder nach Selbstmordversuchen behandelt (https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/griechische-inseln-immer-mehr-kinder-mit-selbstmordgedanken).

Zahlreiche Vertreter_innen der österreichischen Lokalpolitik, engagierte Einzelperso­nen, NGOs und Kirchengemeinschaften wollen helfen und haben sich bereit erklärt, besonders Schutzbedürftige aus den griechischen Insellagern unterzubringen und zu versorgen. Auf Bundesebene verweigert die ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz aller­dings weiterhin, auch nur ein einziges Kind aus den lebensbedrohlichen Zuständen zu retten.

Die Stimmen, die sich für eine Aufnahme von Kindern und anderen vulnerabelsten Men­schen aus den griechischen Insellagern einsetzen, wurden insbesondere in den Tagen um Weihnachten immer lauter - auch in den Reihen der ÖVP in den Bundesländern. Um die wachsende Kritik zu kalmieren, wurde laut Medienberichten Außenminister Schallen­berg beauftragt zu erklären, dass die Bundesregierung plant, im Lager Kara Tepe eine Kindertagesbetreuung einzurichten (https://www.derstandard.at/story/2000122653561/aufstand-in-der-oevp-landesraetin-und-buergermeister-fuer-aufnahme-von). Dazu wur­de fälschlich kommuniziert, dass SOS-Kinderdorf als Erfüllungsgehilfe im Auftrag der Bundesregierung ein Projekt der Bundesregierung realisieren würde. Wahr ist vielmehr, dass SOS-Kinderdorf bereits seit dem Jahr 2015 Nothilfe für Kinder und Familien im Lager „Kara Tepe 1“ leistet. Die Bundesregierung hat daher lediglich auf eine vier Mona­te alte Anfrage nach Unterstützung bei Verhandlungen mit lokalen Behörden über den Zugang zum Flüchtlingslager „Kara Tepe 2“ reagiert, die mittlerweile abgeschlossen wer­den konnten.

Die österreichische Bundesregierung missbrauchte daher durch ihre PR-Aktion in zyni­scher Weise die Nothilfe einer Hilfsorganisation, um in Österreich die eigenen politischen Vorstellungen einer sogenannten „Hilfe vor Ort“ zu propagieren. Das Projekt ist – abge­sehen von seiner Untauglichkeit - meilenweit von der Umsetzung entfernt (https://orf.at//stories/3197800). Nun hat SOS-Kinderdorf angeboten, bis zu 100 Flüchtlingskinder aus dem Ausweichlager auf Lesbos in ihren Dörfern in Österreich aufzunehmen.

Die unmenschlichen Lebensbedingungen in Kara Tepe haben sich in den letzten Wo­chen durch Regen, Schnee und Kälte noch weiter verschärft. Nach jedem starken Re­genfall versinkt das das Lager im Schlamm. Die knapp 8.000 Bewohner_innen, darunter tausende Kinder, müssen in überschwemmten Sommerzelten bei Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt ausharren. Immer mehr von ihnen sind Asylberechtigte und sollten daher nicht mehr in den Lagern ausharren müssen. Auch in den Lagern auf Samos u.a. herrschen lebensgefährliche Zustände. Es gilt, die betroffenen Menschen dringend aus dieser Notlage zu retten und in Sicherheit zu bringen. Österreich ist in der Lage und damit in der Verantwortung zur Beendigung dieser humanitären Katastrophe auf EU-Boden durch Teilnahme an der Evakuierung einen Beitrag zu leisten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, Ländern, Städten, Gemeinden, kirchlichen Insti­tutionen, Organisationen, wie SOS-Kinderdorf, und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, besonders notleidende Kinder und Familien aus den mittlerweile lebensbedrohenden Zuständen in den Lagern auf den griechischen Inseln zu retten."

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Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungsgemäß eingebracht und er steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Hermann Gahr. – Bitte, Herr Abgeordneter.