16.37

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Volksanwälte auf der Regierungsbank! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen! Ja, etwa 23 000 Menschen mit Behinderung sind in Tages- und Be­schäftigungsstrukturen oder in den sogenannten geschützten Werkstätten tätig.

Diese Tätigkeiten werden nicht als Erwerbsarbeit gewertet, obwohl dort Beschäftigte regelmäßig zur Arbeit gehen, an Geräten arbeiten, Produkte herstellen und Dienst­leistungen erbringen und zum Teil auch in ausgelagerten Gruppen bei Firmen arbeiten. Diese Personen erhalten kein Entgelt, sondern nur ein geringes Taschengeld von durch­schnittlich weniger als 100 Euro monatlich. Das Taschengeld ist nach Bundesland unter­schiedlich geregelt, so erhalten zum Beispiel in Niederösterreich Menschen, die in Werk­stätten arbeiten, ungefähr 900 Euro im Jahr. Ja, Sie haben richtig gehört: 900 Euro im Jahr! Die Lebenshilfe zahlt diesen Betrag in Raten aus, etwa 75 Euro im Monat. In Tirol ist dieses Entgelt noch geringer, dort sind es 50 Euro im Monat.

Urlaub und Urlaubsgeld – gibt es nicht für diese Menschen. Eigenständige Sozialver­sicherung – gibt es nicht für diese Menschen. Pensionsversicherung – gilt für diese Personen nicht. Sie sind auf die Mitversicherung bei ihren Eltern angewiesen und im Alter bleibt dann nur ein Leben am Existenzminimum.

Insbesondere für junge Menschen ist die Situation ganz schwierig. Sie haben kaum eine Chance, sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Ich kenne einige Familien in meiner Umgebung, die betroffen sind, und ich weiß auch, wie belastend die Situation für die Eltern ist. Sie machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns im Jahr 2021, und es ist traurig, dass Menschen mit Behinderung im Sozialstaat Österreich nicht sozial abge­sichert sind. Noch trauriger aber ist, dass wir dieses Thema hier nicht das erste Mal diskutieren, sondern wir diskutieren schon seit Jahren darüber und verweisen immer wieder auf die Probleme, die beim Thema Arbeit und Behinderung bestehen. Daher muss dieser Bericht ein Weckruf für die Politik und ein Weckruf natürlich ganz besonders für die derzeitige Regierung sein.

Genauso soll auch der Antrag betreffend eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung ein Weckruf sein. Es gelingt seit vielen Jahren nicht, für leistbare Pflege und Betreuung eine rechtlich einwandfreie und für die Betroffenen praxistaugliche Lösung zu erzielen. Darüber hinaus sehen sich pflegebedürftige Menschen und ihre Familien­ange­hörigen durch bürokratische Verpflichtungen im Rahmen der Anmeldung des Personals überfordert.

Dazu bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Edith Mühlberghuber, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Bundes­genossenschaft für Pflege und Betreuung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die rechtlichen, administrativen und finanzi­ellen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung zu schaffen, um unselbständige Pflege und Betreuung für die Betroffenen zu erleichtern.“

*****

Ich bitte um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

16.41

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mühlberghuber

und weiterer Abgeordneter

eingebracht in der 85. Sitzung des Nationalrates, XXVII. GP, am 24. Februar 2021 im Zuge der Debatte zu TOP 9, Bericht des Volksanwaltschaftsausschusses über den Son­derbericht der Volksanwaltschaft betreffend "Keine Chance auf Arbeit –Die Realität von Menschen mit Behinderung" (III-66/614d.B.)

betreffend Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung

Es gelingt seit vielen Jahren nicht, für leistbare Pflege und Betreuung eine rechtlich einwandfreie und für die Betroffenen praxistaugliche Lösung zu erzielen. Darüber hinaus sehen sich pflegebedürftige Menschen und ihre Familienangehörigen durch büro­kra­tische Verpflichtungen im Rahmen der Anmeldung des Personals überfordert. Die arbeitsrechtliche Komponente der Pflege- und Betreuungsproblematik ist außerdem in vielfältiger Art umstritten.

Ein Dauerproblem bei der unselbständigen Pflege ist, dass nach geltender Rechtslage der Pflegebedürftige zum Arbeitgeber mit allen dazugehörigen Pflichten gegenüber sämtlichen Behörden wird. Das beginnt mit den Meldepflichten bei der Österreichischen Gesundheitskasse, geht über die Lohn- und Gehaltsabrechnung, der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und der Mitarbeitervorsorge bis zu den abgaben­recht­lichen Verpflichtungen gegenüber dem Finanzamt. Auch die Organisation von Urlaubs­vertretungen ist ein Dauerbrenner in diesem Zusammenhang.

Zahlreiche Pflege- und Betreuungsbedürftige, die unselbständig beschäftigten Pflege­rinnen und Pfleger, sehen sich nicht in der Lage, all diese Verpflichtungen entsprechend organisatorisch umzusetzen. Dies führt deshalb immer wieder zur Situation, dass es zu nicht adäquaten Arbeitsverhältnissen mit allen Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt.

Die von ÖVP-EU-Ministerin Karoline Edtstadler in Gang gesetzte Aktion, einen Korridor­zug aus Rumänien für ausländische Pflegerinnen zu organisieren, samt undurchsichtiger Vermittlung dieser Pflegekräfte über Pflegeagenturen mit nicht nachvollziehbaren Haf­tungssituationen in COVID-19-Fällen, haben einmal mehr aufgezeigt, wie wichtig es ist, dass es hier zu klaren organisatorischen Strukturen kommen muss.

Eine arbeits- und sozialpolitisch praxistaugliche Lösung wäre die Schaffung einer bun­desweit aktiven Trägerorganisation in Form einer Genossenschaft, die für die Pflege- und Betreuungsbedürftigen unselbständige Pfleger und Betreuer beschäftigt und den Betroffenen auf diesem Weg alle administrativen Leistungen abnimmt.

Die Pflegebedürftigen als Nutzungsberechtigte der Leistungen dieser Genossenschaft können - wenn die entsprechende Qualifikation vorhanden ist – die Pflege- und Betreu­ungskräfte ihrer Wahl bei der Genossenschaft beschäftigen lassen und brauchen sich auch keine Sorgen wegen einer Urlaubsvertretung machen. Sie können versichert sein, dass alle administrativen Schritte im arbeits-, sozial- und abgabenrechtlich pünktlich und richtig gesetzt und von der Genossenschaft auch die Qualität der Pflege- und Betreu­ungsleistungen sichergestellt werden.

Diese Bundespflegegenossenschaft für Pflege und Betreuung stellt ihre Leistungen pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen als Genossenschafter ohne Gewinn­absicht zur Verfügung. Die Bundespflegegenossenschaft für Pflege und Betreuung könnte auch im Rahmen der Ausbildung und der Weiterbildung von Pflege- und Betreu­ungspersonal aktiv werden und eng mit dem Arbeitsmarktservice zusammenarbeiten. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, die unselbständige Pflege auf ein festes, soziales und rechtliches Fundament zu stellen, um auch für die Anforderung der Zukunft gerüstet zu sein. Die rechtlichen, administrativen und finanziellen Voraussetzungen für diese Bun­despflegegenossenschaft sollen durch das Bundesministerium für Soziales, Ge­sundheit, Pflege und Konsumentenschutz gestellt werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die rechtlichen, administrativen und finanziellen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Be­treuung zu schaffen, um unselbständige Pflege und Betreuung für die Betroffenen zu erleichtern."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Hechenberger. – Bitte.