15.10

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Was wir hier erleben, hat ein bisschen etwas von einer Therapiesitzung, in der versucht wird, den Bruderzwist zwischen ÖVP und FPÖ aufzuarbeiten. Sie haben da offensichtlich vonseiten der ÖVP noch sehr viel aufzuarbeiten, ich darf Sie aber, immer wenn Sie über Herbert Kickl reden, daran erinnern: Die ÖVP war die Partei, die Herbert Kickl das Innenministerium gegeben hat. Das muss man schon auch dazusagen. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

Sie können diese Therapiesitzung gerne machen, mich stört das nicht, wenn Ihnen das Spaß macht, können Sie das tun. Herr Bundesminister, man hört dann aber auch heraus, dass Sie in der Situation das verfassungsrechtliche Problem nicht ganz verstanden haben. Ich will mich persönlich nicht darin einmischen, wie die Behörden entschieden haben. Ich glaube, dass die österreichischen Behörden grundsätzlich sehr wohl beson­nen und ausgewogen versuchen, Entscheidungen zu fällen. Herr Bundesminister, wenn Sie dann aber mehrmals während Ihrer Erklärung sagen, na ja, mit ein Grund – so ungefähr haben Sie es gesagt –, dass man das untersagen musste, war, dass da ja Verschwörungstheoretiker und Leute dabei waren, die das Coronavirus leugnen, dann haben Sie grundsätzlich nicht verstanden, dass Sie Versammlungen nicht deswegen verbieten können, weil dort Menschen sind, die eine andere Meinung haben als Sie. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

Ich verstehe aber, dass das ein vorherrschender Tenor in der ÖVP ist. Hinter mir sitzt Herr Präsident Sobotka, das ist der Nationalratspräsident, der heute in einem Video auf der Parlamentshomepage gesagt hat, dass diese Menschen ihre Grundrechte bitte nicht missbrauchen sollen. Es ist auch derselbe Nationalratspräsident, der als Innenminister damals noch den Vorschlag gemacht hat, man möge doch Spaßdemonstrationen in Zukunft verbieten. Das sind offensichtlich Demonstrationen, die die ÖVP nicht will, auf denen andere Meinungen kundgetan werden. Es ist also schon ein sehr vorherrschen­des Credo in der ÖVP, das so zu machen. Ich sage Ihnen dazu etwas: Es ist aber nicht die ÖVP, die entscheidet, ob Menschen demonstrieren dürfen, es ist unsere Bundesver­fassung, die das vorsieht. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

Diese Coronapandemie – das wissen wir alle – ist ja insgesamt eine demokratische Zu­mutung, und genau diese demokratische Zumutung führt natürlich auch dazu, dass wir ein großes Bedürfnis nach einer öffentlichen Debatte haben. In einer pluralistischen Gesellschaft muss jeder das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, und es muss auch jeder die Möglichkeit haben, demonstrieren zu gehen. Diese Rechte, die Meinungsäußerungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, sind grundlegende Säulen unserer Demokratie und unseres liberalen Rechtsstaates. Genau in einer solchen Krise ist die öffentliche Debatte so wichtig und so essenziell, und es ist auch eine Stärke unse­rer Demokratie, dass diese Debatte möglich ist.

Was Sie offensichtlich auch oft nicht verstehen, ist, dass es so essenziell ist, dass man die Versammlungsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit hochhält, denn in einer Zeit, in der so viele Grundrechte eingeschränkt werden, ist die einzige Möglichkeit, über­haupt darauf aufmerksam zu machen, dass diese Grundrechte von der Bundesregierung eingeschränkt werden, dass man seine Meinung frei äußert, dass man sich trifft, dass man demonstriert. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

Genau deswegen sind diese Grundrechte auch so etwas Ähnliches wie die Mutter der Grundrechte, denn wenn alle anderen Grundrechte eingeschränkt werden, hat man nur noch eine Chance, das aufzuzeigen, nämlich indem man seine Meinung entsprechend frei äußert. Ich höre auch immer wieder den Umkehrschluss – nicht nur von der ÖVP, sondern auch sonst aus unterschiedlichen Kreisen –: Na ja, gerade in Zeiten, in denen wir so viele Grundrechtseinschränkungen akzeptieren müssen, wird man ja wohl auch einmal akzeptieren können, dass eine Demonstration verboten ist. – Genau dieser Um­kehrschluss ist grundfalsch, denn genau deswegen darf man genau bei diesen sensiblen Grundrechten nicht auch noch zusätzlich Einschränkungen machen, da sonst überhaupt nicht mehr die Möglichkeit besteht, dass man sich entsprechend dagegen wehrt!

Es ist gerade für uns als liberale Demokratie so essenziell, dass wir in dieser Pandemie diese Diskussionskultur aufrechterhalten, weil nur dann die Möglichkeit besteht, dass Bürgerinnen und Bürger, auch wenn ich in vielen Bereichen nicht deren Meinung bin, weiterhin die Möglichkeit haben, sich entsprechend zu äußern und über Missstände zu diskutieren, über Maßnahmen zu diskutieren, die die Bundesregierung setzt. Genau das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen einer liberalen Demokratie und einem autoritären Regime, das so etwas von Anfang an überhaupt nicht zulässt. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wir sehen im Übrigen auch daran, wie essenziell das ist: Erinnern Sie sich daran, dass es beispielsweise autoritäre Regime wie China sehr schnell geschafft haben, die Pan­demie in einem gewissen Bereich einzugrenzen. Man könnte ja sagen: Na ja, das geht mit autoritären Maßnahmen besser. Es ist aber auch so essenziell, dass man seine Meinung frei äußern kann, weil genau die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Ärztinnen und Ärzte, die zuerst darauf aufmerksam gemacht haben, dass es dieses Virus überhaupt gibt, die sind, die mit massiven Repressionen unter Angst um ihr Leben von autoritären Regimen unterdrückt werden. Genau deswegen ist unsere liberale Heran­gehensweise, unsere liberale Gesellschaft das wesentliche Differenzierungsmerkmal zu autoritären Tendenzen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Das heißt ja nicht, dass man nicht entsprechende Maßnahmen setzen kann. Das heißt ja nicht, dass man im Rahmen einer Demonstration nicht Auflagen machen kann, was die Behörden selbstverständlich machen dürfen. Es heißt ja auch nicht, dass diese Auflagen nicht entsprechend kontrolliert werden sollen, das ist ja die wesentliche Auf­gabe der Polizei in dem Zusammenhang.

Was nicht geht, ist, dass man Demonstrationen deswegen verbietet, weil man glaubt, das sind Menschen, die vielleicht eine andere Meinung haben, die vielleicht ganz obskure Dinge von sich geben, die ich bei Gott nicht teile und die ich auch nicht glaube, man kann aber nicht aufgrund der Tatsache, dass man der Meinung ist, da kommt jemand, der vielleicht etwas anderes sagt, als man glaubt, diese Demonstrationen entsprechend verbieten.

Ich gebe Ihnen zum Schluss noch ein Zitat mit, das hier im Hohen Haus fälschlicherweise immer Voltaire zugeschrieben wird. Es war in Wirklichkeit nicht Voltaire, sondern seine Biografin Evelyn Beatrice Hall, die das gesagt hat, um sein Wirken in einem Satz zusammenzufassen. Das ist der berühmte Satz: Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. – Zitatende. Genau dieser Gedanke sollte uns gerade in der Pandemie weiterhin leiten. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

15.16

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Amesbauer ist zu Wort gemel­det. – Bitte.