17.50

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, FGM ist in der Tat ein Ausdruck von Kultur, ich würde Patriarchat dazu sagen, und zwar ein sehr extremer Ausdruck von Patriarchat. Die WHO kategorisiert vier Arten von FGM. In den schlimmsten Arten werden die äußeren Schamlippen zugenäht und jedes Mal vor einem Geschlechtsverkehr neu aufgeschnitten. Das ist einfach der Versuch von Män­nern, die vollkommene Kontrolle über die Sexualität von Frauen, die vollkommene Kon­trolle über die sexuellen Rechte von Frauen zu haben.

Das ist aus meiner Sicht auch durchaus verwandt mit dem Phänomen, dass Männer versuchen, die Kontrolle über die reproduktiven Rechte von Frauen zu haben, und zum Beispiel Abtreibungen verbieten wollen beziehungsweise verbieten wollen, dass Frauen darüber entscheiden können, wann sie mit wem wie viele Kinder bekommen. Beides ist aus meiner Sicht gleichermaßen menschenrechtlich bedenklich und zu verurteilen.

FGM ist in der Istanbulkonvention extra erwähnt. Diese Konvention des Europarats ist sicherlich das modernste Mittel, das wir zum legalen Schutz von Frauen vor Gewalt, vor häuslicher Gewalt, vor geschlechtsspezifischer Gewalt haben. Dazu ist zu sagen, dass letzten Sonntag in der Früh Präsident Erdoğan verlautbart hat, aus der Istanbulkonven­tion austreten zu wollen. Polen will diesen Schritt in fünf Tagen setzen, will andere EU-Länder, die Mitgliedsländer der Konvention sind, dazu bringen, das auch zu tun, nämlich konkret Slowenien, die Slowakei, Kroatien und Tschechien, und stattdessen einer alter­nativen Konvention, die den Schutz der Familie ins Zentrum stellt, in der es dann wie durch Zauberhand keine häusliche Gewalt mehr gibt, beizutreten.

Ich bringe deswegen gemeinsam mit meiner Kollegin Eva Maria Holzleitner folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Stärkung der Istanbul Konvention“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internatio­nale Angelegenheiten, wird aufgefordert, auf Ebene der Europäischen Union, des Euro­parats sowie darüber hinaus alle geeigneten diplomatischen und politischen Mittel einzu­setzen,

- damit die Türkei wieder der Istanbul Konvention beitritt und so den vollen legalen Schutz der Frauen in der Türkei vor Gewalt gewährleistet;

- dass Polen seine Ankündigung nicht wahr macht und nicht aus der Istanbul Konvention austritt;

- auf andere Mitgliedsstaaten der EU, auf die es von Polen Druck gibt ebenfalls auszu­treten und stattdessen einer verwässerten anderen noch zu erarbeitenden Konvention beizutreten, einzuwirken diesen Schritt im Sinne des Schutzes von Frauen vor Gewalt nicht zu setzen;

- Mitgliedsländer des Europarates, der bisher der Istanbul Konvention noch nicht beige­treten sind, zu diesem Schritt zu ermutigen indem dazu beigetragen wird, eine sachliche und evidenzbasierte Diskussion über den Inhalt der Konvention zu führen;

- bei Ländern, die nicht Mitglieder des Europarats sind, für die Unterzeichnung und Ra­tifizierung der Istanbul Konvention zu werben, da sie das modernste und effektivste le­gale Mittel gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt an Frauen ist.“

*****

Ich weiß, dass die Regierungsparteien dem Antrag nicht zustimmen, sondern einen ei­genen einbringen werden, der eine Verwässerung dieses hier ist. Wir werden dem trotz­dem zustimmen, weil es wenig Gründe gibt, ihm nicht zuzustimmen. Ich hielte es aber für ein Zeichen von klarer politischer Aussage, auch diesem Antrag zuzustimmen. – Dan­ke sehr. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

17.54

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Eva Maria Holzleitner BSC

und GenossInnen

betreffend Stärkung der Istanbul Konvention

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 27: Bericht des Ausschusses für Menschen­rechte über den Antrag 1260/A(E) der Abgeordneten Mag. Faika El-Nagashi, Dr. Gudrun Kugler, Petra Bayr, MA MLS, Dr. Susanne Fürst, Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen betreffend weibliche Genitalverstümmelung – Stärkung von Frauengesundheit und Frauenrechten (694 d.B.)

In den frühen Morgenstunden des 20. März 2021 hat Präsident Erdogan versucht um­zusetzen, was schon lange geplant war: den Ausstieg seines Landes aus der Istanbul Konvention. Per präsidentiellem Dekret versucht er, den zugrundeliegenden Parla­mentsbeschluss, die Istanbul Konvention zu ratifizieren, außer Kraft zu setzen. Dies ist nicht nur demokratiepolitisch höchst bedenklich, sondern vor allem zum Schaden der Frauen, die in der Türkei leben: allein bis zum 20. März 2021 sind im heurigen Jahr über 70 Femizide verübt worden. Gerichte gehen oft sehr pfleglich mit den Tätern um, die zumeist aus dem sozialen Nahraum der Frauen kommen, ihre Männer, Verlobte, Brüder oder Väter sind. Sowohl aus der EU als auch aus dem Europarat kamen sofort scharfe Proteste gegen diesen rechtlich fragwürdigen Austritt im Wissen, dass dies die Situation von Frauen, die in der Türkei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind, weiter verschlechtern wird. Diesen Verbalnoten müssen nun weitere politische und diplomatische Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen folgen.

Polen hat ebenfalls seit langem angekündigt, aus der Konvention aussteigen zu wollen und setzt den konkreten Schritt für den 30. März 2021 in Aussicht, nicht ohne auch an­dere Mitgliedstaaten der EU dabei mitnehmen zu wollen. Es gibt schriftliche Aufforderun­gen zumindest an Kroatien, Slowenien, die Slowakei und die tschechische Republik, die Istanbul Konvention zu verlassen und einem noch auszuarbeitenden alternativen inter­nationalen Vertrag beizutreten. Dieser soll von allen vorgesehenen Gleichstellungsmaß­nahmen der Istanbul Konvention Abstand nehmen und nicht mehr auf das soziale Ge­schlecht, sondern nur auf das physische abstellen. Darüber hinaus soll die Autonomie der Familie gegenüber Behörden verankert sein, was im Zusammenspiel mit der auch geforderten freien Wahl der Erziehungsmethoden in der Familie nichts Gutes für die Rechte der Frauen und der Kinder erwarten lässt.

Immerhin 13 Mitgliedstaaten des Europarats haben die Istanbul Konvention bisher noch nicht ratifiziert, Aserbaidschan und Russland haben sie nicht einmal unterschrieben. Die Vorwände dies nicht zu tun, sind zumeist die gleichen und haben mit dem eigentlichen Inhalt der Istanbul Konvention des Europarats gar nichts zu tun. So wird etwa ins Treffen geführt, dass damit gleichgeschlechtliche Ehen und Homosexualität gefördert oder die Werte der Familie untergraben werden sollen.

Die Istanbul Konvention ist das modernste völkerrechtliche Instrument, das Frauen auf rechtlicher Ebene von Gewalt schützt. Als „Gewalt“ gilt laut Europarats-Abkommen nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch geschlechtsspezifische Diskriminierung, Ein­schüchterung oder wirtschaftliche Ausbeutung. Die Konvernion legt fest, dass es für die Opfer Beratung und Unterstützung geben muss und die Täter strafrechtlich zu verfolgen sind. Auch die verfassungsrechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist vorgesehen, ein Artikel, der dem türkischen Präsidenten Erdogan im Speziellen ein Dorn im Auge zu sein scheint.

Wegen ihres effektiven Schutzes vor Gewalt an Frauen wird auch von immer mehr Nicht-Mitgliedstaaten des Europarats ein Beitritt zur Istanbul Konvention erwogen. So wird gegenwärtig in Tunesien darüber diskutiert, die Konvention zu unterzeichnen und so­dann weitere Schritte zur Ratifizierung zu setzen. Die EU hat sie zwar unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert, darüber finden momentan konstruktive Gespräche statt.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internatio­nale Angelegenheiten, wird aufgefordert, auf Ebene der Europäischen Union, des Euro­parats sowie darüber hinaus alle geeigneten diplomatischen und politischen Mittel ein­zusetzen,

•           damit die Türkei wieder der Istanbul Konvention beitritt und so den vollen legalen           Schutz der Frauen in der Türkei vor Gewalt gewährleistet;

•           dass Polen seine Ankündigung nicht wahr macht und nicht aus der Istanbul        Konvention austritt;

•           auf andere Mitgliedsstaaten der EU, auf die es von Polen Druck gibt ebenfalls    auszutreten und stattdessen einer verwässerten anderen noch zu erarbeitenden    Konvention beizutreten, einzuwirken diesen Schritt im Sinne des Schutzes von    Frauen vor Gewalt nicht zu setzen;

•           Mitgliedsländer des Europarates, der bisher der Istanbul Konvention noch nicht beigetreten sind, zu diesem Schritt zu ermutigen indem dazu beigetragen wird,            eine sachliche und evidenzbasierte Diskussion über den Inhalt der Konvention zu führen;

•           bei Ländern, die nicht Mitglieder des Europarats sind, für die Unterzeichnung und          Ratifizierung der Istanbul Konvention zu werben, da sie das modernste und      effektivste legale Mittel gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt an    Frauen ist.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Als Nächste ist Abgeordnete Ecker zu Wort gemeldet. – Bitte.