Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Guten Morgen, Herr Bundes­minister! Meine Frage bezieht sich auf den EU-Migrationspakt. Seit 23. September 2020 liegt der Vorschlag der Kommission vor, und es ist durchaus glaubwürdig, wenn Schäuble sagt: Im Windschatten der Coronapandemie können wir das eine oder andere durch­setzen. Die Vergemeinschaftung der Schulden mit den 750 Milliarden Euro ist ja schon gelungen.

Und jetzt droht ein – und darum geht es unseres Erachtens – Kompetenzverlust in Richtung EU. Die EU versucht mit diesem Pakt, Kompetenz an sich zu ziehen, nachdem sie ja 2015 schon glänzend bewiesen hat, dass sie in dem Bereich total versagt. Uns Freiheitlichen sind nationale Lösungen lieber – vielleicht nicht jene, die wir in Österreich haben, sondern solche, die die Ungarn zum Beispiel vormachen.

Meine grundsätzliche Frage: Wie stehen Sie und die ÖVP zu diesem vorliegenden Migrationspakt?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 42/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie stehen Sie zum Neuen Migrations- und Asylpaket in der vorliegenden Fassung der Europäischen Kommission?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ganz offen: Ich glaube nicht, dass es hier darum geht, dass uns Kompetenzen abgenommen werden. Wir haben ja 2015, 2016 genau gesehen, dass wir letzten Endes eine gesamteuropäische Lösung brauchen. Die Diskussion geht ja schon lange dahin. Es hat aber auch Fortschritte gegeben. Ich glaube, der Vorschlag, den die Kommission letztes Jahr vorgelegt hat – Asyl- und Migrationspakt –, geht in die richtige Richtung und spiegelt vieles wider, was wir als EU-Vorsitzland 2018 auch in die Debatte eingebracht haben.

Der wesentliche Punkt ist: Wir können nicht einzelne Elemente herausnehmen. Ich habe immer das Bild: Migrationspolitik ist ein dreistöckiges Haus. Der erste Stock ist die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, der zweite Stock ist ein effizien­ter und funktionierender Außengrenzschutz und erst das dritte Stockwerk ist dann die interne Frage, also Solidarität versus Verteilung. Und man kann nicht beginnen, das dritte Stockwerk zu bauen, bevor man nicht das erste und zweite hat.

Sehr gut finde ich, dass die Kommission das so vorlegt, und wir werden jetzt sehen, wie sich das weiterentwickelt. Die Experten warnen ja auch davor, dass mit Ende der Covid-19-Pandemie die Migrationsströme vermutlich wieder zunehmen werden. Wir brauchen in Wirklichkeit eine gesamteuropäische Lösung. Österreich – da können Sie sich sicher sein – wird da mit sehr großer Kraft seine nationalen Interessen einbringen, aber mit dem Gedanken: Es muss zum Schluss ein gesamteuropäisches dreistöckiges Haus dastehen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Nachfrage? – Bitte.

Abgeordneter MMMag. Dr. Axel Kassegger (FPÖ): Vielen Dank für den schönen Vergleich, Sie haben völlig recht: Der erste und der zweite Stock funktionieren überhaupt nicht, sind nicht vorhanden.

Sie haben gesagt, man muss das ganzheitlich betrachten. Ich weiß, dass Sie beim Solidaritätsmechanismus kritisch sind, aber glauben Sie wirklich, das Problem lösen zu können, indem wir den Familienbegriff jetzt noch weiter ausweiten, so wie es in dem Vorschlag steht? Glauben Sie wirklich, dass wir in der Lage sind, das Problem damit zu lösen, wenn wir die Seenotrettung – das Wichtigste in diesem Zusammenhang! – da überhaupt nicht reinschreiben, nämlich wo die Geretteten wieder an Land gesetzt werden? – Natürlich in Afrika und nicht in Italien.

Glauben Sie wirklich, dass diese Vorschläge uns jetzt vorwärts bringen? Die Rück­kehrabkommen funktionieren ja jetzt schon nicht. Sie selbst haben im Ausschuss gesagt, sieben von zehn Abgelehnten verlassen das Land nicht; das ist also ein Thema, das überhaupt nicht geklärt ist, und Rücknahmeabkommen haben wir auch keine, auch aus dem einfachen Grund, weil wir in vielen Fällen gar nicht wissen, woher der Migrant kommt.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich bin ganz bei Ihnen, wir sollten das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Als Außenminister würde ich sagen: Das Wesentliche, das A und O dieser gesamten Politik ist die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern. Wir haben letzte Woche eine gemeinsame Sitzung der EU-Innenminister und EU-Außenminister gehabt, bei der wir gesagt haben, wir wollen diese maßgeschneiderten Migrationspartnerschaften.

Ich glaube, die Stichworte für uns dabei sind Konditionalität und Kohärenz. Wir haben noch eine Schwierigkeit: Wir sind als Europäische Union weltweit Entwicklungsgeber Nummer eins, wir sind eine Handelsmacht, wir sind eine Finanzmacht, wir haben auch den Visahebel – wir sind aber noch nicht kohärent genug. Es ist in den letzten Jahren viel besser geworden, aber wir sind noch nicht kohärent genug. Da können wir noch besser werden, um das zusammenzuführen und zu sagen, zum Beispiel gerade beim Cotonou-Abkommen mit Afrika und der Karibik, das demnächst auf den Tisch gelegt werden wird: Wenn ihr wollt, dass wir mit euch zusammenarbeiten, gibt es aber auch gewisse Bedingungen, Konditionen; das betrifft Standards, es betrifft aber auch Rückübernahmen. – Da bin ich ganz bei Ihnen.

In der Debatte ist die Schwierigkeit ja genau, dass man immer einen Punkt herausgreift, wie Sie das erwähnt haben, und vergisst, dass es in Wirklichkeit am Schluss ein ausgewogenes Gesamtpaket geben muss.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 4. Anfrage stellt Frau Abgeordnete Ernst-Dziedzic. – Bitte.