15.04

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu­schauer! „Eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Un­treue, wie sie bei Österreichs Finanzminister vorgenommen wurde, würde in anderen Ländern wohl zum Rücktritt führen. Der Betroffene würde Schaden vom Amt abwenden wollen“ – so gelesen in der „Süddeutschen Zeitung“ letzte Woche. Das ist eines von vielen Zitaten oder eine von vielen Aussagen aus internationalen Zeitungsartikeln und internationalen Medien, die Sie in den letzten Tagen lesen konnten. (Abg. Rauch: Schwerer Schaden für Österreich!) Ja, Österreich war im Mittelpunkt des internationalen Medieninteresses, aber ich glaube nicht, dass das in diesen Tagen ein Ruhmesblatt war.

Und in Österreich? Die ÖVP und Sie, Herr Blümel, übernehmen keine Verantwortung. Sie ducken sich weg, Sie blenden Unvereinbarkeiten aus, Sie pfeifen auf die Handlungs­fähigkeit der Regierung in der größten Wirtschaftskrise der Zweiten Republik (Abg. Kickl: Der hat das gelernt!) und greifen stattdessen lieber die Staatsanwaltschaft an.

Weil Herr Kollege Hanger gesagt hat, Zahlen, basierend auf Zahlen, Daten und Fakten – ich ziehe das Thema jetzt vielleicht vor –: Ich habe auch drei Zahlen für Sie: 7,8 Prozent, 520 000 und 22.

7,8 Prozent ist der Einbruch der Wirtschaftsleistung – dramatisch in Österreich; Öster­reich ist deutlich schlechter als viele andere Länder, auch im europäischen Vergleich, durch die Krise gekommen.

520 000 arbeitslose Menschen gibt es in Österreich. Österreich ist im Vergleich zu ande­ren Ländern viel schlechter durch diese Krise gekommen. (Abg. Hanger schüttelt den Kopf.)

22 Milliarden – die Zahl wird nicht halten – ist das prognostizierte Defizit 2021.

Dass sich ausgerechnet die Wirtschaftspartei ÖVP so sehr rühmt, dass aufgrund ihrer Coronapolitik so viele Wirtschaftshilfen an Betriebe fließen mussten, das kann man mit einer Feuerwehr vergleichen, die sich dafür lobt, zu so vielen Bränden gerufen zu wer­den, wenn der Feuerteufel sogar in den eigenen Reihen steht. (Beifall bei den NEOS.)

Das ist bis jetzt der letzte Akt – ich glaube, es wird nicht der letzte Akt bleiben – eines Staatsdramas, das wir seit zwei Jahren, seit dem Auftauchen des Ibizavideos, auf offe­ner Bühne erleben und das wohl schon seit viel längerer Zeit ohne Publikum hinter der Bühne aufgeführt wurde. Die Novomatic zahlt alle drei. Es ist mir sehr wichtig, das zu betonen: Es geht um SPÖ, FPÖ und ÖVP. Diese Aussage von Heinz-Christian Strache im Ibizavideo ist nachvollziehbar. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Die kann ich nach­vollziehen.

Was haben wir in den vergangenen Monaten des Ibiza-Untersuchungsausschusses ge­lernt? (Abg. Kickl: Ich weiß nicht, was er über den Haselsteiner gesagt hat!) Die ÖVP ist mittendrin statt nur dabei. Finanzielle Zuwendungen – und, meine Damen und Herren, Spenden, Sponsorings, Kooperationen, Inserate, verzeihen Sie, aber ghupft wie ghatscht – zumindest an einen Verein, nämlich ausgerechnet an den des Parlamentspräsidenten Sobotka, der bezeichnenderweise immer noch Vorsitzender des U-Ausschusses ist (Abg. Kickl: Der ist völlig schmerzbefreit!) und hier auch keine Unvereinbarkeit wittert, sind nachgewiesen worden.

Was wir gesehen haben, bringt das Sittenbild eines systematischen – ja, vielleicht nicht im strafrechtlichen Sinne, vielleicht aber schon – Anfütterns von Politikerinnen und Politikern und Parteien seitens der Novomatic zutage. Es steht der Verdacht des Gesetzeskaufs im Raum, der Verdacht der Bestechlichkeit und der Bestechung, und zwar auch im Zu­sammenhang mit Spenden an die ÖVP – dieses Mal nicht von der Novomatic, sondern von anderer Seite.

Was haben wir noch in den letzten Monaten gelernt? – Die ÖVP torpediert, sabotiert und diskreditiert in dieser Ibizacausa jegliche Aufklärungsarbeit, und zwar systematisch. Sie versucht, in die Irre zu leiten (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ), sie patzt ausgerechnet die an, die die ganze Zeit an Aufklärung interessiert sind wie zum Beispiel meine Kollegin Stephanie Krisper.

Das ist also die Gemengelage, in der solche Chats oder Konversationen auftauchen. Jetzt frage ich Sie allen Ernstes: Das ist die Gemengelage, in der eine Korruptionsstaats­anwaltschaft ermitteln muss. Stellen Sie sich vor, sie würde nicht ermitteln: Würden Sie und alle Österreicherinnen und Österreicher nicht zu Recht die Frage stellen, ob da eine Zweiklassenjustiz vorliegt? Sie muss ermitteln, weil das Sittenbild, das wir in den ver­gangenen Monaten gesehen haben, schon wirklich einzigartig ist und aufgearbeitet wer­den muss.

Kann die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermitteln, frei von Druck, frei von Versuchen, sie an die Kandare zu nehmen, frei von – sagen wir einmal – seltsamen Weisungen? – Nein! Nein – aber nicht, weil sie zu wenig durch einen neuen Oberstaatsanwalt eines ÖVP-Zuschnitts an die Kandare genommen wurde, sondern weil jetzt schon die Beeinflussung so groß ist. (Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Die ehemalige Korruptionsstaatsanwältin Jilek hat letzte Woche im Untersuchungsaus­schuss klar und deutlich wie selten gesagt, dass sie nicht ungestört ermitteln konnte. Sie hat auch einen klaren Appell an alle Abgeordneten dieses Hauses gerichtet, endlich die Justiz, die Korruptionsstaatsanwaltschaft aus dem parteipolitischen Korsett zu befreien.

Jetzt ist sie halt im Visier der ÖVP, das ist schon reichlich durchschaubar. Man gibt da auf offener Bühne die besorgten Menschen, wenn es um die Unabhängigkeit der Justiz geht – im Hintergrund will man aber eine unangenehme Behörde, die gegen Vertreter der eigenen Partei, der ÖVP, ermittelt, an die Kandare nehmen, ja, sie vielleicht sogar zerschlagen, denn das war der ursprüngliche Plan.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe das letzte Woche schon gesagt: Wir haben in Österreich einen Kern des Problems – und das ist nicht die Korruptionsermitt­lungsbehörde, sondern es ist der flapsige, saloppe Umgang mit Korruption in unserem Land, und, sehr geehrte Damen und Herren von der ÖVP, Sie sind auch da mittendrin statt nur dabei!

Fehler und Mängel in Behörden muss man entschlossen und mit der nötigen Seriosität und Ernsthaftigkeit angehen – da schaue ich aber jetzt zu Herrn Innenminister Karl Ne­hammer: Letzte Woche ist ein dramatischer Bericht darüber erschienen, was für ein Be­hördenversagen es im BVT gegeben hat. Dieses hat dann vielleicht auch zum Terroran­schlag geführt, und sehen Sie, das ist ein Behördenversagen, das Menschenleben ge­kostet hat.

Ich wünschte mir genau solch ein entschlossenes Vorgehen bei einer Reform des BVT und beim Eingeständnis des Versagens in diesem Bereich, wofür Sie auch Verantwor­tung übernehmen müssen – Sie übernehmen keine Verantwortung.

Sie müssten sich natürlich zurückziehen, Herr Blümel, denn – und das sage ich auch in Richtung Kollegin Maurer – das Strafrecht bei der Frage der Verantwortung von Politi­kern als letzte Linie zu ziehen, halte ich für viel zu spät, das muss wesentlich früher passieren. Man kann sich doch nicht darauf berufen, dass man noch nicht strafrechtlich verurteilt wurde!

Das muss früher greifen aus Respekt vor dem Amt. Das muss früher greifen aus Respekt vor den demokratischen Institutionen unseres Landes. Das muss früher greifen aus Re­spekt gegenüber den Österreicherinnen und Österreichern – doch was wir von Ihnen erleben, ist Respektlosigkeit: Respektlosigkeit diesem Parlament gegenüber. Sie kön­nen sich im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht 86 Mal nicht erinnern – aber nicht unter Wahrheitspflicht stehend geben Sie eidesstattliche Erklärungen ab. Das ist eine Augen­auswischerei und eine Respektlosigkeit gegenüber dem Hohen Haus! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie des Abg. Stögmüller.)

Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, dass Sie nicht alles lückenlos offenlegen. Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber der Staatsanwalt­schaft, wenn Sie jetzt versuchen, diese anzupatzen, genauso wie es schon länger be­kannte Respektlosigkeiten gegenüber dem Verfassungsgerichtshof gibt. Da hat die Re­de von Herrn Kickl einen wahren Kern: Es geht Ihnen um Macht, und Sie sind eiskalt, wenn es darum geht, diese Macht in Österreich zu erlangen und dann auszubauen – in alle Institutionen hinein – und alles unter Kontrolle zu haben.

Jene Institutionen, die Sie nicht unter Kontrolle bringen können, werden systematisch diskreditiert – angepatzt, würden Sie sagen – oder schlechtgeredet. Das ist ein Master­plan, der meines Erachtens in der Zweiten Republik einmalig ist, und übrigens ist es auch einmalig in der Zweiten Republik, dass – mit Genehmigung eines unabhängigen Gerichts! – bei einem amtierenden Finanzminister eine Hausdurchsuchung stattfindet. (Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Jetzt noch ein Wort zu dem, was meiner Meinung nach am schwersten wiegt, das sind die krasse Unvereinbarkeit und die Frage der Handlungsfähigkeit, die Sie als Finanzmi­nister jetzt nicht mehr haben. Sie sind nämlich für Glücksspiel zuständig, Sie haben die Aufsicht über Glücksspiel und Sie sind Eigentümervertreter bei den Casinos Austria.

Ja, im Regierungsprogramm ist diesbezüglich Gott sei Dank etwas vereinbart worden – aber da jetzt auf eine Reform zu warten, die vielleicht noch Wochen dauert, das ist ein­fach zu spät, da muss man rasch und entschlossen handeln. Wenn Sie nicht zurücktre­ten – und das wäre mir das Liebste –, dann müssen Sie diese Agenden rasch abgeben, das ist völlig klar.

Es geht auch um die Frage der Handlungsfähigkeit: Wir sehen in den vergangenen Ta­gen – das ist dramatisch, meine Damen und Herren, das macht ja auch mir als Opposi­tionspolitikerin keinen Spaß – einen desaströsen Zustand der österreichischen Bundes­regierung. (Ruf bei der FPÖ: ... gelähmt!)

Es gibt eine angeschlagene Wirtschaftsministerin, der wir nicht vertrauen können, wenn es darum geht, dass sie uns aus der Wirtschaftskrise bringt; einen angeschlagenen In­nenminister, dem wir in puncto Sicherheit nicht mehr vertrauen können; einen bisweilen handlungsunfähigen Gesundheitsminister, wenn es um die Mutation in Tirol geht – und jetzt einen mehr als angeschlagenen Finanzminister, und das in der größten Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise der Zweiten Republik.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Kommen Sie bitte zum Schluss!

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (fortsetzend): Das ist eine Gemenge­lage, in der die Opposition aus Verantwortung für Österreich sagen muss: Das Vertrauen ist nicht da, treten Sie zurück, Herr Blümel! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Ab­geordneten der FPÖ.)

15.15

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist nun Abgeordneter Schned­litz. – Bitte. (Abg. Hörl: Jetzt kommt der ...!)