14.10

Abgeordnete Petra Steger (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kollegen von der ÖVP und von den Grünen! Es ist so weit, mit dem heutigen Tag und Ihrer Zustimmung zum Eigenmittelbeschluss 2021 und damit zum 750 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds sind wir endgültig in einem neuen europäischen Zeitalter angelangt, im Zeitalter einer europäischen Schuldenunion. Unter dem Deck­mantel von Corona wird damit einer der weitreichendsten Beschlüsse seit der Einführung des Euro mit fatalen Konsequenzen gefasst.

Ich gratuliere Ihnen. Dank Ihrer Zustimmung zahlen und haften wir in Zukunft für Schul­den anderer Staaten, die vor allem deswegen so schlecht dastehen, weil sie vorher schon schlecht gewirtschaftet haben. Schulden, Schulden und noch mehr Schulden, und umverteilen weg von den Österreichern, das ist die neue Devise.

Es ist für mich unbegreiflich, sehr geehrter Herr Finanzminister, warum Sie in der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise der Zweiten Republik, in der Zigtausende Menschen in Österreich dringend Hilfe benötigen würden, weil sie vor dem Nichts stehen, zustim­men, dass wir in Zukunft weitere Milliarden an die EU überweisen. Es ist für mich unbegreiflich, dass Sie zustimmen, dass die Interessen der österreichischen Steuer­zahler dermaßen verraten werden, und es ist für mich unbegreiflich, dass wir es zulassen, dass die EU diese Krise dermaßen missbraucht, um noch mehr Macht und Kompetenzen an sich zu ziehen, sehr geehrte Damen und Herren.

Sie ermöglichen heute mit dieser Zustimmung nicht nur eine Vergemeinschaftung der Schulden, eine Schulden- und Transferunion, eine Aushebelung der Fiskalregeln und der Maastrichtkriterien, einen Verlust unserer Budgethoheit, der Steuerhoheit, sondern auch einen großen Schritt in Richtung europäischer Staat, natürlich einhergehend mit einem gewaltigen Einschnitt in unsere nationalstaatliche Souveränität, sehr geehrte Damen und Herren.

Das Schlimmste ist: Obwohl dieser Beschluss dermaßen weitreichend ist, geht das aufgrund Ihrer unzähligen Korruptionsfälle der letzten Monate, mit deren Aufarbeitung man gar nicht mehr nachkommt, medial vollkommen unter. Das Einzige, was medial in irgendeiner Form berichtet wurde, war wieder einmal eine PR-Berichterstattung darüber, was wir nicht alles Tolles mit den EU-Geldern machen können.

Da wird gleich einmal weggelassen, dass es sich gar nicht um EU-Gelder handelt – nein, wir nehmen vielmehr neue Haftungen und Schulden auf, und zwar nicht für uns, sondern für die Pleitestaaten in Europa. Es wird fast totgeschwiegen, dass wir für wesentlich mehr haften und zahlen werden, als wir bekommen. Wir bekommen 3,7 Milliarden Euro und werden laut Ihren eigenen Berichten fast 12 Milliarden Euro zahlen müssen, wenn nicht vielleicht sogar noch mehr, falls die ganzen Mitgliedsländer ihre Darlehen nicht zurück­zahlen können, was ich schwer annehme. Ich halte das, sehr geehrter Herr Minister, ehrlich gesagt für unverantwortlich gegenüber den unzähligen Unternehmen in diesem Land. (Beifall bei der FPÖ.)

Erklären Sie einmal, sehr geehrte ÖVP, warum Sie diesem gewaltigen Tabubruch, dass die EU das erste Mal Schulden aufnehmen darf und damit die größte Schuldenrakete der EU-Geschichte gezündet wird, zustimmen! Erklären Sie einmal, warum Sie zustim­men, dass die EU das erste Mal Anleihen ausgeben darf – etwas, das vor Kurzem noch ein absolutes Tabuthema war, Stichwort Eurobonds! Erklären Sie einmal, warum Sie zustimmen werden, dass das erste Mal Zuschüsse, das heißt Geldgeschenke, an Mit­gliedstaaten verteilt werden – etwas, was es laut Kurz niemals hätte geben dürfen! Spanien bekommt 140 Milliarden Euro, Italien sogar 191 Milliarden Euro – das ist nichts anderes als eine Umverteilung von wirtschaftlich starken zu wirtschaftlich schwachen Nationen. Das sieht man alleine schon daran, dass das Ganze an Kriterien geknüpft wird, die überhaupt nichts mit der Coronakrise zu tun haben, wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit im Zeitraum 2015 bis 2019. Schlechtes Wirtschaften wird in Zukunft belohnt, sehr geehrte Damen und Herren. Ich gratuliere Ihnen zu diesem großartigen Anreizsystem, das Sie da in der Europäischen Union schaffen! (Beifall bei der FPÖ.)

Was ich aber besonders bedenklich finde, werte ÖVP, ist, dass Sie ernsthaft der in Artikel 9 enthaltenen Nachschusspflicht zustimmen und damit ermöglichen, dass Öster­reich jederzeit, wenn ein Mitgliedstaat nicht zahlen kann oder möchte, für die Schulden dieses Mitgliedstaats herangezogen werden kann, ohne dass wir erneut gefragt werden, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist ein absoluter Wahnsinn! Mir fehlt jedes Ver­ständnis dafür, dass Sie dieser Regel zustimmen.

Das ist ein Wahnsinn, der nur noch vom nächsten Wahnsinn übertroffen wird, und das ist die Einführung von europäischen Steuern. Damit erreicht die EU nun endgültig das, was sie schon seit Jahren haben möchte: eine eigene Steuerhoheit und endlich Unab­hängigkeit auch von den mühsamen Budgetverhandlungen. Natürlich waren das in der Vergangenheit Druckmittel gegenüber der Europäischen Union. Sie ermöglichen, dass die Europäische Union nun zusätzlich zu den Nationalstaaten in die Taschen der Bürger greifen kann.

Zuerst kommt die bereits beschlossene Plastikabgabe, dann kommt wahrscheinlich eine CO2-Steuer und dann – das kann ich versprechen – werden noch viele weitere Steuern folgen, bis wir endgültig unsere Steuerhoheit abgegeben haben und damit einen der größten Lenkungsmechanismen, die ein Staat hat. Sehr geehrte Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Gute Nacht, österreichischer Staat! (Beifall bei der FPÖ.)

Besonders bedenklich finde ich auch, dass Sie all dem zustimmen, obwohl Sie genau wissen, dass die EU damit ihre eigenen Verträge bricht, nicht nur das Verbot eines defizitären Haushaltes und das wirtschaftliche Grundprinzip der gesunden öffentlichen Finanzen, sondern auch Artikel 125 – No Bail-out, keine Haftung für Schulden anderer Staaten –, den es genau deswegen gibt, weil das Einstehen für Schulden dazu führt, dass immer mehr Schulden gemacht werden. Dieser Wiederaufbaufonds widerspricht damit eindeutig europäischem Primärrecht, und weil er europäischem Primärrecht wider­spricht, hätte er zumindest im europäischen Primärrecht verankert werden müssen. Da das nicht geschehen ist, widerspricht das auch klar dem österreichischen EU-Beitritts-BVG.

Das heißt, dieser heutige Beschluss ist nicht nur ein Ausverkauf Österreichs nach Brüssel, sondern er ist auch klar EU-rechts- und verfassungswidrig und reiht sich damit in eine lange Liste von verfassungswidrigen Maßnahmen dieser Bundesregierung ein, und das ist eine Schande, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

Und weil Sie immer mit Solidarität kommen: Auch wenn Sie solidarisch sein wollen, sehr geehrter Herr Minister, können Sie keine gültigen Gesetze außer Kraft setzen. Was ist, sehr geehrter Herr Minister, mit der Solidarität gegenüber der eigenen Bevölkerung? Was ist mit der Solidarität gegenüber den künftigen Generationen, denen mit solchen Schuldenprogrammen die Luft zum Atmen genommen wird? Sie belasten damit nicht nur unsere Enkel, sondern auch unsere Urenkel noch auf viele, viele Jahre.

In Wahrheit geht es aber gar nicht um Solidarität oder um Krisenbewältigung, in Wahrheit geht es nur um eine Umverteilung, um eine Änderung des Charakters der EU hin zu einem budgetierenden Staat; um nichts anderes geht es bei diesem Beschluss. Genau deswegen wird das Ganze auch auf Dauer eingerichtet werden. Jeder, der das Gegenteil behauptet, sagt entweder wissentlich die Unwahrheit oder ist schlicht und ergreifend naiv und unwissend, sehr geehrte Damen und Herren.

Aus diesem Grund bringe ich auch folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Steger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Österreich darf nicht Teil einer Schuldenunion werden“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert den Beitritt zu einer Schuldenunion in Verbin­dung mit dem EU-Wiederaufbaufonds (NGEU) auf EU-Ebene abzulehnen und ein klares Bekenntnis für die finanzielle Unabhängigkeit Österreichs und gegen die Vergemein­schaftung von Schulden abzugeben.“

*****

Sehr geehrte Damen und Herren, Fakt ist, wenn dieser Wiederaufbaufonds kommt, wird eine Schuldenunion auf Dauer eingerichtet werden. Laut den Aussagen von Bundes­kanzler Kurz dürfen Sie niemals diesem Eigenmittelbeschluss zustimmen, doch ich fürchte, auch diesmal wird der Bundeskanzler wieder die Unwahrheit gesagt haben. In diesem Fall kostet es den Steuerzahler leider Gottes Milliarden Euro und einen gewal­tigen Einschnitt in die nationalstaatliche Souveränität Österreichs. (Beifall bei der FPÖ.)

14.18

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Steger, Erwin Angerer

und weiterer Abgeordneter

betreffend Österreich darf nicht Teil einer Schuldenunion werden

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 7, Bericht des Budgetausschusses über die Regierungsvorlage (809 d.B.): BESCHLUSS DES RATES vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, Nr. 2020/2053/EU, Euratom, ABl. Nr. L 424 vom 15.12.2020 (Eigenmittelbeschluss 2021) (841 d.B.)

in der 105. Sitzung des Nationalrates am 19. Mai 2021

Für den sogenannten Wiederaufbaufonds, auch NextGenerationEU oder NGEU ge­nannt, dotiert mit 750 Mrd. Euro nimmt die EU gemeinschaftliche Schulden auf. Diese Mittel werden als Zuschüsse und Darlehen an die Mitgliedstaaten weitergereicht. Von der türkis-grünen Bundesregierung ist das politisch gewünscht und wird auf EU-Ebene mitgetragen. Der dafür notwendige Eigenmittelbeschluss wurde auf EU-Ebene bereits angenommen. Der Wiederaufbaufonds ist vermeintlich als temporäres sogenanntes Notfallinstrument angelegt, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie in den EU-Mitgliedstaaten zu bekämpfen. Drohende Fehlentwicklungen und Risiken werden jedoch nicht breit diskutiert, sondern intransparent zurückgehalten. Lediglich der spät geplante Verteilungsschlüssel der Mittel wird ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, um einzelne Projekte medienwirksam zu bewerben.

Erstmals in ihrer Geschichte wird die Europäische Union durch die Europäische Kom­mission über Anleihen erhebliche Mittel am Kapitalmarkt aufnehmen.  Insgesamt handelt es sich um 800 Milliarden Euro, die bis 2026 für den Aufbaufonds geliehen werden sollen. Mit 750 Milliarden wird folglich NGEU ausgestattet und mehr als die Hälfte dieser Schulden – 390 Milliarden Euro – werden nicht unmittelbar von den Empfängern, son­dern über den EU-Haushalt getilgt. Als Garantie für alle Schulden des Wiederauf­bau­fonds steht der EU-Haushalt. Damit haften die Mitgliedstaaten hierfür gemein­schaftlich über ihre künftigen Beiträge zum EU-Haushalt. Im Falle Österreichs würde es sich laut dem Brüsseler Thinktank Bruegel um rund 15 Milliarden Euro handeln, die insgesamt zurückzuzahlen wären, sollte man sich unter allen Mitgliedsstaaten auf keine neuen EU-Eigenmittel einigen. Für Österreichs Budget birgt der Wiederaufbaufonds somit erheb­liche Risiken. Seine Finanzierung bedeutet eine grundlegende Änderung der euro­pä­ischen Haushalts- und Finanzarchitektur. Denn ein solches Haftungsregime schließt die sogenannte „Nichtbeistandsklausel“ in den europäischen Verträgen grundsätzlich aus.

Fehlender Tilgungsplan

Für die Kredite, die aus dem EU-Haushalt getilgt werden sollen, gibt es keinen verbind­lichen Tilgungsplan. Österreich wird laut Zahlen des deutschen Bundesrechnungshofes voraussichtlich 5,9 Milliarden Euro mehr zahlen, als es selbst Zuschüsse bekommt. Klar ist bislang nur, dass die Kredite im Zeitraum 2028 bis 2058 über den EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Offen ist aber, welcher Anteil dann auf welchen Mitgliedstaat ent­fällt. Diese Frage soll Gegenstand zukünftiger Verhandlungen sein. Was passiert, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht wie angekündigt bis 2024 auf neue Eigenmittel einigen können oder wollen, bleibt gänzlich offen.

Wiederaufbaufonds ist übersichert

Die EU sichert die Schulden des Wiederaufbaufonds mit ihrem Haushalt ab. Um die Bonität zu gewährleisten, wird die sogenannte „Eigenmittelobergrenze“ erhöht. Das führt zu einem enormen Garantievolumen von mindestens 4 000 Milliarden Euro: fünfmal höher als das Volumen des Wiederaufbaufonds selbst. Eine Garantie in diesem Umfang wäre allein für diesen Zweck überschießend; beim Europäischen Stabilitätsmecha­nis­mus (ESM) wurden bereits 40 % als ausreichend erachtet. Dieser Spielraum befeuert Spekulationen über eine Verstetigung der Verschuldung und wird Begehrlichkeiten wecken, sowie dazu verleiten, den Tilgungsbeginn hinauszuzögern.

Kriseninstrument nicht als Dauereinrichtung

Die Praxis zeigt: In Krisenzeiten auf EU-Ebene eingeführte Instrumente verstetigen sich regelmäßig. So hat der ESM beispielsweise die zuvor eingerichteten temporären Ret­tungsschirme mittlerweile dauerhaft abgelöst. Dabei wird schlichtweg ausgeblendet, dass die Kosten und Risiken in der jeweiligen Krise gerechtfertigt sein mögen, nicht aber auf Dauer rechtfertigbar sind.

Fiskalregeln anwenden

Die Fiskalregeln begrenzen die nationalen Defizite und Schuldenstände. Sie gelten jedoch nicht für EU-Schulden. Die Mitgliedstaaten könnten sich also auf EU-Ebene theoretisch unbegrenzt verschulden und sich diese Mittel dann als Zuschüsse selbst zuweisen. Die enorme Übersicherung des Fonds setzt diesbezüglich bereits bedenkliche Anreize. Darunter wird die EU-Haushaltsdisziplin weiter leiden.

Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion sichern

Der Wiederaufbaufonds will Voraussetzungen schaffen, unter denen die Mitgliedstaaten die negativen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern können und bes­ser für zukünftige Krisen gewappnet sind. Mindestens 37 Prozent dieses Geldes müssen in Klimaschutzmaßnahmen fließen, 20 Prozent in die Digitalisierung, um so Strukturen in den Mitgliedstaaten widerstandsfähiger gegen Kriseneinflüsse zu machen. Gelingt dies nicht, droht eine langfristige Instabilität der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Haftungsrisiken für Österreich würden schlagend werden. Inwiefern Investitionen in temporäre Projekte für Klimaschutzmaßnahmen die desaströsen wirtschaftlichen Folgen der Coronamaßnahmen konkret abfedern können sollen, bleibt fraglich. Ebenso unver­ständlich bleiben die Aufteilungsschlüssel der Auszahlungen für die einzelnen Mitglieds­staaten, denn lediglich 30 Prozent orientieren sich an den Folgen der Corona-Krise im jeweiligen Land, die restlichen 70 Prozent der Auszahlungen werden auf Basis von Wohl­stand, Arbeitslosigkeit und Bevölkerung errechnet.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert den Beitritt zu einer Schuldenunion in Verbin­dung mit dem EU-Wiederaufbaufonds (NGEU) auf EU-Ebene abzulehnen und ein klares Bekenntnis für die finanzielle Unabhängigkeit Österreichs und gegen die Vergemein­schaftung von Schulden abzugeben.“

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Präsidentin Doris Bures: Ich ersuche darum, dass wir uns im weiteren Verlauf der Debatte in der Ausdrucksweise wieder einigermaßen mäßigen. Der permanente Vorwurf des Wahnsinns (Zwischenruf des Abg. Wurm) gehört zum Beispiel zu dem, was ich bei der Aufforderung zur Mäßigung meine. (Abg. Kickl: Frau Präsidentin, uns gehen die Vokabeln aus bei diesen Zuständen!)

Ich gebe bekannt, dass der Entschließungsantrag Ihrerseits ordnungsgemäß einge­bracht ist.

Ich freue mich, die ehemalige Dritte Präsidentin des Nationalrates auf der Galerie zu begrüßen. – Schön, dass Sie der Debatte folgen, Frau Annemarie Kitzmüller! (Allge­meiner Beifall.)

Herr Abgeordneter Lopatka, Sie gelangen zu Wort. Bitte.